Ein Raum der Fiktion

Hilflos Bei der RAF kratzt die Kunst meist nur an der Oberfläche. Eine umstrittene Ausstellung in den Berliner KunstWerken

"Ein Art Revolutionsfiktion". Mit diesem Satz antwortete Holger Meins Ende 1971 dem Frankfurter Kunsthandwerker Dierk Hoff in seiner Werkstatt kurz angebunden auf dessen Frage, worum es in dem Film gehe, für den er ihm einen Schlossaufdreher herstellen solle. Als Student der Berliner Filmhochschule hatte Meins Dierk Hoff bei einem Trödler in Berlin kennen gelernt. Jetzt brauchte er seine konspirative Hilfe. Sein Satz enthält schon das ganze Beziehungsfeld dessen, was Stefan Aust später mit dem ungeahnte Komplexität signalisierenden Titel Baader-Meinhof-Komplex nennen sollte.

Die RAF war zwar ein reales, höchst blutiges Ergebnis der deutschen Geschichte nach 1945. Aber sie war auch zugleich eine imaginäre Revolution. Alles Gerede von dem "Sympathisantensumpf" oder auch die 3.000 Demonstranten, die in Hamburg schon mal für die Freilassung der "Politischen Gefangenen" demonstrierten, überdecken: Der bewaffnete Kampf war zwar real, die Revolution, die er auslösen sollte, war jedoch ein Hirngespinst. In Wahrheit waren die gut 40 Leute der selbst ernannten Stadtguerilla ohne nennenswerten Massenzulauf, oder um es mit Klaus Theweleit auszudrücken - eine "Speerspitze im Leeren". Ein Zerfallsprodukt der Studentenbewegung, die politisch längst weiter war. Das ist das eine Ende der Fiktion.

Das andere Ende ist sehr viel schillernder. Die RAF hatte ein ausgeprägtes Verhältnis zum Spielerisch-Fiktiven. Andreas Baader und seine spätere Geliebte Gudrun Ensslin kultivierten die Lust am Falsche-Spuren-Legen, gefielen sich in der Inszenierung ihrer Raubzüge à la Bonnie Baader versteckte noch in Stammheim Lidschatten und Pelze in der Zelle. Die Gruppe gab sich später Tarnnamen aus Herman Melvilles Moby Dick. Wer sich darauf beschränkt, läuft Gefahr, ein politisches Phänomen aus seinem Kontext zu isolieren, es quasi zu einem überzeitlichen Phänomen zu machen. Auch der unmenschliche Kern und der Theorieschrott der selbstgebastelten RAF-Ideologie schrumpfen in dieser Sichtweise zum bohemienhaften Attribut, wo akribische Ideologiekritik angesagt wäre. Aber dass die prekäre Nähe zum Imaginären und Zeichenhaften dieser Gruppe die Frage nach dem Verhältnis von RAF und Kunst beziehungsweise nicht nur naheliegend, sondern geradezu zwangsläufig macht, liegt auf der Hand.

Insofern war es absolut überfällig und mutig, dass die Berliner KunstWerke knapp 30 Jahre nach dem "Deutschen Herbst" von 1977 diese Frage ausloten. Eigentlich müsste für die Kunst das Moment des "obsessiven Narzissmus" der Gruppe attraktiv sein, auf das Jan Philipp Reemtsma in einem kleinen Bändchen seines Hamburger Instituts für Sozialforschung hinweist. Karin Wieland deutet mit einem lesenswerten Aufsatz in demselben Band den vom Münchner Kleinkriminellen zum Berliner Gangsterboss aufgestiegenen Andreas Baader als verkrachten Wiedergänger Baudelaires. Kalt und unbarmherzig zerrt sie ihn aus dem Gewand des politischen Mythos und steckt ihn in die Seidenrobe des affektgesteuerten Dandys - Lichtjahre entfernt von einem Theoretiker wie Rudi Dutschke. Doch all das findet man in der Schau seltsamerweise ganz selten ausgeleuchtet. Die performative Lust und den Thrill des Authentischen kann man am ehesten noch in Martin Kippenbergers Bild von 1985 nachempfinden, wo eine vermummte Frau mit Maschinengewehr aufreizend vor einer kleinbürgerlichen Wohnsiedlung paradiert, deren Bewohner gerade ihre Häuschen weißeln. Doch wenn man die Bilder der Kölner Künstlerin Astrid Klein sieht, kann man immerhin eine Ahnung von der Faszination des "Radikalanspruchs" bekommen - eine Disposition, in der der Freiburger Publizist Klaus Theweleit eine Geistesverwandtschaft zwischen Kunst und Terrorismus ausgemacht hat. Auf das Bild einer spießigen Familie der fünfziger Jahre, die auf einer Parkbank sitzt, hat Klein den aus einer Zeitungsüberschrift ausgeschnittenen Satz "Sie wollte von Anfang an etwas Außergewöhnliches werden" geklebt.

