Endlich wird die Abeit knapp". Ein Werkzeugkasten schwebt im strahlend blauen Himmel. Auf einem Berliner Plakatständer, da, wo man normalerweise Automobil- oder Klamottenreklame erwartet, stutzt man über den plakativen Spruch. Erst wenn man unter dem Bild das Stichwort "politisches engagement und grafik" liest, ahnt man, dass hier kein Werbeslogan lockt, sondern eine ironische Volte auf die Probleme der auslaufenden Arbeitsgesellschaft. Das Plakat gehört zum Ausstellungsprojekt der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst, die eine Auswahl zeitgenössischer politisch-engagierter Grafik, vornehmlich aus Frankreich, zusammengestellt hat. Das Adjektiv ist dermaßen außer Mode gekommen, dass man erst einmal zusammenzuckt und das trotzige Festhalten an den Ladenhütern alter Zeiten befürchtet. Doch geballte Fäuste sind in der Kreuzberger Ausstellung eigentlich nicht zu sehen. Denn auf dem metallicblauen Werkzeugkasten des Plakats von Martin Klintworth steht der Spruch: "Recht auf Faulheit".
Soziales Grafik-Design. Dass sich in einem der beliebten Modeberufe immer mehr Menschen fragen, ob und für wen sie arbeiten wollen, ökologisch bedenkliche Projekte, rassistische Firmen oder Waffenschmieden nicht mehr als Auftraggeber akzeptieren wollen, kurz, dass auch in einer abhängigen Gebrauchskunst "sowas wie Verantwortung" eine Rolle spielt, ist keine völlig neue Entwicklung. Schon in den achtziger Jahren wagte die amerikanische Werbegrafikerin Barbara Kruger den Ausstieg aus der Branche und wurde mit den überdimensionierten Schriftzügen, die die fatalen Verheißungen der Konsumgesellschaft mit ihren eigenen Mitteln aufs Korn nahmen, zur international anerkannten Pop-Artistin. Und mit seiner Arbeit bei der italienischen Modefirma Benetton hat der Fotograf Arturo Toscani der Antiwerbung einen ungeahnten Boom beschert.
Dieses Streben weg vom Weichzeichner und kommunikativen Zerstäuber von Industrie- und Konsuminteressen hin zu ästhetischer Autonomie hat einen neuen Grenzbereich von Ästhetik und Politik hervorgebracht. In ihm agieren in Frankreich Gruppen wie die Graphistes Associes oder Le bar Floréal, die im Hinterzimmer einer Pariser Arbeiterkneipe entstand. Statt suggestiver Verführungsbotschaft wollen sie "Bilder von Bedeutung" kreieren. Das Spektrum dieser neuen Mischung aus Volksaufklärung, Bürgerinitiave und Kunst reicht von Motiven für Kampagnen zur Sexualaufklärung oder multikulturellem Lernen in französischen Vorstädten bis zum solitären Plakat ohne jeden öffentlichen Auftrag.
Zwar hört man in dieser kleinen Community neuerdings Vokabeln von einer "positiven Abhängigkeit" der Grafik zu politischen Kämpfen, von Grafik "im Dienst der Gemeinschaft" und Fotografie "zum öffentlichen Nutzen". Doch ist damit mehr eine generelle gesellschaftliche Bewusstwerdung gemeint als eine neue Aktionseinheit oder politisch-ästhetische Dogmen. Die neue Grafik in Frankreich lehnt eine "Hyperverantwortlichkeit" ab, weil sie einen zum Fanatiker mache. Sie will, wie ein engagierter Grafiker der ersten Stunde, der Pariser Malte Martin, im Interview der Ausstellungsmacher diesen pragmatischen Dritten Weg der engagierten Ästhetik zwischen Überzeugen und Überleben beschreibt, Plakate gegen Le Pen machen, scheut sich aber auch nicht, eine Web-Site für L'Oreal zu bauen. Von irgendwoher muss das Geld für das Atelier schließlich kommen. Es gibt auch keine klassischen Kollektive mehr, sagt das Hamburger Grafik-Büro Linke Händl, so wie die legendäre, aus dem französischen Mai '68 hervorgegangene Grafikergruppe Grapus mit ihren Ateliers populaires, für viele immer noch ein Vorbild engagierter Kunst.
