Offensive

Linksbündig In Leipzig hissten die Türken die Regenbogenfahne

Siebenundzwanzig tote Soldaten, 240 getötete Rebellen. Das waren die offizielle Bilanz der letzten türkischen "Offensive". In einem völkerrechtswidrigen Akt marschierten Ende Februar 8.000 türkische Soldaten in den Nordirak ein und führten einen blutigen Schlag gegen die PKK. Seit Jahrzehnten bekämpft der türkische Staat die kurdischen Freiheitskämpfer, notfalls auch außerhalb des eigenen Territoriums, weil er Angst vor einem Staat im Staate hat.

Einen Blutzoll dürfte die nächste grenzüberschreitende türkische "Offensive" nicht fordern. Diesmal kommt sie nämlich nicht vom Militär, sondern von friedliebenden Zivilisten. Gerade deswegen fragt man sich, ob die türkischen Bücherfreunde gut beraten waren, als sie ihren Gastland-Auftritt auf der Frankfurter Buchmesse im Herbst "Offensive" nannten, "Kulturoffensive" zwar, aber eben doch Offensive. Denn außer dem obligatorischen "Länderpavillon" auf dem Messegelände gibt es ja nichts zu erobern. Schon eher geht es um geistigen Geländegewinn. Ziel des aufwändigen Unternehmens ist es, Deutschland und die Deutschen für die türkische Kultur "einzunehmen".

Die Bedeutung dieses "Auftritts" lässt sich kaum überschätzen. Das hat auch der türkische Staatspräsident Gül gemerkt, der zur Eröffnung nach Frankfurt reisen wird. Hierzulande wird "türkische Kultur" im besten Fall immer noch mit Döner, Bauchtanz und "Parallelgesellschaft" gleichgesetzt. Und das, obwohl inzwischen rund drei Millionen Menschen türkischer Abstammung in Deutschland leben, viele davon schon seit Jahrzehnten. Die Buchmessen-Offensive könnte also auch der Politik neuen Schub geben. Denn wenn es an etwas fehlt in diesem Land, dann an Ideen und Instanzen zur wechselseitigen kulturellen Integration. Bleibt zu hoffen, dass die türkische "Eroberung" Frankfurts, jener unendliche Feldzug von Ausstellungen, Symposien und Lesungen keine Eintagsfliege bleiben wird. Auf 15 Empfängen wird sogar die türkische Küche präsentiert. Die neue interkulturelle Liebe Deutschland-Türkei soll auch durch den Magen gehen.

Das alles ist, wenn auch gigantisch, so doch überfällig. Die größte Wirkung der Kampagne könnte jedoch ganz woanders liegen als geplant. Auffällig nämlich, wie sich die Türkei bei dem Prestigeunternehmen plötzlich selbst definiert. Das Messemotto von der Türkei, die "faszinierend farbig" ist, unterlegt mit einem bunten Labyrinth als Logo, klingt wie eine abgegriffene Tourismusformel. Doch einem Land, in dem an jeder Straßenbahnhaltestelle Atatürks Spruch "Sei stolz, ein Türke sein zu können" in Stein gemeißelt hängt, muss sie genauso häretisch in den Ohren klingen, wie das Wort von den türkischen "Identitäten", das die Vizechefin des Vorbereitungskomitees, die Istanbuler Verlegerin Müge Gürsoy Sökmen, vergangene Woche bei der Vorstellung des Projekts auf der Leipziger Buchmesse benutzte. Fast wundert man sich schon ein bisschen, dass das türkische Militär, das gern mit gezücktem Schwert über die "Einheit der Nation" wacht, noch kein Veto gegen die verdächtig bunten Gastlandaktivitäten eingelegt hat. Wie ernst das Versprechen der Organisatoren gemeint ist, "die ganze Vielfalt der Türkei nach Frankfurt zu tragen", wird an der Liste der Eingeladenen abzulesen sein: ob und wieviel kurdische, jüdische, armenische, griechische, assyrische, lasische oder tscherkessische Autoren darauf stehen.

Ob beim Fußball, Popkonzert oder zum 1. Mai. Wo Türken in die "Offensive" gehen, breitet sich ein Meer von roten Fahnen aus. Doch als in Leipzig der Chef des Vorbereitungskomitees zum türkischen Liederabend lud, fehlte der weiße Halbmond auf blutrotem Grund. Erst erstrahlte die Bühne Rot, Orange, dann Gelb, Grün, Blau und Violett. Den Abschied der Türkei von der kulturellen Monochromie wird ein Buchmessenschwerpunkt allein nicht bewirken. Aber dass sie hier und da schon mal die Regenbogenfahne hisst, das ist doch auch ein gutes Zeichen.

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