Im Nebel der Aufklärung

Lichtkunst Der amerikanische Künstler James Turrell hat das Kunstmuseum Wolfsburg mit einer riesigen Lichtinstallation beglückt

Die Entdeckung des Lichts. So hat der Schriftsteller Ralf Bönt seinen jüngsten Roman genannt. Darin beschreibt er die Lebensgeschichte des englischen Physikers Michael Faraday. Der Sohn eines Schmieds fand Mitte des 19. Jahrhunderts heraus, dass Licht nicht nur einfach Licht ist, sondern aus elektromagnetischen Wellen besteht, die sich endlich ausbreiten.

Wenn ein junger deutscher Autor diesem Mann, 160 Jahre nach seinem Geistesblitz, ein Buch widmet, zeigt das: die Faszination dieses seltsam ungreifbaren Urstoffs, ohne den es kein Leben gäbe, ist ungebrochen.

Die Faszination des deutschen Autors mit Faradays Entdeckung teilt der amerikanische Künstler James Turrell. So wie der 1943 in Los Angeles geborene Mann seine ganze Arbeit dem Licht widmet, hat man manchmal das Gefühl, er wolle es noch einmal erfinden. Aber seine auffälligen Licht-Installationen, eine davon ist gerade im deutschen Wolfsburg zu sehen, macht das Licht auf eine einzigartige Weise sichtbar. So könnte man das Lebenswerk Turrells vielleicht am besten zusammenfassen.

Denn seit seiner frühen Jugend haben Faradays Wellen Turrell nicht mehr losgelassen. Dadurch ist der kleine Junge, der sich während des Zweiten Weltkriegs in der Stadt am Pazifik fasziniert die Lichtstrahlen verfolgte, die während der Verdunklung durch die schwarzen Vorhänge fielen, zu einer der wichtigsten Licht-und Land-Art-Künstler der Welt avanciert.

Gleißendes Licht

Kaum eines der vielen Museen auf der Welt, das ohne eine „Turrell-Raum“ auskommt: Kleine, intensiv ausgestrahlte Räume in gleißendem Licht, meist in einem hellen, transparenten Magenta, in denen alle Sinne ins Tanzen zu kommen scheinen, sobald man sie betreten oder in sie hineingeschaut hat.

Turrell arbeitet mit sogenannten „Ganzfeldern“. Der Begriff aus der Gestaltpsychologie der dreißiger Jahre des letzten Jahrhunderts bezeichnet die Idee eines unstrukturierten, homogenen und grenzenlosen Lichtraumes. In einem solchen Feld verschwimmen für den Betrachter wegen der Reflex- und Kontrastlosigkeit nach kurzer Zeit alle abgehobenen Effekte – die Frage danach, warum man was sieht und welche Bedingungen dafür erfüllt sein müssen, steht quasi leuchtend im Raum.

Wesentlich Neues fügt die Arbeit, die der 61-jährige Amerikaner, mit seinem weißen Rauschebart eine Mischung aus Wikinger und Weihnachtsmann, für gut fünf Monate im Kunstmuseum Wolfsburg installiert hat, seinem Oeuvre nicht hinzu. Es sei denn, man misst die Bedeutung eines Werks an den Superlativen, in die es sich im Lauf der Jahre hineinsteigert.

Mit elf Metern Höhe und einer Fläche von 700 Quadratmetern ist das Wolfsburg Project, das Turrell in den Innenraum des 1995 eröffneten Kunstmuseums hat bauen lassen, die größte Installation, die er jemals gebaut hat. Und mit über 30.000 Leuchtdioden, 65.000 Helligkeitsdifferenzierungen und Millionen von Farbnuancen schöpft Turrell die Möglichkeiten, die die moderne Lichttechnik heute bietet, voll aus.

Dass diese auf die Spitze getriebene Technik nun an die Grenzen der Wahrnehmung führen würde, kann man aber leider nicht behaupten. Wer das „Ganzfeld“ betritt, hat zwar das Gefühl, ins Schwanken zu geraten. Er beginnt, sich langsamer zu bewegen, vorsichtiger zu gehen. Kämpft sich durch das bunte Licht, das den zweigliedrigen Hohlraum erfüllt, wie durch dichten Nebel. Und was wie eine weiße Wand aussieht, entpuppt sich als verdichtetes Licht, hinter dem ein Abgrund gähnt.

Sublimes Lichtbad

Hier versteht man noch am ehesten, was Turrell meint, wenn er davon spricht, das Licht schaffen zu wollen, das man nur im Traum sehen kann. Oder das Gefühl nachbilden will, das sich einstellt, wenn man in der Dämmerung fliegt. In dem sublimen Lichtbad, dem er sich aussetzt, dämmert dem Besucher auch durchaus, was Turrell meint, wenn er davon spricht, dass er die „emotionalen Qualitäten des Lichts“ erfahrbar machen will.

