Die Menschen sind die Kraft". Mit dieser basisnahen Formel zogen die kroatischen Sozialdemokraten in die Parlamentswahl vom letzten November. Genützt hat ihnen das nichts. Mit dem Slogan "Gehen wir weiter" gingen schließlich doch die Konservativen von Ministerpräsident Ivo Sanader als Sieger durchs Ziel. Auch auf dem Balkan heißt von Helmut Kohl lernen, siegen lernen.
Wenn man die Menschen sieht, von denen der kroatische Schriftsteller Edo Popovic´ in seinen Büchern erzählt, wundert einen diese Wahlniederlage nicht. Besonders motiviert kommen einem diese Kroaten nämlich nicht vor. Geschweige denn kraftvoll. Popovic´s Helden sind Antihelden par excellence. Sie sind Gescheiterte, orientierungslos; sie haben, wie es mehr als einmal heißt, "die Arschkarte gezogen". Und das, obwohl sie - noch - relativ jung sind.
Auch Ivan, der Held von Popovic´s neuem Roman Kalda, ist alles andere als eine vitale Persönlichkeit. Er hat Frau und Kind verlassen. Am liebsten beobachtet er die Nachbarn beim Müll wegtragen. Sein Therapeut wirft ihm vor, keine Verantwortung übernehmen zu wollen. Und als ihn sein Bekannter Igor einmal fragt, was er in seinem Leben verbaselt habe, antwortet Ivan: "Alles ein bisschen".
Ivan hat ein Maschinenbau-, ein Literaturstudium und später sogar einen Sägewerks-Job im goldenen Westen geschmissen. Wenn er im Sommer 1975 in Prag nicht spontan eine Leica-Kamera mit Schlangenlederbesatz gekauft hätte, wäre er vielleicht nie das geworden, worin er es nach dem Ende des Sozialismus einzig zu etwas gebracht hat: Kriegsreporter in den Balkankriegen. Womit wir ihn als Alter ego seines Erfinders erkennen. Denn auch der 1957 im bosnischen Livno geborene Popovic´, der seit 1968 in Zagreb lebt, hat es in seiner Heimat zu einem legendären Ruf als Kriegsberichterstatter gebracht.
Wer Popovic´s ersten Roman ausfahrt zagreb süd gelesen hat, dem kommt dieser gefrustete Ivan bekannt vor. Denn seine Geschichte lässt sich durchaus als die Fortsetzung dieses schnoddrigen Erstlings lesen. Ivan könnte der älter gewordene Baba sein, der wie seine Freunde aus dem tristen Plattenbauviertel im Süden der kroatischen Hauptstadt in einer Sackgasse gelandet ist: die Anglistin Vera, der Dichter Robi und der Rechtsanwalt Kanceli. Wie diese enttäuschten Helden, die Popovic´ da short-cut-mässig paradieren lässt, hat er einen Hintergrund in der Umbruchperiode der neunziger Jahre, als alle in Kroatien noch etwas bewegen wollten.
Auf den ersten Blick liest sich Kalda wie ein klassischer Adoleszenzroman. Ivan ist fünfzig geworden. Die Ärzte haben Tuberkulose bei ihm diagnostiziert. In ausfahrt zagreb süd herrschte, wenn auch düstere, so doch totale Gegenwart. In Kalda fängt der Held an, sein Leben Revue passieren zu lassen. Die fünfziger Jahre in einem Zagreber Arbeitervorort dämmern herauf, das kleinbürgerliche Milieu seiner Heimat, wo man "ganz solide glücklich" sein konnte: den Geruch von Brathähnchen, die Väter in Perlonhemden, das Kino hieß noch Partisan und nicht Tuskana. Hier fängt Ivan an, sich für "Titten" zu interessieren, dann lernt er masturbieren, bis er schließlich "Sperma spuckte wie ein Hydrant". So wurde der Grundstein gelegt für ein Leben zwischen "Erektion und Melancholie".
Doch nicht nur in dieser sanft nostalgischen Evokation der entschwundenen sozialistischen Kleinbürgeridylle ist Kalda ein kollektives Psychogramm. Auch im existentiellen Drama spiegelt sich das gesellschaftliche. Der Fatalismus des ziellosen Ivan ist nur ein anderes Bild für eine geistige Sackgasse, in die sein Land geraten ist. So abgedreht es bei Popovic´ mitunter zugeht. In seinen Büchern spürt man etwas von dem Erkalten der Umbruchs-Energien im Osten. Trotz Demokratie, Freiheit und Shopping Mall stehen alle wie vor einer Wand. In selbstquälerischer Erinnerungsarbeit sucht Ivan nach dem Warum.
