Konkret

Linksbündig Gibt es eine Renaissance des Kommunismus?

War es Zufall? War es Notwendigkeit? Jedenfalls war der Zeitpunkt gut gewählt. In Washington wurde gerade "The Man, who beat Communism" (The Economist) zu Grabe getragen. Da erscholl am nämlichen Wochenende aus Berlin der Ruf, sich auf die Mission des Kommunismus zu besinnen. Und zwar ausgerechnet im "Café Moskau" an der Karl-Marx-, ehemals Stalin-Allee.

Ein Gefühl der Erhabenheit beschleicht einen an dieser Stelle. Die monumentale Anlage vermittelt noch immer etwas von der Kraft einer großen Utopie. Für den dystopischen Alltag ist die Prunkmeile allerdings weniger geeignet. Im Schatten der gewaltigen Blocks fühlt sich der Fußgänger wie eine Ameise. Und wer auf der einstigen Magistrale zum Sozialismus Bedarfsmittel des Alltags sucht, muss auf die Schwarzmärkte der Vietnamesen in den Seitenstraßen ausweichen.

Wenn ausgerechnet in diesem zwiespältigen Ambiente aus Opulenz und Mangel im Kreise führender Intellektueller Osteuropas der Kommunismus als "das erste postnationale Gesellschaftsmodell" gelobt wird, darf man aufhorchen. Und es entbehrte nicht der Ironie, dass dieses Prädikat aus dem Mund von Boris Groys kam. Der 1947 in Berlin geborene, russische Kunsthistoriker, durch seine Bücher über das Gesamtkunstwerk Stalin und Die Erfindung Rußlands zu einer der eigenwilligsten Analytiker der verflossenen Sowjetunion aufgestiegen, ist so etwas wie die Sphinx der internationalen Kunstkritik. Nie ist er auf Symposien rund um den Globus um eine nebulöse Theorie verlegen. Um sie gleich danach mit vieldeutiger Ironie wieder in Frage zu stellen. Doch diesmal meinte Groys seine Warnung vor einem politischen Regress wirklich ernst.

Man darf das Lob des Universalismus im Kommunismus nicht mit Sympathie für die stalinistische Praxis verwechseln. Doch wenn in Russland die Schriften des örtlichen Propheten des Neoliberalismus, Jegor Gajdar, so verbrannt werden wie nach `89 die Schriften von Marx und Engels, wenn sich dort neuerdings die Opposition unter den Bildern von Lenin und Zar Nikolaus II. versammelt, gehört nicht viel prophetische Begabung für die Voraussage: Da braut sich was zusammen!

Kein Wunder! Dass das Reich des Guten, das Ronald Reagan hinterließ, den Glücksversprechen des gescheiterten Kommunismus näher gekommen wäre, werden auch hartgesottene Kapitalisten nicht behaupten. Zwar hat der Markt nicht nur den Künstlern im Osten viele Freiheiten gebracht. Andererseits hat sich in den Nachfolgestaaten des kommunistischen "Ostblocks" eine Renationalisierung und -ethnisierung der Politik durchgesetzt, die nicht nur Groys Angst einjagt. Und als der deutsche Autor Ingo Schulze kürzlich im Jemen mit der Lage der Frau im real existierenden Islam konfrontiert war, entfloh dem DDR-Skeptiker zum eigenen Erschrecken der Satz: "Da hilft nur noch der Sozialismus."

Kein Mangel an Problemen also, denen man nur mit einer universalen Perspektive beikäme. Die Frage ist nur, wie sie sich gegen die globale durchsetzen könnte, die sich der flexible Kapitalismus längst angeeignet hat. Auf der linken Seite gibt es gewiss so etwas wie einen "falschen Universalismus", vor dem die Londoner Postmarxistin Chantal Mouffe warnte. Was früher Internationalismus hieß, ist heute zum kosmopolitischen Chic der Miles-and-more-Internationale mutiert. Das einstige Aushängeschild der Arbeiterbewegung wird auch gerne mal zum "deutschen Weg" umdefiniert. Notfalls ordnet sich dann aber doch alles dem amerikanischen Modell unter.

Dass man dessen Hegemonie mit einem multipolaren Regionalismus brechen könnte, wie er Mouffe vorschwebt, mag sein. Obwohl auch dieses Modell anfällig für den Rassismus unter dem Deckmäntelchen der Multikultur ist, vor dem die russische Kunstkritikerin Ekaterina Degot warnte. Bei Mouffes Ruf nach einer "radikalen Negation" der Verhältnisse meinte man überdies die ungute linke Sehnsucht nach dem klaren, alten Feindbild wieder zu hören. Mit dem kann man sich in der Nische der Ablehnung gut einrichten und braucht sich nicht der Mühsal zu unterziehen, positive Alternativen für das Leben hier und jetzt auszuarbeiten. Auf die werden die Verdammten dieser Erde aber nicht mehr lange warten wollen. In dem Video An Eye for an Eye des polnischen Künstlers Artur Zmijewski aus dem Jahr 2000, das man in den Berliner Kunstwerken sehen kann, kann ein Einbeiniger nur laufen, weil er sich auf das Bein eines Gesunden stützt: Solidarität ist konkret.


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