Einfach schön

Linksbündig Berliner Erinnerungsästhetik

Ein "Stein des Anstoßes" soll das neue Denkmal werden. Die abgegriffensten aller Formeln des Kunstlobs, mit der Bundestagspräsident Wolfgang Thierse vergangene Woche dem Richtfest für das Holocaust-Mahnmal in Berlin präsidierte, stimmte ausnahmsweise. Schließlich stehen schon fast 1.500 der insgesamt 2.700 Stelen des amerikanischen Architekten Peter Eisenman auf dem fußballfeldgroßen Rechteck in Sichtweite des Bundestags. Doch ob diese polierten Edelsteine den gewünschten historischen Stolpereffekt zeitigen werden, kann man getrost bezweifeln.

Eisenman entschlüpfte bei der denkwürdigen Einweihung ein verräterischer Satz. "Unglaublich schön" werde das Mahnmal sein, berauschte sich der Künstler am eigenen Werk. Besser hätte er das Dilemma der Ästhetisierung der Erinnerung nicht beschreiben können. In dem Maße, in dem die lebendige Erinnerung verschwindet, ist die öffentliche auf Archive, Monumente, Rituale verwiesen. Doch abgesehen davon, dass das Grauen des Holocaust in kein Mahnmal übersetzt werden kann: Welches beziehungslose Eigengewicht die Ästhetik entfalten kann, lässt sich jetzt schon an der Baustelle studieren. Die "Irritation im Raum", von der Eisenman im blühenden Kuratorendeutsch schwärmte, der Orientierungsverlust, ist so abstrakt, dass der Besucher schnell vergessen könnte, weswegen er die Anlage durchschreitet und sich nur noch an eins erinnern wird: eben, dass es "unglaublich schön" war. Zwischen Beklemmung und Beglückung: Berlin erwartet ein höchst zwiespältiger Erinnerungsort, eine Geisterbahn der Minimal-Art.

Auf den ersten Blick hat das Holocaust-Mahnmal nichts mit der Kunstsammlung des Unternehmers Friedrich Christian Flick zu tun. Doch auch wenn der Enkel ein Recht darauf hat, nicht immer in einem Zug mit seinem Großvater, dem bei den Nürnberger Prozessen abgeurteilten NS-Kollaborateur Friedrich Flick, genannt zu werden. Von diesem Enkel selbst hängt immer noch der unglückliche Satz im Raum, dass er "der dunklen Seite seiner Familiengeschichte eine hellere hinzufügen" wolle. Insofern ließe sich seine Sammelleidenschaft und der Versuch, diese öffentlich sichtbar zu demonstrieren, auch als eine Transformation von Geschichte in Ästhetik ansehen. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz jedoch versuchte in einem Akt semantischer Erinnerungspolitik jeden Zusammenhang mit seinem belasteten Ahnen zu tilgen, als sie vergangene Woche den Journalisten bei der Vorstellung der neuen Hallen für die Sammlung die Ermahnung mit auf den Weg gab: "Es gibt den direkten Zusammenhang zwischen den Kunstwerken und der Familiengeschichte Flicks nicht." Zur Bekräftigung wurde die Sammlung in "Friedrich Christian Flick Sammlung im Hamburger Bahnhof" umbenannt, um auch den leisesesten Anschein von Sippenhaft zu zerstreuen.

Doch wenn Flicks Kunstsammlung und seine Familiengeschichte so wenig zusammenhängen, warum umgibt die Stiftung die erste Ausstellungsphase nun plötzlich mit einem Rattenschwanz von Veranstaltungen zu genau diesem Thema? Warum wird die Bundeszentrale für politische Bildung Symposien zur Entnazifizierung durchführen? Warum wird in einer kostenlosen Zeitung für jeden Besucher ein "tabuloses" Gespräch des Kurators (!) Eugen Blume mit Flick abgedruckt? Und warum beauftragt die Stiftung das Münchener Institut für Zeitgeschichte, ein Gutachten über die Rolle der Firma Flick im Dritten Reich zu erstellen? Man muss nicht jeden Zungenschlag der Flick-Diskussion wie "Göring-Collection" oder "Blutgeld" für geglückt halten. Aber ohne den öffentlichen Druck wäre dieses neu erwachte Geschichtsinteresse der Verantwortlichen sicher nicht zu Stande gekommen. Ausgerechnet das Leitmedium der Postmoderne, die Kunst, wird zum Nadelöhr für die Rückkehr der Geschichte. Sieben lange Friedrich-Christian-Flick-Jahre wird man nun freimütig über sie diskutieren können.

Die dritte Berliner Baustelle, die "Topographie des Terrors", verspricht keine Touristenschlangen vor wehenden Flaggen wie MoMa oder Flick. Deshalb hat diese Gedenkstätte eine langjährige Passionsgeschichte hinter sich. Aber auch hier scheint die Geschichte durch die Hintertür zurückgekehrt. Eine der beredesten Berliner Erinnerungsbrachen hat den aufwändigen Entwurf des schweizer Architekten Peter Zumthor gleichsam abgeschüttelt. Ein unvollendeter Betonturm steht da neben den Folterkellern des SS-Staates - ein erratisches Ensemble des Scheiterns. So ganz lässt sich Geschichte wohl doch nicht in Ästhetik auflösen. Was ja auch ganz schön ist.


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