Dass diese Faszination des Exzeptionellen nun zu einer Glorifizierung des RAF-Terrors und einer bedenklichen Perspektive geführt hätte, kann man der Berliner Ausstellung aber nicht nachsagen. Der keineswegs klammheimliche Sympathisant des Staatsterrorismus der USA in Sachen Irak, der CDU-Bundestagsabgeordnete Friedbert Pflüger, will zwar genau das wenige Minuten nach der Eröffnung der von Klaus Biesenbach, Ellen Blumenstein und Felix Ensslin kuratierten Ausstellung bemerkt haben. Auf einer Studentenzeitung findet sich auch einmal Ulrike Meinhof als Ikone. Eine introvertierte Heilige mit fließend schwarzem Haar - zwischen Mona Lisa und Madonna. Das ließe sich freilich noch unter Dokumentarmaterial abbuchen. Doch selbst die Installation, die der deutsche Künstler Klaus-Peter Feldmann in die Mitte des zentralen Ausstellungsraums im Erdgeschoss der Berliner KunstWerke gestellt hat, kann diesen Vorwurf nicht belegen.

In einem gegen das Tageslicht und den Besucherlärm abgeschirmten Raum hat er 92 Bilder von Toten gehängt, die im Zeitraum zwischen 1968, dem Jahr der Ermordung von Benno Ohnesorg, und 1993, dem Jahr der Selbstauflösung der RAF, ums Leben gekommen sind. Der 1975 erschossene Polizist Fritz Sippel hängt da gleichberechtigt neben Andreas Baader oder Holger Meins. Feldmann hat dieses imaginäre Pantheon schon 1998 im Eigenverlag publiziert und im Badischen Kunstverein in Karlsruhe erstmals ausgestellt und damit für eine ähnliche Aufregung gesorgt wie sie 2003 auf die bloße Ankündigung der KunstWerke entstand, sie planten eine RAF-Ausstellung. Es ist gerade sein Verdienst, auf eine Hierarchisierung zwischen Opfern und Tätern, die die wissenschaftliche Aufklärung und der moralische Diskurs vornehmen müssen, zu verzichten. Am Ende jedes ideologischen Feldzugs stehen, so muss man seinen Titel interpretieren, nur Tote.

Gegen den Verdacht, die Opfer kämen nur unzureichend ins Bild, kann man auch Felix Droeses Anti-Richter-Landschaft ins Feld führen. Der Beuys-Schüler aus Düsseldorf hat seiner viertafeligen Bilderfolge 30. 11. 1989 die Namen von Buback, Schleyer, Ponto und Herrhausen aufgemalt. Damit hat er bewusst die nach seiner Ansicht einseitige Fokussierung auf die Täter, wie sie der Kölner Maler Gerhard Richter in seinem Zyklus 18. Oktober 1977 gewählt hat, konterkariert. Auf der beeindruckenden Folge, die 1989 zum ersten Mal im Krefelder Haus Esters zu sehen war, jetzt im New Yorker Museum of Modern Art residiert und in der Berliner Ausstellung nicht gezeigt wird, hat Richter nach Vorlagen von Polizeifotos die Toten in den Zellen von Stammheim in seinem bekannten, verwischten Fotorealismus dargestellt.