Doch keiner der Kritiker, die das Werk vergangenes Woche zusammen mit dem Künstler zum ersten Mal betraten, hatte trotz längeren Aufenthalts mit Problemen bei der Körperkoordination, dem Gleichgewichtssinn und der Zeitwahrnehmung zu kämpfen. Woraus man schließen kann: Es braucht keine Weltrekorde, um die Essenz eines Werkes hervorzukehren. Viele von Turrells kleineren Arbeiten aus den früheren Jahren wirken wesentlich intensiver.

Licht ist Aufklärung sagt Museumdirektor Markus Brüderlin mit Blick auf Turrells Werk. Nicht ganz zu Unrecht. Seit der Aufklärung gilt der Grundsatz, dass die Vernunft im Stande sei, die Wahrheit ans Licht zu bringen. Seitdem begleitet dieses Zeitalter und diese Geisteshaltung eine Metaphorik des Lichts. Auf dem Kupferstich Aufklärung des Künstlers Daniel Chodowiecki symbolisiert das Licht der aufgehenden Sonne das anbrechende Zeitalter der Vernunft.

Doch dass Turrrells Werk schon immer eine spirituelle Note eignete, kann man schon daran ermessen, dass er seine Inspiration aus der Malerei eines Mark Rothko bezog. Dessen verschwommene, monochrome Farbflächen zählen zur Colourfield-Technik des Abstrakten Expressionismus, wo keine geistige Bedeutung, sondern nur die Farbwerte zählen. Für viele Rothko-Bewunderer transportieren sie aber auch eine – von Rothko nie in Abrede gestellte - religiöse Erfahrung. Turrell erinnerte sich in Wolfsburg an die erste Begegnung mit dessen Werk: „Ich hatte das Gefühl, das Bild glüht“.

Nicht dass Turrell einem kruden Transzendentalismus frönte. Er agiert wie ein Großforscher. Seit über 30 Jahren baut er in der Wüste von Arizona einen erloschenen Vulkan zu einem Himmelslaboratorium um. In dem 150 Meter hohen „Roden Crater“, den Turell zu Beginn der siebziger Jahre auf einem Flug entdeckte, will er 2012 ein Observatorium eröffnen, in dem die Phänomene des Himmelslichtes studiert werden können.

Im Krater

Wenn die Besucher in der zur Beobachtungsstation ausgebauten Kratermulde liegen, sollen sie das Gefühl haben, dass der Himmel in den sie starren, das nach außen gestülpte Innere des Berges ist, das auf dem Kraterrand aufliegt. Doch wenn Turrell sagt, dass er „mit den Augen fühlen“ wolle, hört sich das auch irgendwie nach der sanften Esoterik an, die derzeit schwer in Mode ist, als nach exakter Wahrnehmungsphysiologie.

Turrell arbeitet an der Schnittstelle von Verstand und Emotion, Wissenschaft und Kunst. Wie so viele Künstler vor ihm will auch er Sinnlichkeit und Rationalität verbinden. Zweifel an der Intention eines außerordentlich sympathischen Mannes befallen einen aber angesichts seiner immer spektakuläreren Inszenierungstechniken. Seine Kunst der meditativen Konzentration blies er 1997 gefährlich auf, als er das neue Kunsthaus Bregenz zur Eröffnung illuminieren durfte.

In Wolfsburg gelangt man nun von dem "Viewing Space" am Eingang des Wolfsburg Projects zu dem tiefer gelegenen Sensing Space diesesmal über eine schneeweiße Rampe.Der gelernte Pilot Turrell begründet diesen sanften Niederschwung mit den Flugerlebnissen seiner Kindheit und Jugend. Es habe ihn immer fasziniert, wie ein Flugzeug auf die Landschaft hinab gleitet. Doch in sein Wolfsburger „Ganzfeld“ steigt man eher wie in die Totenwelt einer ägyptischen Grabkammer. Oder wie über einen Laufsteg.

Ein Gefühl von Erhabenheit liegt in der Luft. Zusammen mit den unmerklich von Rot über Blau bis Magenta wechselnden Farben changiert die szenische Impression zwischen etwas Sakralem und einer Revue. Und man fragt sich, ob die sinnliche Erfahrung der Materialität des Lichts, um die es Turrell geht, einer Anmutung bedurft hätte, die mehr an Guy Debords Zeitalters des Spektakels erinnert, denn an die Strenge der Aufklärung.

James Turrell. The Wolfsburg Project. Kunstmuseum Wolfsburg. Noch bis zum 5. April 2010. Katalog, Hatje Cantz, 35 E





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