Im Minigolf der Nationen

Biennale Vielleicht kann das nur einem Ausländer gelingen: Der Brite Liam Gillick will Deutschland in der NS-Kulisse der Biennale von Venedig umbauen

Kann man im Deutschen Pavillon in Venedig Kunst zeigen? Vor zwei Jahren stand die Bildhauerin Isa Genzken vor dieser leidigen Frage. Den Jüngern der „Weltsprache Kunst“ muss es immer komisch vorkommen, in diese nationalen Hundehütten gesteckt zu werden. Doch der Deutsche Pavillon in dem bizarren Minigolf der Nationen in den venetianischen Giardini hat noch ein besonderes Handicap. Über dem neoklassizistischen Bau steht in großen, eckigen Lettern ein Wort, das leise Schauer über den Rücken laufen lässt: Germania. Erbaut haben ihn die Nazis. Was immer man in ihm ausstellt: Irgendwie grüßt von hier für Deutschland noch immer der Führer.

Genzken verhängte 2007 den deutschen Pavillon einfach mit einer orangefarbenen Bauplane. Andere gingen rabiater vor: Günther Uecker vernagelte 1970 einen der Pfeiler des Portikus. 1993 hackte Hans Haacke den Boden der martialischen Kunstlaube auf, hängte ein großes DM-Zeichen über die Tür, wo früher das Hakenkreuz hing und im Inneren ein Foto auf, das Hitler beim Biennale-Besuch 1934 zeigte. Wieder andere versuchten es mit Umwidmung. So hatte Felix Droese den Pavillon 1988 in ein „Haus der Waffenlosigkeit“ verwandelt. Was Karl Marx über die Revolution des Louis Bonaparte in Frankreich schrieb, passt auch auf den „deutschen Auftritt“ auf der Biennale „Die Tradition aller toten Geschlechter lastet wie ein Alp auf dem Gehirne der Lebenden“.

Vielleicht konnte es wirklich nur einem „Ausländer“ gelingen, einen Ausweg aus dieser Identitätsfalle wenigstens einmal anzudenken, statt sich immer nur neu an ihr abzuarbeiten. Jedenfalls hat der Brite Liam Gillick, der Deutschland in diesem Jahr auf der Biennale vertritt, einen Plan des Documenta-Gründers Arnold Bode aus den fünfziger Jahren ausgegraben. Der Kunstprofessor wollte den Portikus ummauern und seine Wände weiß tünchen, ihn also zum klassischen White Cube umwidmen. Die NS-Drohkulisse ließe sich so zu einer „Architektur der Bescheidenheit“ umfunktionieren, begeisterte sich der Kurator des deutschen Pavillons, Nicolaus Schafhausen, vergangene Woche in Berlin, als er den 1964 geborenen Gillick erstmals präsentierte.

Die Wiedervorlage der Bode-Akte mutet wie ein genialer Schachzug an. Hat aber einen Hauch von Ikonoklasmus: Der deutschen Untugend, sich der historischen Bauteile zu entledigen, mit denen man sich erinnerungstechnisch schwer tut. Gut – ganz abgerissen würde der Pavillon nicht. Auch die Nazis haben das 1908 als bayerischer Pavillon errichtete Haus umgebaut. Aber ist er nicht nun seinerseits ein, wenn auch unliebsames Monument? Bislang ist auch noch niemand auf die Idee verfallen, Hermann Görings Reichsluftfahrtministerium, in dem jetzt der Bundesfinanzminister residiert, mit Bauhaus-Fassaden zu verkleiden, um dort demokratische Steuerpolitik zu ermöglichen.

Steckt nicht auch in Bodes Idee der Zwang, so etwas Seltsames wie eine nationale Identität zu behaupten, diesmal eine zivilisatorisch verträgliche? 114 Jahre nach ihrer Gründung krankt die „Mutter der Biennalen“ schwer an dem überlebten Nationenprinzip. Vielleicht sollte man im Zeitalter der interkulturellen Kommunikation die Pavillons an der Lagune immer neu auslosen. Erst wenn ein Brasilianer den rumänischen und eine Deutsche den kanadischen Pavillon bespielen muss, würde uns das Ergebnis wirklich einmal überraschen.

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