Echt inspirierend

Kulturkommentar Australien macht uns Spaß: Ein Maler gilt als Betrüger, weil er ein Bild nach Vorbild eines Bildes gemalt hat, das er von einem Bild aus dem Internet kannte

Ist Sam Leach ein Betrüger? Vor ein paar Wochen noch schwebte der australische Maler auf Wolke sieben. Gerade hatte der 37-Jährige den renommierten Wynne Prize seines Heimatlandes gewonnen. Dann aber stellte sich heraus, dass sein als „bestes Landschaftsbild einer australischen Szenerie in Öl oder Wasserfarbe“ prämiertes Bild verblüffende Ähnlichkeit mit einem 350 Jahre alten Vorbild aufweist: mit Adam Pynackers Bild von ein paar Bootsleuten am Strand eines Sees aus dem Jahre 1660, das heute in einer stillen Ecke des Amsterdamer Rijksmuseums hängt. Sam Leach hatte zwar die Bootsleute und das Gewässer weggelassen. Er beging aber den „Fehler“, die Eiche im Vordergrund des Bildes in seinem fotorealistischen Stil zu kopieren. Das rief die Kenner auf den Plan.

So hat nun Australien seinen Fall Hegemann. Denn auch dieser Künstler sah sich Plagiatsvorwürfen ausgesetzt und versuchte sich mit dem Argument aus der Affäre zu ziehen, er habe nie einen Zweifel daran gelassen, woher er die Inspiration für sein Werk bezogen habe. Über Leachs Vorgehen ließe sich durchaus streiten, wenn nicht der Kult um die Echtheit so nerven würde, der auch diesen „Skandal“ grundiert. Dabei muss den Verfechtern von „Originalität“ der Fall gleich zweifach auf den Magen schlagen: Nicht nur, dass Leach bei Pynacker Anregung fand, er kannte dessen Bild noch nicht einmal aus „echter“, eigener Anschauung, sondern aus dem Internet: das digitale Bild des Bildes, das Vorbild für sein Bild war.

Fälschung ohne Original

Wir halten deshalb zum wiederholten Male fest: Ohne das, was heute schnell und verächtlich Plagiat heißt, hätte es die Klassische Moderne nie gegeben. Die Dadaisten und Kubisten integrierten Zeitungsausschnitte oder Holzimitate in ihre Bilder und Texte. Von Georges Braque über Robert Rauschenberg bis zu dem Fotografen Richard Prince zieht sich eine Linie der Aneignung fremden (Bild-)Materials. Pioniere der Appropriation Art wie die Fotografinnen Sherrie Levine und Elaine Sturtevant fotografierten die Bilder ihres Kollegen Walker Evans oder kopierten Andy Warhol, Jasper Johns und Frank Stella in deren Originaltechniken. Auf dem Fotoportal flickr häufen sich die Foren, in denen sich Fotografen treffen, die Andreas Gursky oder David Hockney zu kopieren versuchen. Schon in früheren Jahrhunderten malten Künstler nach Musterbüchern, definierten sich lieber über das Nachahmen, Variieren und Verfeinern von Vorbildern als über das Schaffen neuer Bildmuster. Kopieren ist eine legitime Technik der Kunst- und Kulturgeschichte.

Keine Praxis ohne Überbau: Einem etablierten Denker wie Guy Debord gilt das Entwenden geistigen Eigentums als Conditio sine qua non für das Weiterentwickeln von Ideen. Der britische Untergrund-Künstler Stewart Home propagierte Plagiarismus als direkte Aktion gegen die bürgerliche Kunst mit ihrem obsoleten Verständnis von „Originalität“. Die festivals of plagiarism, die er Ende der achtziger Jahre initiierte, trieben die Kunst des Plagiats auf die Spitze, als sie bewusst die schon plagiarischen Festivals der Neoisten und Fluxus-Künstler kopierten.

So kunstkritisch wird Sam Leach sein kreatives Kopieren vermutlich nicht angelegt haben. Trotzdem halten wir ihn nicht für einen Betrüger. Beim Versuch, das Bildnis eines „idealisierten Universums“ zu schaffen, hat er sich nur an einen alten Grundsatz der Situationisten gehalten: „Das Plagiat spart Zeit und Anstrengung, verbessert das Ergebnis und beweist die be­achtliche Initiative des Plagiators.“

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