An diesem Samstag wird in Lübeck ein denkwürdiges Schauspiel aufgeführt. Es heißt: Ehrung eines Verfemten. Pünktlich zum 80. Geburtstag von Günter Grass verwandelt sich die kleine Hansestadt in ein Heiligendamm der Literatur. Im Stadttheater zu Lübeck schart sich die Spitze des deutschen Staates um einen, der sich vor Jahresfrist noch als "Unperson" geschmäht und kurz vor der Expatriierung sah. Die Akkreditierung für Journalisten ist ungefähr so kompliziert wie für den G8-Gipfel in diesem Sommer. Es gibt Fotos mit dem Bundespräsidenten und "Poollösungen" für TV und Radio. Und man wundert sich, dass noch kein Zaun um das Grass-Haus errichtet wurde, um den heiklen Staatsakt zu sichern. Wer umarmt hier wen? Die Kunst die Politik, oder doch eher umgekehrt?
Nichts könnte den Zwitterstatus des Geehrten besser demonstrieren als das Gruppenbild mit Köhler, das nach dem Lübecker Gipfel in alle Welt gehen dürfte. Auf der einen Seite gibt sich der Jubilar gern als die Stimme der Entrechteten, der auf politische Macht und Herrlichkeit pfeift. Trotzdem schafft er es immer wieder, den Anschluss an den Mainstream nicht zu verlieren, der seinen donnernden Invektiven erst den nötigen Widerhall verleiht. Grass liebt es, mit den Mächtigen zu grollen. Trotzdem schmeichelt es ihm, wenn ihm ein Bundeskanzler, wie weiland Gerhard Schröder, das Rotweinglas bei einer Lesung im Kanzleramt hinterher trägt.
Eine neuerliche Demonstration dieser geradezu jusowürdigen Doppelstrategie gab der Mann aus Danzig eine Woche vor dem Lübecker Staatsgeburtstag, als er seine Unterstützung für den Wahlkämpfer Michael Naumann in Hamburg bekannt gab - von den SPD-Spitzenkandidaten, die derzeit die Macht in den Bundesländern zurückerobern wollen, gewiss der rechteste. Könnte Grass, der unter dem notorischen Verdacht steht, erst unter großem Getöse links zu blinken, dann aber im entscheidenden Moment doch wieder in die Sackgasse SPD einzubiegen, uns nicht ein einziges Mal überraschen, indem er, wenigstens versuchsweise, auch mal für die Linkspartei zu Felde zieht?
Egal: Angesichts des mächtig anschwellenden Grassgesangs derzeit freut man sich, dass ein paar Respektlose nicht ganz in Andachtsstarre verfallen wollen. Doch wer den von dem Berliner Publizisten Klaus Bittermann herausgegebenen Sammelband über den Kulturbetriebsintriganten Günter Grass in die Hand nimmt, sieht sich enttäuscht. Denn die Autoren des offenbar sehr eilig zusammengezimmerten Bändchens machen sich - der Titel sagt es schon - gar nicht erst die Mühe, das Objekt ihrer Abneigung irgendwie ernsthaft zu untersuchen. Für eine denkwürdig große Koalition von Henryk M. Broder bis Wiglaf Droste steht ein für allemal fest: Von der Prosa über die Zeichnung bis zur Moralpredigt - an Grass ist einfach alles schlecht. So mies wie der Nobelpreisträger in diesen Aufsätzen wegkommt, dürfte nicht einmal der Teufel vor dem Jüngsten Gericht dastehen.
Nun gehört die Literatur von Günter Grass, mit Ausnahme der Blechtrommel, gewiss nicht zu den Meilensteinen der literarischen Avantgarde. Man darf durchaus der Meinung sein, dass der Schriftsteller "völlig überschätzt" (Bittermann) und seine Kunst ein Rückfall in die "Ästhetik der 50er Jahre" (Eckhard Henscheid) ist. Doch mit Henscheids tiefgründigem Verdikt "Gestopsel" ist dieses Phänomen wohl ebenso wenig erklärt wie Grass´ großer Zuspruch beim Publikum mit Leserbeschmimpfung und Verschwörungstheorie: Bittermann glaubt an den "mit dem Literaturbetrieb abgesprochenen Skandal". Demnach hätten Reich-Ranicki und Grass beim Verriss von Ein weites Feld unter einer Decke gesteckt. Na ja.
Es gibt semilustige Geschichten in diesem Bändchen wie die des Dortmunder Kabarettisten Bernd Gieseking. In Memoiren einer Zwiebel schlummert dieses Grundnahrungsmittel in einem Lübecker Supermarkt der Häutung entgegen und vernimmt als erste Grassens stotterndes Geständnis. Oder rachsüchtige Anekdoten: Wie Grass 1999 im Thalia-Theater seines Freundes Jürgen Flimm zu einem billigen Nobelfeierfrack gekommen ist. Doch gerade diese Mischung aus kleinen Gehässigkeiten und pauschalen Schmähungen macht die die Lektüre von Qual und Gequalle auch wieder so ungenießbar wie manche Einlassung des Kritisierten selbst. Zu den lesenswerten Aufsätzen gehört der von Mark Olbert von der Frankfurter Rundschau. Sein Diktum von Grass als dem "banalen Deutschen", dessen Beharren auf der späten und rein literarischen Aufarbeitung seiner Verstrickung in das NS-System diese Bewältigungsarbeit entpolitisiert habe, kann man nur dick unterstreichen. Der großartige Satiriker Wiglaf Droste richtet sich mit der infamen Wendung von dem "geistigen Zementsack" und Grass als "SSPD-Kreatur" dagegen einfach nur selbst.
Für die Erkenntnis, dass Grass ein mimosenhafter Egomane ist, hätten wir dieses Buch nicht gebraucht. Das wussten wir schon länger. Wenn Gerhard Henschel klagt, dass "jedes Buch von Grass ... hundert besseren den Platz weg" nimmt, kommt man den Motiven der Autoren schon näher. So ritualisiert und widersprüchlich Grass die Rolle des Präzeptors auch ausfüllt - es bleibt mit sein Verdienst, in der Nachkriegsrepublik West den Typus des engagierten Schriftstellers und eine Diskursöffentlichkeit durchgesetzt zu haben, die auch seine Kritiker notfalls selbst gern in Anspruch nehmen. Einige davon entstammen der "Frankfurter Schule", die sich auf ihre Ironie etwas einbildet. Doch so undifferenziert, selbstgerecht und bierernst, wie sie in diesem Buch auf einen vermeintlichen Blender verbal einprügeln, sehen sie ihrem geliebten Hassobjekt verflixt ähnlich. Und - wenn Grass so überschätzt ist, wie sie sagen,warum widmen sie ihm dann ein ganzes, wütendes Buch?
Klaus Bittermann (Hg.): Literatur als Qual und Gequalle. Über den Kulturbetriebsintriganten Günter Grass. Edition Tiamat, Berlin 2007, 127 S., 12 EUR
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