Lila Briefe

Parabel José Saramagos neuer Roman "Eine Zeit ohne Tod"

Ewiges Leben. Was die Medizin (noch) nicht geschafft hat. In der Literatur ist es möglich: die biologischen Realitäten aufzuheben. Für einen Menschheitstraum genügt hier ein Federstrich. Die Liste der literarischen Versuche, den Tod abzuschaffen, liest sich freilich lang und abschreckend. Weder mit Methusalem würde man tauschen wollen noch mit Ahasver. Und auch das Schicksal des Helden in Simone de Beauvoirs 1946 erschienenem Roman Alle Menschen sind sterblich ist eine bis heute uneingeholte Warnung vor dem Leben ohne Tod. Denn in Herzog Raimondo Foscas unendlichem Leben wiederholt sich am Ende alles. Unsterblichkeit, lernt der Unsterbliche, ist ein Fluch.

Der portugiesische Schriftsteller José Saramago lässt sich in seinem neuen Roman Eine Zeit ohne Tod nun nicht darauf ein, noch einmal die etwas ausgeleierte Sehnsuchtsfolie aufzuspannen. Es will auch nicht schon wieder die bekannten philosophischen Urgründe aufwühlen. Sondern er benutzt das Motiv des Lebens ohne Tod vordergründiger, direkter. Saramago will damit Mechanismen unserer Gesellschaft aufzeigen.

Die Geschichte von dem Land, in dem von einem Tag auf den anderen plötzlich niemand mehr stirbt, gehört unverkennbar zu den phantastischen Romanen des 1922 geborenen Schriftstellers. Diese Arbeiten stehen jedoch am Ende seines Oeuvres. Begonnen hatte der Sohn einer Landarbeiterfamilie, der Maschinenschlosser lernte, dann sein Geld als Sozialarbeiter und Journalist verdiente, mit politisch-historischen Stoffen. 1980 erschien sein Roman Hoffnung im Alentejo, der den Kampf der Landarbeiter gegen den Feudalismus schildert, 1982 der kirchenkritische Roman Das Memorial über den Bau des Klosters von Mafra. Für den Autor, dem die portugiesische Regierung 1992 wegen seines kurz zuvor erschienenen, blasphemischen Romans Das Evangelium nach Jesus Christus die Nominierung zum Europäischen Literaturpreis verweigerte, dürfte es eine Genugtuung gewesen sein, als ihm die Schwedische Akademie 1998 den Literaturnobelpreis verlieh.

Großes Aufsehen hierzulande erregte der Atheist Saramago, der 1969 in die Kommunistische Partei Portugals eintrat, nach der Nelkenrevolution von 1974 für einige Monate sein Schreiben aufgab und als Direktor der Tageszeitung Diário de Noticias die politischen Geschehnisse kommentierte, mit seinem 1997 auf Deutsch erschienenen Roman Die Stadt der Blinden, in dem die Menschen plötzlich nicht mehr sehen können.

Eine Zeit ohne Tod folgt einem ähnlichen Setting. Ein existentielles Ereignis wird zur moralischen Prüfung für die Gesellschaft, die aus den Fugen gerät: das Gesundheits- und das Rentensystem kollabiert, es bilden sich kriminelle Strukturen. Eine "Maphia" transportiert die unheilbar Kranken, die nicht mehr sterben können, gegen ein Schutzgeld in den Nachbarstaat, wo der Tod noch herrscht. Anhänger der Utopie des Anti-Aging dürfte es gruseln, wenn sie lesen, wie Saramago ihren Traum zu Ende denkt. Aus der Sicht des für Saramago typischen, allwissenden Erzählers wird Eine Zeit ohne Tod zur gesellschaftskritischen Parabel mit Personen wie Karikaturen: Die Politik ist hilflos. Die Kirche fürchtet um ihre Existenzgrundlage und die Beerdigungsindustrie um ihre Zukunft.

Das Bashing von Saramagos Lieblingsfeinden hat etwas wohltuend Entlarvendes, bleibt aber doch äußerst vorhersehbar. Auf der Strecke bleibt dabei leider sein Vorsatz, beim Nachdenken über den Tod "neue Vorstellungen, neue Gebiete der Sprache" kennenzulernen. Formulierungen, die er einem, dem Buch vorangestellten Motto Ludwig Wittgensteins entnommen hat. Und in seltsamem Kontrast zu der bitterbösen Satire, als die das Buch beginnt, steht ihre jähe Wendung zum Märchen. Denn in dem kleinen Land kündigt plötzlich eine geheimnisvolle Frau namens tod die Rückkehr zu den sterblichen Verhältnissen von früher an. Nur bei dem Cellisten eines städtischen Orchesters kehrt der violette Brief, der den Tod in Wochenfrist ankündigt, immer wieder als unzustellbar zurück. Also macht sich die Schnitterin höchstpersönlich auf den Weg. So wie bei der denkwürdigen Begegnung einer mythischen Gestalt mit einer Durchschnittsexistenz die Liebe den Tod besiegt, könnte man frotzeln, dass sich der "skeptische Humanismus", der Saramago nachgesagt wird, in hellen Kitsch verwandelt. Ob den 85 Jahre alten Autor am Ende doch noch die Sehnsucht nach dem ewigen Leben überkommen hat?

José SaramagoEine Zeit ohne Tod. Roman. Aus dem Portugiesischen von Marianne Gareis. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2007, 252 S., 19,90 EUR

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