Von der engagierten Kunst eines John Heartfield oder der Einmischungsästhetik der 70er und 80er Jahre, für die Klaus Staeck Maßstäbe setzte, unterscheidet sich diese Grafik, als sie neben den politischen Aussagen auf so etwas wie eine Strategie der paradoxen Intervention im öffentlichen Raum setzt. Zwar wollen Gruppen wie die französische Ne pas plier, ein Zusammenschluss von "Bilderproduzenten und Freunden der visuellen Expression", die Themen wie Arbeitslosigkeit und Fremdenfeindlichkeit zu Bildern machen, "Zeichen machen, die sehr direkt sind", so Gérard Paris-Clavel. Und die Axt, die Malte Martin auf die Lettern: "La France-Pays des Droits de l'homme" gesetzt und zu einem Plakat gegen die französische Immigrationspolitik gemacht hat, das Demonstranten auf antirassistischen Kundgebungen tragen, ist sehr direkt.
Vielen Grafikdesignern der neuen Generation geht es aber, wie der Grafiker Pascal Colrat sagt, darum, "komplexe Reaktionen" hervorzurufen, die Menschen zu einer imaginativen Eigentätigkeit zu animieren und nicht etwa nur, ihnen einen bestimmten Slogan ins Hirn zu hämmern. "Ich will einen politischen Umgang mit der Kunst. Ich will keine politische Kunst. Politische Kunst ist dumm" sagt Clavel. Und "in Bezug auf die Überfülle von Werbebildern, die das Hirn zermürben" - beschreibt Colrat diese Strategie, "Sinn zu produzieren" -, "ist es wichtig, Bilder zu zeigen, die einfach nachdenklich machen und auch schön sind".
Das verschwiemelte Gemenge aus roten Fahnen, Flyern und verkohltem Solifood, die auch dieses Jahr wieder die Kreuzberger Maifeiern dominierte, zeigten einmal mehr, wie wenig entwickelte visuelle Strategien linke und alternative Gruppen in Deutschland anwenden. Meist überwiegt eine trotzige Antiästhetik samt Gejammere über die visuelle Umweltverschmutzung und den brain-wash durch das Übermass an Werbung, die den öffentlichen Raum im Griff hält. Gegen dieses kommerzielle Bilderbombardement mit seiner Augenwäsche, behauptet Clavel, braucht es "mehr Staat". Obwohl gerade nichtstaatliche Aktionen wie die des Ost-Berliner Grafikers Manfred Butzmann, der mit seiner Bilderserie "Kein Platz für Bäume" in den achtziger Jahren ins Visier der DDR-Behörden kam, zeigen, wie erfolgreich das Beharrungsvermögen von Einzelnen sein kann.
So klein die alternativen Grafikgruppen auch sind - die Beispiele aus Frankreich zeigen neue Handlungsfelder der Kulturpolitik. Bilderpolitik könnte man sie nennen. Im französischen Fontenay-Sous-Bois zum Beispiel errichtete die Stadtverwaltung ein Netz von öffentlichen Plakattafeln, von denen eine bestimmte Anzahl Vereinen und freien Gruppen zur Verfügung gestellt wurden. Auf ihnen konnten ein Salon de l'Ephémère und die Graphistes dans la rue Bilder-Aktionen durchführen. Damit ließe sich nicht nur wenigstens ein Teil des öffentlichen Raumes, also ein Stück Demokratie wiedergewinnen.
Die öffentliche Stimulierung privater Phantasien ist auch ein Stück Wiedergewinnung verlorener Utopien. Die basieren, zitiert Gerard Paris-Clavel den französischen Philosophen Paul Ricouer, "auf dem Gedächtnis der Dinge, die wir noch nicht realisieren konnten". Bilder machen, was sie wollen. Wer weiß, was Pascal Colrats Plakat von der Aktion von Fontenay auslöst: "Ich hab's satt zu warten", hat er seine roten und grünen Ampelmännchen auf dunklem Grund vielsagend übertitelt.
politisch/soziales engagement design. Ausstellung in der NGBK, Oranienstrasse 25, Berlin, noch bis zum 4. Juni 2000, Katalog 22.- DM
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