Funke

Linksbündig In Leipzig liest die Demokratie

"Wir sind das Buch". Unbescheiden sind die Leipziger ja selten. Aber Heldenstädte dürfen schon mal protzen. "Wir sind das Volk" hieß die Parole zur Wende. "Wir sind die Post" werden sie demnächst sicher tönen, wenn der gelbe Dienstleister mit neuen 10.000 Arbeitsplätzen die Boomtown Ost endgültig zur blühenden Stadtlandschaft inmitten darbender Brachen promoviert. Trotzdem muss die Penetranz, mit der die Leipziger Messeleute eine Geistesuniversalie zur Regionalattraktion deklarierten, den Berliner Surfpoeten Robert Weber so geärgert haben, dass er zur Messe ein Buch herausbrachte, in dem er an die wahren Produktivkräfte erinnerte: Ich bin der Roman heißt das freche Werk mit CD.

Ganz unbegründet ist die Leipziger Standortchuzpe freilich nicht. Denn wer hätte noch vor ein paar Jahren einen Pfifferling darauf verwettet, dass das liebenswerte Ost-Relikt Buchmesse sich neben der großen Schwester Frankfurt halten würde? Heute ist die Leipziger Buchmesse ein veritables Lesefest. Diesen unerwarteten Boom kann man auch als kulturellen Wandel deuten. Von der Politik zum Zeichen - die revolutionären Energien von einst haben sich in die Kultur verlagert. Wo früher Montagsdemonstrationen die politische Basis erschütterten, schwärmen nun Divisionen von Büchernarren in den auf fünf proppenvolle Messehallen expandierten Überbau aus. Daniela Dahn gab sich in einem der zahllosen Foren für Autoren, auf denen diese durchs Fegefeuer des Talks müssen, enttäuscht, "wie wenig Menschen sich noch in die Politik einmischen". Vom Demonstranten zum Zuschauer - Als Oskar Lafontaine vom "Blauen Sofa" des ZDF den flammenden Appell für eine "neue politische Kraft" in das zerstreute Funbad des Buches zu seinen Füßen schleuderte und die Rücknahme von Hartz IV forderte, wurde dieses Zeichen des Protestes gern beklatscht. Montagsdemonstrationen, die sich nach der Präsentation seiner neuen "Streitschrift für eine gerechte Gesellschaft" zum Sternmarsch auf das Berliner Kanzleramt formiert hätten, wurden nach seinem Auftritt nicht gesichtet. Wer dort im Glashaus sitzt, kann eben nur mit Büchern werfen.

Die eher schleppende soziale Bewegung ist nicht das einzige Dilemma der Kulturalisierung der Politik. Auch sonst lässt sich kaum erkennen, dass der paradoxe Run auf ein bedrohtes Kulturgut eine Wende zum Besseren eingeleitet hätte. Der Buchhandel ist noch immer in der Krise. Das "Leitmedium" Buch, das der Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, Dieter Schormann, beschwor, steht ein bisschen verloren neben der portativen Multimediamaschine, zu der Handy, Kamera und Computer auf der Hannoveraner Cebit fusionierten. Im Raume des Geistigen sieht es nicht viel besser aus: Die magnetische Anziehungskraft der Buchmesse für vier turbulente Tage steht in reziprokem Verhältnis zu dem Einfluss, den die auf ihr lancierten Ideen wirklich ausüben. Denn wenn die rituellen Beschwörungen des "Dialogs mit dem Osten" via Buch, die seit gut zehn Jahren im Leipziger Gewandhaus ausgestoßen worden sind, wirklich gehört worden wären, gäbe es diese überbordende Xenophilie hierzulande nicht, die der verhartzen Nation weismachen will: Deutsche Arbeiter, die kriminellen Ukrainer wollen Euch Eure Vollzeitarbeitsplätze in Call- und Eros-Centern wegnehmen! Und ob der Dresdner Autor Uwe Tellkamp mit seinem politischen Roman Der Eisvogel wirklich vor dem demokratiefeindlichen "Extremismus der Mitte" warnen kann, wie er in Leipzig mit ernster Miene kund tat, bleibt erst einmal abzuwarten.

Aber man soll ja die Hoffnung nicht aufgeben. In ihrer Dankesrede berichtete Slavenka Drakulic, die kroatische Journalistin und diesjährige Trägerin des Leipziger Buchpreises zur europäischen Verständigung, wie sie durch ihr frühes Leseabenteuer Karl May immer ein ganz anderes Bild der Deutschen mit sich herumtrug, als ihr die jugoslawische Propaganda eingebläut hatte: da war der Deutsche der Feind schlechthin. Und Lothar Bisky, der sich als frisch gebackener Buchautor offenbar auch viel wohler fühlt denn als Vorsitzer seiner reformsteifen PDS, erinnerte sich, wie ihn die Lektüre des Kommunistischen Manifests als jungen Mann veränderte bis eines Tages der politische Funke über sprang. So gesehen hat die Nachricht, dass Wolfgang Englers Entwurf für eine "radikale Neugestaltung der Gesellchaft" Bürger, ohne Arbeit das meistgeklaute Buch am Stand seines Berliner Verlages war, auch ihre guten Seiten. Auch vor den Revolutionen der Zukunft steht womöglich doch noch - ein Buch.


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