Europa wird in Hasankeyf verteidigt

Weltkulturerbe Stichtag 7. Juli: Der Bau des umstrittenen Ilisu-Staudamms im Südosten der Türkei muss verhindert werden

Sind in der Türkei Islamisten an der Macht? Seit Jahr und Tag zerbricht sich Europa den Kopf über die Regierung Erdogan. Verfolgt der frühere Parteigänger der fundamentalistischen Wohlfahrtspartei nicht doch eine „hidden agenda“? Plant seine AKP vielleicht doch einen Gottesstaat am Bosporus?

Bislang prallten die Vorwürfe an der proeuropäischen Reformpolitik Erdogans ab. Doch jetzt hat der Premier die veritable Chance, sich in die islamistische Phalanx einzureihen. Dann nämlich, wenn er den Plan des umstrittenen Ilisu-Staudamms im Südosten der Türkei endgültig durchwinkt.

Mag das Vorhaben auch nicht religiös motiviert sein: Wenn in Folge der Errichtung des megalomanischen Dammes die antike Stadt Hasankeyf in den Fluten des Tigris versinken würde, stünde das dem 12. März 2001 nicht nach, als die afghanischen Taliban die Buddha-Stauen von Banyiman sprengten.

Weil die Türkei nicht genug zum Schutz der Kulturgüter getan hat, die bei dem Bau in Gefahr sind, weil sie ökologischen und sozialen Auflagen nicht nachkam, haben sich die sechs europäischen Firmen, die sich an dem Projekt beteiligen wollten, inzwischen zurückgezogen. Auch die staatlichen Kreditgarantien wurden ausgesetzt. Heute läuft die offizielle Frist für das gemeinsame Projekt ab. Doch auch nach dem gerade verkündeten Ausstieg der Bundesregierung will die Türkei daran festhalten, den Staudamm dann eben ohne europäische Hilfe zu bauen.

Darf dieser Skandal eine türkische Angelegenheit bleiben?

Als die Taliban in Banyiman zuschlugen, war die Weltgemeinschaft empört. Doch niemand tat etwas. Dabei wäre eine Intervention der Staatengemeinschaft in Afghanistan zur Rettung der einzigartigen Statuen damals gewiss sinnvoller und gerechtfertigter gewesen als der bis heute erfolglose „Kampf gegen den Terror“ nach dem 11. September.

Der Fall Hasankeyf ist noch bedeutender als Banyiman oder etwa Dresden. Denn in Mesopotamien würde eine der ältesten Städte der Menschheitsgeschichte in einem 136 Kilometer langen Stausee versinken. Nur die Spitze des 600 Jahre alten El-Rizk-Minaretts würde über den Wassern von Hasankeyf von dieser Kulturstätte künden. Die Stadt birgt die Spuren von zwanzig Zivilisationen: von den Artukiden über die Assyrer bis zu den Türken von heute. Hier stehen unzählige Baudenkmäler: 300 Kirchen und Moscheen, eine 800 Jahre alte Steinbrücke und das berühmte Zeynelbey-Mausoleum.

Der archäologische Kulturpark, in dem die Regierung auf einem Berg am Ufer des künftigen Stausees die wichtigsten Stücke ausstellen will, ist eine Karikatur der Idee des Weltkulturerbes. Nicht umsonst haben 20.000 Menschen aus aller Welt eine Petition gegen das Projekt unterschrieben. Künstler und Intellektuelle in der Türkei machen gegen das Projekt mobil. Der Rückzug aus dem Bauprojekt reicht nicht. Und ob die Verleihung des UNESCO-Titel „Weltkulturerbe“ Hasankeyf helfen würde, ist auch zweifelhaft. So finster entschlossen wie die türkische Regierung ihr Prestigeobjekt verfolgt. Der Ilisu-Staudamm musss konkret verhindert werden. Nicht nur symbolisch. Europa wird nicht am Hindukusch sondern in Hasankeyf verteidigt. Am Besten mit einem UNO-Mandat.

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