Wirkung und Aussage solcher Werke wie das von Feldmann oder Richter findet man in der Ausstellung nicht allzu viele. Was an ihr frappiert, ist, wie hilflos die Kunst auf das RAF-Phänomen reagiert. Bei einem der verstörendsten Traumata deutscher Nachkriegsgeschichte kratzt sie meist hilflos an der Oberfläche. Theo Lighthart zeigt mit seiner fotorealistischen Malarbeit avantgarde die zwiespältige Rolle des Begriffs, den die RAF für sich in Anspruch nahm. Neben fotorealistischen gemalten Auszügen aus RAF-Schriften, in denen der Begriff Avantgarde auftaucht, stehen die Bilder neuer Automodelle von Daimler, dem einstigen Arbeitgeber Hanns Martin Schleyers. Sie tragen den gleichen Titel. Was damals als revolutionäres Konzept gedacht war, haben die Gegner von einst längst für sich reklamiert. Nicht die politische Avantgarde hat gesiegt, sondern die Warenästhetik.

Man kann die Bedeutung medialer Vorbilder im Film nachvollziehen. Zweifellos geben Jean-Paul Belmondo und Jean Seberg aus Jean-Luc Godars Film A bout de souffle von 1960 eine Art role model für Baader und Ensslin ab. Verblüffend viel Interesse finden die konspirativen Wohnungen, in denen sich die Terroristen aufhielten. Dieses sorgfältig arrangierte Mischambiente aus Normalität und Horror, die Module keimfreien bundesdeutschen Spießeralltags, in den sich der Terror zurückzog, den er erschütterte, übt eine magnetische Anziehungskraft aus. Und Peter Friedls Leuchtreklame Straßenverkehrsordnung von 2000 ist auch ganz nett: Das schrille Neonpink, in dem da der Titel des ersten RAF-Manifests von 1971 aus der Feder Horst Mahlers leuchtet, steht für die geradezu popkulturelle Attraktivität der Gruppe mit ihrem Geheimvokabular. Zugleich demonstriert die liegende Acht des Konstrukts die immer nur auf sich und ihren Jargon bezogene Selbstgenügsamkeit der Bande.

So interessant die Einzelaspekte sind, die beim Phänomen RAF abgearbeitet werden: Man hat bei solchen Arbeiten immer das Gefühl, sie dringen nie zum Kern des Problems vor, jener heute immer noch Angst einflößenden Verbindung von Gewalt und Ideologie. Am ehesten gelingt vielleicht noch dem Leipziger Künstler Lutz Dammbeck ein eigenes Bild. Auf seiner Arbeit hat er Bilder von Baader, Meinhof und Ensslin mit denen von Statuen des Nazibildhauers Arno Breker vernäht. Die Nähe zu der gnadenlosen Heroik der NS-Ästhetik ist zweifellos eine starke These, die kulturgeschichtliche Linie, in die er die RAF mit dem Titel für seine Arbeit - Nibelungen - stellt, eine noch stärkere: Wir kämpfen bis zum Untergang. Doch das Gros der Arbeiten in den drei Stockwerken lässt den Betrachter kalt.

Die Ausstellungsmacher behaupten von ihrer Ausstellung, sie sei nichts weiter als eine "Ausstellung über Wahrnehmung". Das ist so wenig glaubwürdig wie Peter O. Chotjewitz´ schon vor der Eröffnung angestellte Vermutung, nun eigne sich das historisch siegreiche Bürgertum seine ärgsten Widersacher via Museum an. Schließlich entstanden die Berliner KunstWerke aus einem subkulturellen Kontext. Doch um die These belegen zu können, dass alle Realität medienvermittelt ist, hätte man auch jedes x-beliebige andere Sujet durchbuchstabieren können. Die KunstWerke haben das in den letzten Jahren an einer eigenen Reihe mit dem Titel Medienrealitäten ausführlich demonstriert.

