Freiheit

Buchmesse 2004 Der arabisch-westliche Dialog steht noch ganz am Anfang

Ich vertraue auf das Wort". Als die libanesische Schriftstellerin Emily Nasrallah vergangene Woche auf der Frankfurter Buchmesse in ein Plädoyer für mehr Dialog zwischen Orient und Okzident ausbrach, intonierte sie eine gern gehörte Formel: Literatur als Friedensmacht, als Brücke zwischen den Kulturen. Hat dieses fiktive Bauwerk in Frankfurt getragen?

Nach dem 11. September 2001 war die Zeit überfällig, mit dem Messeschwerpunktthema "Arabische Welt" ein Signal für eine kulturelle Strategie gegen den militärisch eskalierten Streit zwischen Orient und Okzident zu setzen. Doch die Schwierigkeiten dieses komplizierten Dialogs der Kulturen sind nicht nur den politischen Turbulenzen seit den New Yorker Gräueltaten geschuldet. Mag sein, dass der Westen immer noch mit kolonialen Augen auf "die Araber" schaut. Der Blick von der anderen Seite auf "den Westen" ist aber auch nicht viel weiter.

Ein Beispiel: Wurden in diesem Jahr 50 Bücher arabischer Autoren ins Deutsche übertragen, musste man nach den Gegenstücken bei den arabischen Ständen lange suchen. Angeblich wurden 70 Lizenzen für deutsche Bücher in den arabischen Sprachraum verkauft. Viel angekommen scheint davon noch nicht. Das Gros der arabischen Exponate entpuppte sich als hausgemachte islamische Erbauungsliteratur: jede Menge Kalligraphie, Kalender antiker Bauwerke, prächtig Bildbände über Hosni Mubarak oder die Stammbäume des saudischen Herrscherclans und Bücher mit so schönen Titel wie: Road to Paradise - Allahs Messages. Eine Übersetzung von Elfriede Jelinek, deren Literaturnobelpreis die Buchmesse in zwei ähnlich verfeindete Lager wie derzeit Orient und Okzident spaltete, suchte man jedoch vergeblich.

Dazu kommt die, man kann es kaum anders sagen, tendenzielle Kriminalisierung der unabhängigen Literatur in vielen arabischen Ländern. 15 Arten von Zensur, vom Ankündigungsverbot über die verzögerte Auslieferung bis zur berühmten "Schere im Kopf", zählte die libanesische Autorin Samah Idriss während einer Podiumsdiskussion auf.

Hat sich die Buchmesse deshalb gemein mit Diktaturen gemacht? Keineswegs. Denn viele kritische, meist im Exil lebende Autoren konnten in Frankfurt eine Gegenöffentlichkeit schaffen. Schließlich ist es gut, wenn ein führender arabischer Intellektueller wie Abbas Beydoun aus dem vergleichsweise liberalen Libanon die "Gefängniskultur" in den arabischen Ländern geißeln kann, die über 100.000 Intellektuelle über die ganze Welt verstreut hat. Wenn sein Landsmann Elias Khoury offen sagen kann, dass in Syrien eine ziemlich finstere Diktatur herrscht und Jordanien eher eine "tolerante Repression" ist. Und wenn die tunesische Journalistin Sihem Bensedrine "dem Westen" vorwerfen kann, Demokratie zu fordern, aber mit Diktatoren zu kungeln. In Frankfurt hat sich die Literatur insofern noch nicht als Botschafterin des Friedens, aber zumindest schon einmal als Botschafterin der Freiheit bewiesen, zu der sie Friedenspreisträger und Diktatur-Experte Peter Esterhazy in einer der schönsten Paulskirchenreden seit langem ernannte.

An den Verhältnissen ändert das zunächst nichts. Vor allem, wenn die Verantwortlichen so wenig auf das offene Wort vertrauen. Viele Autoren kritisierten zum Beispiel die Zensurgesetze in Ägypten. In den Buchhandlungen dort werden die Freunde der Märchen von 1001 Nacht, die die deutsche Orientalistin Claudia Ott gerade neu ins Deutsche übertragen hat, immer noch oft mit vier dünnen Bänden einer "moralisch verbesserten Auflage" abgespeist. Doch das war Staatsministerin Kerstin Müller vom Auswärtigen Amt kein offenes Wort wert, als sie zusammen mit der Ehefrau des ägyptischen Staatspräsidenten, Suzann Mubarak, das Internationale Zentrum der Buchmesse eröffnete. "Ein Buch ist ein Garten den man in der Tasche trägt". Natürlich zitiert auch Bundeskanzler Schröder das schöne arabische Sprichwort in seiner Eröffnungsansprache in Frankfurt. Doch wer diesen Garten in "der arabischen Welt" hegt, kommt immer noch oft in bedenkliche Nähe zum Gefängnis.

Der "neue strahlende Augenblick" der Begegnung zwischen Ost und West, den sich der Generalsekretär der Arabischen Liga, Amre Mousa, zum Auftakt der Messe gewünscht hatte, war die Messe also sicher nicht. Sie hat die strahlenden Selbstbilder von Orient und Okzident in Licht und Schatten differenziert. Insofern war der Frankfurter Dialog ein erster Schritt. Aber sehr viel anders hat die Entspannungspolitik im bipolar gestressten Europa der siebziger Jahre ja auch nicht angefangen.


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