Es muss ein Ruck durch die Kunst gehen

Engagement Raus aus der hochkulturellen Schmollecke. Der Kampf gegen Rechts kann nur mit Offenheit gewonnen werden
Ausgabe 06/2017
MoMa macht's vor: eine Ausstellung als Statement gegen Trumps Einreisebann
MoMa macht's vor: eine Ausstellung als Statement gegen Trumps Einreisebann

Foto: Angela Weiss/AFP/Getty Images

Was tun gegen rechts? Über keine Frage streitet der Kulturbetrieb derzeit leidenschaftlicher. Reicht es, so das stete Memento, Ausstellungen zu eröffnen, Festivals zu besuchen oder neue Paul-Auster-Romane zu lesen, während Demokratie, Europa und Menschenrechte geschleift werden?

Der Fotokünstler Wolfgang Tillmans beschwor dieser Tage gar pathetisch den „Kairos-Moment“: Historische Aufgabe sei es jetzt, so der sonst eher zurückhaltende Liebhaber des subkulturellen Faltenwurfs, die liberale gegen die autoritäre Gesellschaftsordnung zu verteidigen. Muss die Kultur also jetzt aufstehen gegen rechts?

Nichts gegen Aktionen wie die „EcoFavela“, mit der sich das Hamburger Kampnagel-Theater vor zwei Jahren zur temporären Flüchtlingsunterkunft umfunktionierte. Dennoch ist vor dem Trugschluss zu warnen, Kunst und Kultur ließen sich als schnelle Einsatztruppe gegen den Rechtsruck einsetzen.

Ganz so einfach wie die fröhliche Reinigungsfantasie Michel Abdollahis wird der kommende Kulturkampf vermutlich nicht. Der überdimensionierte Schwamm, den der Deutschiraner letzten Herbst in die Hamburger Hafencity gelegt hatte, sollte signalisieren: Wisch weg den Scheiß – Rechtspopulismus, Fremdenhass und Minderheitenhetze.

Dass Ausnahme-Kunst noch keinen politischen Erfolg garantiert, musste Tillmans letzten Sommer erfahren. „No man is an island“ – die spektakuläre Plakat-Aktion des Wahlbriten gegen den Brexit – stoppte die Isolationisten nicht. Natürlich kann Kultur einen Mentalitätswechsel befördern.

Und wenn Berlins neuer Kulturstaatssekretär Torsten Wöhlert nun die so genannten Abgehängten „kulturell wieder zurückholen“ will, zeigt das, dass auch die Politik langsam begreift: Mindestens genauso wichtig wie die Leuchtturmkultur in den Metropolen ist die kulturelle Grundversorgung der Peripherie. Gerade weil dort die AfD-Ideen von der „nationalen Kultur“ verfangen, dürfen sich die Kulturinstitutionen aber nicht zu Bollwerken progressiver Selbstvergewisserung verrammeln. Sie müssen das Gespräch mit deren Anhängern suchen, wie es Steffen Mensching, Intendant des Theaters Rudolstadt, am Wochenende im Berliner Ballhaus Naunynstraße forderte.

Weil Mentalitätswechsel lange dauern, darf man das ästhetische Kind eben nicht mit dem aktionistischen Bade ausschütten. Der Kulturmanager Martin Roth hätte das Victoria and Albert Museum nicht aus Protest gegen den Brexit verlassen sollen. Christo sollte sein Over-the-River-Projekt in Colorado nicht dem Ärger über Trump opfern. Die amerikanischen Künstler sollten sich ihre Schnapsidee eines „Art Strike“ aus dem Kopf schlagen. Und der Westfälische Kunstverein sollte seinen Schauraum kommenden Freitag wegen eines AfD-Treffens in Münster auf keinen Fall schließen.

Vorbildlich das New Yorker MoMA: Wenige Tage nach Trumps Einreisebann zeigte man hier Werke aus genau den sieben Ländern, für die das umstrittene Dekret galt. Es gibt eine Kunst der Revolte, doch Kunst bewirkt die eigentliche Revolution. Aber nur wer sie auch erleben kann, beginnt, anders zu denken. „Turning the Tide – Das Blatt wenden“, wie die Berliner Universität der Künste kürzlich ihren Kongress zum Thema überschrieb, lässt sich nur mit mehr Kultur, nur mit mehr offenen Räumen. Hier wächst der ästhetische und demokratische Eigensinn, gegen den die Demagogen und Autokraten am Ende machtlos sind.

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