Wer eine Biennale kuratiert, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Weltweit gibt es nämlich inzwischen über zweihundert davon und für die Kuratoren wird es immer schwerer, sie jedesmal ganz frisch und neu und anders aussehen zu lassen. Ein Weg sind die Motti, mit denen sie diese steppenbrandartig sich ausbreitenden Festivals übertiteln. Damit soll suggeriert werden, dass sie mehr ist als ein Art-Drive-In für visuelle Fast Food.
Für 5. Berlin-Biennale sind die beiden jungen Kuratoren Adam Szymczyk und Elena Filipovic auf das Motto When things cast no shadows verfallen. Da brauchen sie sich nicht zu wundern, dass automatisch das Schatzkästlein der Metaphern aufgeht und das Springteufelchen Peter Schlemihl hervorschnellt. Wer Adelbert von Chamissos romantische Novelle gelesen hat, weiß, dass Schattenlosigkeit kein schönes Schicksal ist. Der Mensch ohne Schatten ist der Außenseiter schlechthin. Alle meiden ihn. Wer seinen Schatten für ein Glückssäcklein verkauft, der verkauft seine Seele.
Doch wie hängt das jetzt mit der Kunst zusammen? Wenn es Szymczyk und Filipovic im Sinn gehabt haben sollten, mit dem schillernden Titel eine Warnung vor der Identitätspreisgabe auszusprechen, dann darf man diese Biennale als gescheitert betrachten. Denn wenn man etwas vergebens sucht in dieser Schau, dann eine Kunst, die ein markiges Identitätszeichen setzt. Es sei denn, man hält den Teerfußboden, den der türkische Künstler Ahmet Ögüt in der zentralen Halle der Kunst-Werke ausrollen durfte, schon für eines: Teer als Symbol der Modernisierung, als Stoff und Farbe der Macht, auf der nichts einen eigenen Schatten wirft. Doch was Ögüt für markant wirken könnte, ist nur plakativ.
Die bunten Fahnen, die der Berliner Künstler Daniel Knorr an das Dach von Mies van der Rohes Neue Nationalgalerie gehängt hat, sind noch das marktschreierischste Werk in einer Biennale, die sich ansonsten demonstrativ in ästhetischer Zurückhaltung übt. So zurückhaltend, dass man sich mitunter fragt, ob denn nichts hier wenigstens einen Schatten der Sinne wirft. Und auch Knorrs Flaggen wirken nur vordergründig wie Schmuck für einen fröhlichen Jahrmarkt. Man fühlt sich bei der vierteiligen Schau an die Documenta X von Catherine David erinnert. Die französische Kuratorin verzichtete 1997 auf alles, was auch nur entfernt an Kunstmarkt-Kunst erinnerte, stellte ein paar Inkunabeln der politischen Kunst von Marcel Broodthaers bis Hans Haacke in das Fridericianum und ließ die Besucher ansonsten in die Video-Röhre gucken.
In Berlin äußert sich der Versuch, den marktkonformen Erwartungen an "schöne" Kunst zu verweigern, in einer ebenso stiefmütterlichen Behandlung der Malerei wie damals in Kassel. In der Audioinstallation Appointement with History/Communist Manifesto, wo der berühmte Marx-Text aus Lautsprechern vor einer Serie von Ölbildern erschallt, die unscharfe, revolutionäre Szenen zeigen, ist sie jedenfalls nur noch die stumme Magd der Didaktik. Ansonsten stehen die Besucher vor so traurigen Werken wie dem der englischen Künstlerin Tris Vonna-Michell. Im verdüsterten Dachgeschoß der Kunst-Werke kann man in einer ebenso düsteren Diashow den allmählichen Verfall der einstigen Autometropole Detroit nacherleben. Oder vor den Fotocollagen des kroatischen Künstlers David Maljkovic. Auf ihnen hat er die zerfallenden Messebauten in seiner Heimat Zagreb mit Bildern aus den glorreichen sozialistischen Zeiten verschnitten. Einmal mehr kann man sich der postsozialistischen Depression hingeben
Die Crux bei dem Versuch, die modischen Genres und die angesagten Namen zu unterlaufen, endet in Berlin oft genug im Skurrilen. Manchmal macht man freilich auch Entdeckungen. Eine davon ist der Film des norwegischen Künstlers Lars Laumann in einer Holzhütte auf dem ehemaligen Mauerstreifen über Eija-Riitta Berliner-Mauer. Die 54jährige leider unter "Objektsexualität" und ist seit 1979 tatsächlich verheiratet mit der Berliner Mauer. In Laumanns Film weiß man manchmal nicht, ob man träumt, ob man weinen soll vor Rührung oder lachen. Über das sonstige Gestänge in dem zum "Skulturenpark" geadelten Gestrüpp auf einer Brache zwischen Mitte und Kreuzberg schweigt des Kritikers Höflichkeit. Immerhin geht das bei allen Biennalen hoch im Kurs stehende Konzept, mit Kunst vergessene städtische Räume zu erschließen, einmal wirklich auf.
