Monatelang hatten alle gerätselt. Was würde Liam Gillick in diesem Jahr mit dem Deutschen Pavillon in Venedig machen? Als der britische Künstler im Februar in Berlins Hamburger Bahnhof ein „Statement“ abgab, waren alle Zuhörer ratlos. Es klang schwer politisch, was er da im edlen White Cube von sich gab. Mehr wie eine Antrittsvorlesung als Gastprofessor für Sozialgeschichte als die Ankündigung einer Kunstausstellung. Keiner hatte so richtig verstanden, was das 1964 geborene Multitalent aus London, das der deutsche Kurator Nikolaus Schafhausen als „deutschen“ Vertreter auf der 53. Venedig-Biennale ausgewählt hatte, mit Sätzen wie: „Mich interessiert die Idee, das Erbe des Projekts der Spätmoderne fortzuschreiben, indem man kleine gesellschaftliche Räume besetzt und diese öffnet“. Praktisch.
Gillicks langatmige Rede konnte man als Plädoyer für die Moderne verstehen, als Kampfansage an den Neoliberalismus, als Ehrenrettung des Sozialstaats. Sie war so allgemein wie sonst nur Politikerreden sind. Und hätte sich gut im Europäischen Parlament oder auf einem Gewerkschaftskongress gemacht. Aber einen konkreten Bauplan für seine Arbeit als Künstler auf der 53. Biennale von Venedig hatte er nicht vorgelegt. Dafür stellte er ein kleines Modell neben sich. Einen Nachbau des deutschen Pavillons, wie ihn Documenta-Gründer Arnold Bode 1957 vorgestellt hatte: Einen neusachlichen Zweckbau, vom Geist des Bauhauses geprägt. „Ethische Architektur“ hatte Bode seinen Vorschlag damals genannt. Er wurde nie verwirklicht. Wollte also ausgerechnet der Brite Gillick die deutsche Nazihütte in Venedig umbauen?
Baumarkt oder Kantine?
Vier Monate später sitzt nun eine grau getigerte Katze auf einer Küchenzeile aus hellem Tannenholz in der Halle. Den Ehrfurcht erzwingenden Raum durchweht ein Hauch von Ikea. Ist man in einem Küchengeschäft? Im Baumarkt? Oder in einer Kantine? Kein Wort mehr vom Umbau des Pavillons. Umdefinieren hält Gillick offenbar doch für das bessere Konzept.
Vielleicht konnte nur ein Brite mit dieser Lässigkeit auf einen historisch kontaminierten Ort reagieren. Gillicks Vorgängern Felix Droese oder Hans Haacke war die Verbissenheit anzumerken, als sie in den siebziger und achtziger Jahren das Haus GERMANIA am Ende der lauschigen Giardini bespielten und dem Ort den faschistischen Geist auszutreiben suchten, ihn zum „Haus der Waffenlosigkeit“ erklärten und den Boden aufhackten.
Gillicks Arbeit dagegen hat nichts Angestrengtes. Bunte Plastikbänder hängen in den Türen wie in einer Studenten-WG oder einem Schnellimbiss. Seine coole Küchentheke könnte so auch in einer Discothek stehen. Operation Minenfeld geglückt: Gillicks Arbeit gibt nachträglich Nikolaus Schafhausen recht, dessen Entscheidung für den Briten Gillick auch bei fortschrittlichen, deutschen Kunstliebhabern Stirnrunzeln hervorgerufen hatte. Und es hatte schon etwas angenehm Transnationales, als der deutsche Botschafter in Italien am Vorabend der Biennale-Eröffnung die Gäste seines nächtlichen Empfangs auf der Insel San Servolo mit Rücksicht auf seinen Ehrengast in Englisch begrüßte.
Gillicks Installation unterläuft das Gefühl von Einschüchterung und Erhabenheit, das von dem 1939 von den Nazis umgebauten Pavillon noch immer ausgeht. Der Brite hat seine Küchenzeile durch die Türen der Seitenräume des Deutschen Pavillons gezogen. So durchkreuzt er die ehrfurchtgebietende Horizontale des Baus, in dem der Besucher automatisch in die Knie und der Blick nach oben geht, mit einer Vertikalen. Der faschistischen Pathosformel steht ein Symbol des Alltäglichen gegenüber.
Symbol des Alltäglichen
Gillicks Arbeit ist so cool wie eine verspätete Minimal-Arbeit. Und ist so beiläufig gemacht, wie es sich für postheroische Skulpturen gehört. Das Profane konterkariert hier das Heldenhafte, statt Weihestimmung werden menschliche Bedürfnisse aufgerufen. Küche statt Krieg – so ließe sich Gillicks venetianische Botschaft überspitzt deuten. Nur die Idee, dass die Katze auf dem Hängeschrank, die eine unverständliche Geschichte (vom Band) erzählt, für eine „zirkuläre Narration“ sorgt, die das strenge Setting aufbricht, halten wir für eine etwas aufgesetzte Überinterpretation.
In Venedig hielten sich hartnäckig Gerüchte, Gillick habe noch vor Monaten in seiner New Yorker Wohnung einer Freundin aus Verzweiflung über den schwierigen Auftrag zugeraunt: „Vielleicht sollte ich einfach meine Küche da rein stellen“. Die Kolporteure dieses Gerüchts dürften den Konzeptkünstler Gillick damit unterschätzen. Denn das Möbel, das er in Venedig aufgestellt hat, ist nicht irgendeines. Das Replikat aus Sperrholz nimmt eine Form aus der Frühphase der Moderne auf. Es stammt von Margarete Schütte-Lihotzky, einer Architektin im Umfeld des Bauhauses. Aufgefallen war Gillick das historische Stück, dessen Zweckmäßigkeit seine Erfinderin einer Eisenbahn-Küche abgeschaut hatte, beim Besuch im Museum für Angewandte Kunst in Wien. „Frankfurter Küche“ heißt der 1926 entwickelte Vorläufer der Einbauküche von heute, weil er in den zwanziger Jahren in 10.000 Sozialwohnungen eingebaut wurde, die der Architekt Ernst May dort errichtet hatte.
Utopie eines besseren Lebens
Gillicks legt mit seiner Arbeit die sozialen und emanzipatorischen Fundamente der Moderne in Zeiten frei, wo alle händeringend nach der verlorenen Solidarität suchen. Ohne dass er seine Kunst dabei in Mitleidenschaft ziehen würde. So wie er in Venedig Sozialstaat gegen Volksgemeinschaft stellt, folgt auch sie der Logik des Kontrapunkts, der sich an diesem vertrackten Ort kaum ein Künstler entziehen kann. Zu dem Motto „Welten bauen“, unter das der schwedische Kurator Daniel Birnbaum in diesem Jahr die Biennale gestellt hat, passt sie aber doch. Für eine Zukunft jenseits des Neoliberalismus greift Gillick zwar auf eine historische Blaupause zurück. Doch wird die Utopie eines besseren Lebens schlechter, nur weil der Plan dafür achtzig Jahre zurück liegt?
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