Freibad!

KOMMENTAR Neuer Deutscher Realismus

Was macht eigentlich die junge deutsche Kunst? Bei dieser Hitze bleibt ihr auch nicht viel anderes übrig als im Freibad liegen, gammeln und Stuckrad-Barre lesen. Vom Sprungturm der Utopien mag sich heute freilich keiner mehr stürzen. "Ich habe ja auch mal ein Manifest geschrieben. Hoffentlich hat es keiner gelesen! Daran möchte ich nicht erinnert werden." Als Stefan Bachmann, der junge Schauspielchef am Stadttheater Basel letztes Wochenende beim Berliner Theatertreffen seine Arbeit bilanzieren wollte, blieb dem ästhetischen Sonnyboy des Theaters ziemlich die Luft weg. Der junge Regisseur, der einst mit dem Berliner Theater Affekt das ausgelaugte, unlebendige, tote, kurzum: vollkommen überlebte Stadttheater von der Bühne der Kulturgeschichte fegen wollte, hat alle Hände voll zu tun, ein ganz normales Stadttheater-Programm auf die Beine zu stellen, das das Stammpublikum nicht verschreckt. Mit dem Spielzeit-Motto "Apokalypse!" hatte er dort angefangen. Jetzt heisst es: "Bürger!" Demnächst vielleicht "Börse!" Man muß sich halt arrangieren. Und auch Thomas Ostermeier von der Schaubühne will vom Realismus als Konzept nicht mehr viel wissen. Jetzt spricht man nur noch von Realitäten.

Aber Hand aufs Herz: Wissen Sie, was Realismus eigentlich ist? Ich weiss einfach nicht, was das sein soll. Ich glaube, es gibt ihn gar nicht. Jedenfalls nicht in real. Im Traum stelle ich mir manchmal vor, wie ich mit seinen Anhängern streiten würde. Im Geiste des Surrealisten mit der Pfeife würde ich ihnen ein Bild entgegenhalten. Darauf hätte ich Döblins Hauptwerk gemalt. Und daneben in großen Buchstaben geschrieben: Ceci ce n'est pas une Place d'Alexandre! Bei dem vielen Realgeplauder und den Echtzeitprotokollen, würde ich am liebsten ein Gesetz erlassen gegen den neuen Realismus, der einfach nicht totzukriegen ist. Wer Realismus nachmacht, würde es darin heißen, oder verfälscht oder nachgemachten oder verfälschten in Verkehr bringt, wird mit Big Brother nicht unter zwei Jahren bestraft. Oder mit Freibad. Das Berliner Prinzenbad im Bezirk Kreuzberg, gleich neben dem Platz der Mai-Aufstände, beispielsweise ist eine genreträchtige Schnittstelle der körperbewussten Boheme und des Kreuzberger Milieus. Man kann es, wie der Berliner Schriftsteller Michael Wildenhain in seinem gleichnamigen Buch, ganz ausgezeichnet als Fundgrube für einen moralischen Neo-Realismus alter Schule nutzen. Ich vertraue auf das Prinzenbad als Imaginationsort. Wenn ich auf den knallharten Steinstufen liege, staut sich die Hitze um mich oft so sehr, dass sie alle Realität gart. Was da für Phantasien aufkommen. Um auf den kleinen flirrenden Überschuss der Kunst zu kommen, rate ich: Bleibt realistisch! Geht ins Freibad!

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