Diese Beschränkung auf die Wahrnehmung wirkt aufgesetzt. Als ob man die Reflexion des Phänomens RAF von seinem politischen Kontext trennen könnte. Und sie wird durch die Ausstellung selbst widerlegt. Wie soll man Rudolf Herz´ Arbeit von 1996 Entladene Militanz anders interpretieren denn als Metapher auf die destruktive politische Energie der RAF? Auf 14 Betonsäulen, die mit den Namen der Terroristen gekennzeichnet sind, stehen kaputte Autobatterien, aus denen zerborstene Starkstromkabel ragen. In dieser Weigerung der Ausstellungsmacher, zu dem politischen Kern ihres Interesses zu stehen, spürt man einen Rest jenes Distanzierungsgebots der siebziger Jahre. Darin steckt auch ein Stück Entpolitisierung des Phänomens.

Entsprechend fassadenhaft wirkt auch die Zeitleiste der 29 Daten, mit denen die Ausstellungsmacher die alltägliche Wahrnehmung durch die bürgerlichen Medien demonstrieren wollen: Bild-Zeitung, Stern und Tagesschau-Sendungen. Die an die Wand geklebten Ausschnitte der "bürgerlichen Presse" zu zentralen Stichtagen der RAF-Entwicklung wirkt wie eine bemühte Oberstufenarbeit in Sachen Medienpädagogik. Was immer man kritisch über Gerhard Richters Oktober-Zyklus sagen kann, über das Unvermögen in unserer Bilderwelt Klarheit über die Historie zu gewinnen, hat er mehr sagen können als dieser Schnipselsalat. Die komplizierten Schritte der Vermittlung und (Massen-) Bewusstseinsprägung werden dadurch nicht klarer. Genauso wenig, wie aus diesen Magazinstories und reißerischen Überschriften jene Staatsschutzhysterie der siebziger Jahre werden konnte. Und sehr viel mehr als die Dokumentation der Dokumentation gelingt auch den wenigsten Kunstobjekten, die sich immer wieder an Fahndungs- und Zeitungsbildern, den Metaphern der Mediengesellschaft, abarbeiten.

Hans Niehuis´ Foto eines fiktiven Ikonenzeichens für Holger Meins auf dem Hollywooder "Boulevard of Fame" ironisiert zwar die Gerinnung zur popkulturellen Ikone, die schließlich im Prada-Meinhof-Chic ihren vorläufig letzten Gipfel fand. Doch der Prozess der Abstraktion, den der deutsch-niederländische Künstler da sichtbar macht, ist nicht viel mehr als eine Banalität. Am Ende siegt die Zeitgeschichte vor der Kunst. Man bleibt an Dokumentarfilmen wie Lutz Hachmeisters Schleyer - Eine deutsche Geschichte vom Sommer 2003 hängen. Es jagt einem kalte Schauer über den Rücken, wenn darin Ex-RAFler Stefan Wisniewski, Jahre nach der Hinrichtung Hanns Martin Schleyers, von dem ermordeten Arbeitgeber-Präsidenten immer noch mit Verachtung in der Stimme als "alten Nazi" bezeichnet.

So kommt man in Berlin bei der Suche nach neuen Erkenntnissen über die RAF kaum weiter. Wer dabei immer nur nach den "Medienrealitäten" fragt, findet meist nur Bilder von Bildern. Immerhin gelingt der Kunst ein Bild für die Aporien der "harten" Aufarbeitung. In der Installation des Schweizers Christoph Draegers kann man durch die Schlitze einer Sperrholzwand schauen. Dahinter leuchten Diabilder der vier nachinszenierten Stammheimer Zellen in der Nacht des Selbstmords. Zwischen Matratzen und Bücherregalen baumelt an einem der vergitterten Fenster die erhängte Gudrun Ensslin, Baaders Leiche liegt am Boden. Aus sicherer Distanz, in einer Rolle zwischen Voyeur und Aufseher, schauen wir auf ein deutsches nightmare. Was in dieser Nacht wirklich geschah, ist bis heute ungeklärt. Allen Aufklärungsversuchen zum Trotz bleibt es ein Raum für - Fiktion.

Die Vorstellung des Terrors. KunstWerke Berlin, noch bis zum 16. Mai 2005, Katalog, Steidl, Göttingen 2005, 45 EUR

Rudi Dutschke, Andreas Baader und die RAF. Mit Texten von Wolfgang Kraushaar, Gudrun Ensslin und Jan-Philipp Reemtsma. Hamburger Edition, Hamburg 2005, 144 S., 12 EUR


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