Wer die Literatur Edo Popovic´s als Identitätszeichen postjugoslawischer Verhältnisse liest, stößt auf ein Paradox. Auf der einen Seite verzweifeln alle seine Protagonisten an den typischen Problemen nach dem Ende des Sozialismus und der Kriege: der moralischen und sozialen Krise, den kriminellen Eliten, der Konsumsucht. Von den Segnungen des Westens ist man maßlos enttäuscht. "Es stellt sich heraus, dass diese legendäre Demokratie, von der man so viel erzählt hatte, im Grunde nichts anderes ist, als ein Arschtritt für das einheimische Bier" sagt der "unaufgeklärte Globalisierungsgegner" Baba in ausfahrt zagreb süd eines Abends beim Blick hinter den Tresen in seiner Stammkneipe. Das "moderne" Kroatien - bei Popovic´ ist es eine Schule der Enttäuschung.
Auf der anderen Seite artikuliert sich diese Desillusionierung in einer westlichen Form. Popovic´ ist einer der markantesten Vertreter des Generationswechsels in der kroatischen Literatur seit Beginn der neunziger Jahre. Ponocni boogie (Mitternachtsboogie, 1987), sein erster Roman, wurde eine Art Kultbuch in Kroatien. Popovic´ betrieb die Wiedergeburt der Literatur aus dem Geist von Rock und Punk. Aber die Gruppe der nach 1950 geborenen Autoren, mit denen zusammen er 1985 die Literaturzeitschrift Quorum gegründet hatte, wollte die kroatische Literatur auch mit der intermedialen Avantgarde von Joseph Beuys bis Laurie Anderson kurzschließen. Seine Kurzgeschichten lässt sich Popovic´ schon mal mit Comics illustrieren.
Das eigentliche Merkmal seiner Prosa aber ist diese unnachahmliche Mischung aus Bukowski und Camus. Der Erzähler in ausfahrt zagreb süd und der Ich-Erzähler aus Kalda berauschen sich beide gern an dem gleichen, rotzig-unsentimentalen Ton. Und Popovic´ lässt die Lesenden seinen Helden so ungebührlich nahe auf den Leib rücken, dass sie dessen Exkremente in die Kloschüssel platschen sehen. Aber was soll man anderes erwarten von einem Ich-Erzähler, der gleich zu Beginn seiner Geschichte seine forcierte Anti-Metaphysik klarstellt: "Es gibt kein Mysterium des Lebens".
Doch Popovic´ ist mehr als die kroatische Adaption des dirty realism amerikanischer Prägung. In ausfahrt zagreb süd gingen einem die rotzigen Sprüche der Jungs mit Sonnenbrille und Bierdose irgendwann auf den Keks. In Kalda gönnt Popovic´ seinem Helden einen Schuss abgeklärten Existentialismus. "Man verbringt das ganze Leben in diesem Zelt aus Leder, das über die Knochen gespannt ist" sinniert er gleich zu Beginn. Und selbst in den finstersten Momenten übt er sich in fast heiterer Gelassenheit, wenn er die Relativität allen menschlichen Elends beschwört: "Die Erde dreht sich weiter". Ist er zwar ein Loser, steckt in Ivan doch wenigstens ein Straßenphilosoph.
Schwer zu sagen, ob der seinen Weltschmerz los wird, sollte Kroatien demnächst in die EU aufgenommen werden. Die Identitätsprobleme dürften sich eher verschärfen. So wie er immer noch in dem "mentalen Spalt zwischen Osmanischem Reich und k. und k. Monarchie" steckt. Vor Ivans schwerem Fatalismus könnte der gut gelaunte Westen dennoch profitieren. Denn damit wappnet er sich dagegen, Frieden mit den miesen, korrupten Verhältnissen zu schließen. Und noch einen Vorteil bringt der Ex-Jugo mit: Wer schon das "Geschacher" der Volksgruppen erlebt hat, die "das unglaubliche Pech hatten, in einem gemeinsamen Staat leben zu müssen", in dem es nur darum ging, "wer sich am meisten cash in die Tasche stecken würde" - dem vermag die Brüsseler Republik so schnell keine höheren Werte vorzugaukeln. Auch illusionslose Menschen sind eine Kraft.
Edo Popovic´ ausfahrt zagreb-süd. Roman. Buch mit Audio-CD. Aus dem Kroatischen von Alida Bremer. Voland Dresden/ Leipzig 2006, 186 S., 17,99 EUR
Edo Popovic´ Kalda. Roman. Aus dem Kroatischen von Alida Bremer. Voland Dresden/Leipzig 2008, 284 S., 21,90 EUR
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