Hybrid

MIGRANTEN Kanak-Attak rüstet zum Aufstand

Die Bastarde machen Schule. "Kosack-Attack" steht auf einem Plakat in der Berliner U-Bahn. Der Chor der legendären Don-Kosaken hat sich auf die Erfolge der großmäuligen Mischlinge besonnen, die unter dem Namen Kanak-Attak seit ein paar Jahren die deutsche Leitkultur überrennen und mit dem street-slang ihrer Kanak-Sprak unterwandern. Jetzt preist er sein etwas angestaubtes Folklore-Programm unter einem werbeträchtigerem Label an. Macht das erste Anzeichen von Kanak als mainstream die Verve überflüssig, mit der das neue Netzwerk "Kanak-Attack" vergangenes Wochenende in der Berliner Volksbühne den Aufstand der Migranten propagierte? Keineswegs. In den Augen der echten Kanaken wären die Balalaikaner nämlich bloß Kollaborateure der gefahrlosen Multikultur. Denn das Ensemble tut nur kanakig. Unter dem cleveren Slogan wird nämlich weiter von "Russischer Seele" und den "virtuosen Kapriolen burlesker Musiker" in bunten Blusen geworben - jenen Klischees, mit denen der Fremde zur Projektionsfläche der eigenen Exotik-Bedürfnisse wird.

Es war ein weiteres, bezeichnendes Signal für die Kulturalisierung des politischen Protestes, dass der Auftakt zur politischen Formierung von Migrantinnen und Migranten in Deutschland nicht als Großkampfdemo auf dem Berliner Alexanderplatz, sondern als schlechte Polit-Revue im neuen Kuggelager der außerparlamentarischen Hipphopposition stattfand - eine etwas sehr hybride Mischung aus Politik und Kultur. Bei der auffälligerweise ihr geistiger Urheber, der türkischstämmige Schriftsteller Feridun Zaimoglu, fehlte. Aus ihrer sozialen Nische sind sie mit dem fröhlich-aggressiven Happening noch nicht herausgekommen. Trotzdem hat es eine unterschlagene Befreiungsgeschichte sichtbar gemacht, die noch nicht unbedingt historisches Allgemeingut ist. In welchem Geschichtsbuch steht, dass die "Gastarbeiter" seit den sechziger Jahren, oft gegen die Gewerkschaften, für bessere Löhne und menschenwürdiges Wohnen kämpften und 1973 die Kölner Ford-Werke lahm legten?

Der kämpferische Antirassismus, mit dem nun der Burgfrieden der naiven Multikultur aufgekündigt werden und Migranten sich aus ihrer Objektrolle befreien wollen, kommt nicht von ungefähr. Denn trotz ihrer symbolischen Einverleibung in Mode oder Pop hat sich an ihrer materiellen Lage in Deutschland nicht entscheidend viel verbessert. Vom Staatsbürgerrecht bis zur Residenzpflicht von Flüchtlingen. Auch wenn man sich manchmal wundert, warum sie hier sesshaft werden wollen, wenn Kanak-Sein doch "überall zu Hause sein" heißt. Aber viele ihrer Kinder, die in Deutschland aufgewachsen sind, dürfen noch immer nicht wählen. Und müssen sich dann noch von "Hurensohn" Edmund Stoiber rassistisches Geschwätz gefallen lassen.

Gleichzeitig kleidet sich die Republik immer lieber in Kanak-Chic. Von Sabrina Setlur bis Cherno Jobatey. Oder liegt dem küsschenverteilenden Edel-Kanaken Tarkan zu Füßen, dem Elvis vom Bosporus, der 1972 im deutschen Alzey geboren wurde und heute in New York lebt. In Berlin-Kreuzberg und Prenzlauer Berg sind das migrantische Lumpenproletariat und die sesshafte Kulturschickeria lifestylemäßig oft nur schwer zu unterscheiden. Bastardkultur ist da Trumpf. Wenn jeden letzten Samstag im Monat im tiefsten Kanak-Kreuzberg im schwul-lesbischen Nachtclub Gayhane, einer der beliebtesten Dance-Attraktionen in der Hauptstadt derzeit, sich um Mitternacht androgyne Jünglinge ölig auf der Bühne räkeln, werden zwar auch orientalische Klischees bedient. Aber wenn die Transe Scheherezade mit Kopftuch und Brille wie eine türkische Putzfrau auf die Bühne tritt, verlegen die falschen Möpse zurechtrückt und das gemischtgeschlechtliche Publikum wie eine dumme Naive begrüßt, will sie das Klischee von der geistig leicht minderbemittelten Kümmeltürkin auf den Arm nehmen.

"Dieser Song gehört uns" heißt die neue Hymne von Kanak-Attak. Dass die Kanaken ihre öffentliche Repräsentation selber bestimmen wollen, geht in Ordnung. Dass Kanaken nicht die besseren Menschen sind, zeigt der tiefe Fall von Heinz Eggerts schwarzem Vorzeigepolizisten zum Kriminellen, Sam Meffire in Sachsen. DJ Mahmut als Bundeskanzler wäre uns dagegen hochwillkommen. Aber so wie er in Trainingshose und Wollmütze seinen Kanak-Pride zum kostbaren Differenzgewand stilisiert, läuft Kanak-Attak, nach dem kolonialen Klischee, Gefahr nun selber eins zu produzieren: den schönen Hybriden.

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