Markenzeichen "Kritische Intervention"

Kultur Was die Stones für die Musik sind, ist Klaus Staeck für die Kunst. Wenn es einen Kunst-Grammy gäbe für Lebensleistung, dann gebührte er dem Grafiker aus Heidelberg

Die DDR ist tot. Es leben die Akten. Auf einem Tisch sieht man eine Reihe von Aktenordnern stehen. Im Hintergrund flattern schwarze Krähen. Wie würde sich dieses Plakat wohl im Deutschen Pavillon in den Giardini in Venedig machen? Oder eine Arbeit wie Wir machen mit ihrem Geld, was wir wollen. German Bankers Club. Auf dem ein schwarzer Aktenkoffer vor den Frankfurter Bürotürmen steht. Wäre die internationale Kunstkritik entzückt, weil endlich mal ein Künstler auf die aktuelle Krise reagiert? Oder würde sie die Nase rümpfen, weil er sie so platt verarbeitet?

Zugegeben: Gemessen an den ebenso coolen wie raffinierten Installationen des britischen Künstlers Liam Gillick, der in diesem Jahr den deutschen Pavillon bespielt, käme einem die Vorstellung eines Staeckschen Auftritts an der Lagune wie ein Rückfall in die siebziger Jahre vor. Aber irgendwie sind die Zeiten ja auch wieder so. Und die Nazihütte GERMANIA wäre quasi der natürliche Anwendungsfall für Staecks Markenzeichen: die „kritische Intervention“. Wie ausdauernd er diesen Ansatz verfolgt hat, kann man derzeit in einer Retrospektive der Berlinischen Galerie bewundern. Was die Stones für die Musik sind, ist Klaus Staeck für die Kunst. Wenn es einen Grammy gäbe für diese Lebensleistung, dann gebührte er dem 71-jährigen Grafiker aus Heidelberg.

Das Pflichtschuldige, das aber stets mitschwingt, wenn Staecks Werk gelobt wird, kann nicht verdecken, dass dieses Werk auch an seine Grenzen gestoßen ist. Dies festzustellen hat nichts Ehrenrühriges. Picasso hat Guernica gemalt, ein Werk, von dem er selbst sagte, es sei Propaganda. Klaus Staeck hat das Plakat Deutsche Arbeiter. Die SPD will euch Eure Villen im Tessin wegnehmen gemacht. In der Reihe derer, bei denen Kunst und Politik eine Einheit eingegangen sind, ohne sich wechselseitig zu beschädigen, steht Staeck in einer Reihe mit Jacques-Louis David. Das reicht für einen Platz in der Kunstgeschichte.

Das „subtile Störpotenzial“, das der Berliner Museumsdirektor Jörn Merkert in Staecks Werk heute noch entdecken will, muss man allerdings mit der Lupe suchen: Bild, Kapital, Kirche sind einst wie heute die Hauptgegner Staecks. Auch wenn „nichts erledigt“ ist, wie der Künstler immer gern sagt. Ob Staecks plakative Direktansprache, die er von seinem Vorbild John Heartfield gelernt hat, in den zerstreuten Öffentlichkeiten des digitalisierten Zeitalters noch eine erfolgversprechende Form der Massenaufklärung ist, darüber kann man streiten. Wie subtil und trotzdem politisch man darin arbeiten kann, hat die amerikanische Künstlerin Jenny Holzer schon 1982 gezeigt, die in denselben Zwischenräumen der Aufmerksamkeit arbeitet, in den auch Staeck sich tummelt. Protect me from what i want lautete die ambivalente Botschaft, die sie damals als Leuchtschrift an einer Hochhausfront am New Yorker Times Square installierte: Der Gegner, das sind auch wir selbst!

Aber eins muss man dem Mann lassen. Wenn die Kunstwelt derzeit gerne über artists artists talkt, vom Kunstbetrieb marginalisierte Künstler, die aber für andere Künstler wahnsinnig wichtig waren, dann ist Klaus Staeck deren prototypisches Gegenteil – eine Art people’s artist. Nie hat er vergessen, für wen er Kunst macht, immer hat er darauf bestanden, dass die Demokratie eine Öffentlichkeit braucht, die nur die Kunst herstellten kann. Wer sich dieses Wochenende in den selbstreferentiellen Biennaletrubel in Venedig stürzt, tut gut daran, sich an das Staecksche Mantra zu erinnern. Es lautet: Zu wem spricht die Kunst?

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