Dass die aesthetical sproedness, der sich diese Biennale befleißigt, auch ihre Vorteile hat, kann man in der Neuen Nationalgalerie sehen. Zunächst halt man das wochenmarktähnliche Ansammlung in dem Licht durchfluteten Obergeschoß dieses Heiligtums der Moderne für eine Art gehobenen Sperrmüll. Doch bald schon merkt man, dass dieser installative Flickenteppich ein konsequentes Gegenprogramm zu Mies´ monumentalem Raster formuliert. Am überzeugendsten verkörpert sich das vielleicht in Aleana Egans subtil verbogenem Metallband, das sie zwischen die zwei mächtigen Marmorsäulen in der Mitte der Halle gehängt hat. Und Daniel Knorrs Flaggen an dem Signalbau wehen nicht etwa für souveräne Weltläufigkeit, die mit dem Bau gemeinhin identifiziert wird, sondern signalisieren die Persistenz ihres bornierten Gegenteils. Denn sie tragen die Farben der 58 in Berlin ansässigen Burschenschaften. Doch so aufschlussreich der Versuch ist, die Aporien, die Rückseite der Moderne auszuloten. Keines der Werke reißt den Betrachter wirklich mit. Und selbst so forciert beiläugig und kleinteilig sie auftreten, stehen sie im Banne, oder soll man sagen: Schatten? der ganz großen Moderne.
Dass ein Teil der mit rund 150 Künstlern wohltuend maßvoll bestückten Biennale nachts, in Kellern, Schulen und U-Bahnhöfen stattfindet, gibt ihr einen Ruch von Nightlife. Und ist einer der nicht endenden Versuche, die Kunst "ins Leben" zu verlängern, anstatt sie so davon zu sondern, dass sie einem das unsichtbare Geheimnis des Lebens verstehen hilft. Und auch wenn das die Besucherzahlen steigert: Das Rad der Kunst wird dabei kaum neu erfunden werden. Cyprien Gaillards Film über den Bau des Sitting-Bull-Denkmals aus einem Berg in South-Dakota, der den Auftakt einer Reihe von 63 "Werk"-Abenden bildete, ist ein mäßig poetisierter Dokumentarfilm über ein spannendes Kapitel der an problematischen Monumenten reichen Kunstgeschichte. Auch die Projektion auf eine Häuserwand auf der Kreuzberger Skulpturenbrache wird nicht als paradigmatische Wende in die Kunstgeschichte eingehen, sondern eher als verregnetes Freiluftkino. Selbst zur Erhellung der schönen Lichtmetaphorik des Biennaletitels trug der Abend nicht viel bei. Denn nachts sind bekanntlich selbst die Schatten grau.
5. Berlin-Biennale When Things cast no shadows. Kunst-Werke Berlin, Neue Nationalgalerie. Schinkel-Pavillon. Skulpturenpark. Noch bis zum 15. 6. 2008. Katalog jrp Ringier, 32 E, Kurzführer 5 EUR
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