Araber müsste man sein. Dann könnte man den Rest seines Lebens abwarten und Tee trinken. Wie diese Männer da draußen in ihren weißen, weiten Gewändern. Erkennbar zu tun haben sie nichts. Aber unglaublich viel zu besprechen. Von morgens bis abends palavern sie bei einer dieser klitzekleinen Tassen hellbraunen Suds und begrüßen sich mit einem Wangenkuss oder einem sanften Nasenstüber.
Besonders arabisch kann man die malerische Szenerie im Teagarden des Holiday International von Sharjah aber nicht nennen. Auch wenn ab und zu eine von Kopf bis Fuß schwarz verschleierte Frau aus dem vergoldeten Aufzug steigt und in gebührendem Abstand ihrem Gebieter folgt. Indische Gärtner halten den grünen Rasen kurz. Indische Liftboys reißen die Taxitüren auf. Indische Handlanger wischen die Klos sauber. Im Frühstücksraum trampelt eine englische Cricketmannschaft in Sporthosen das Büffet entlang. Trotzdem lächeln sie indische Kellner unnachahmlich devot an.
Zugegeben: ein Luxushotel ist vielleicht nicht das richtige Forschungsfeld. Aber wo, bitte, ist hier real Arabia? In der Lobby hat eine Boutique mit Nerzmänteln geöffnet. Wenn man genau hinschaut, hat auch die scheinbar traditionelle Männerrunde an den Westen angedockt. Unter den gestärkten Palästinensertüchern im knitterfreien Fall laufen Kabel für die Mobilphone-Headsets die dunklen Männerschläfen herunter. Issam, unser konsequent gut aufgelegter libanesischer Guide, begrüßt die Deutschen in der internationalen Gruppe mit einem augenzwinkernden: "Muss i denn, muss i denn zum Städtele hinaus." Am Persischen Golf ist Arabien nur noch Tausendundeine Simulation. "Schrecklich" sagt Gunvantni aus Mumbai, als wir im Millenium-Hotel die goldbelegte Freitreppe zum Galadiner hinaufschreiten, "man fährt von einer eisgekühlten Touristen-Lounge zur nächsten". Ist es eine orientalistische Projektion, wenn ich erst auf dem kleinen Vogelmarkt am Rande der Stadt, zwischen bestialisch stinkenden Tauben- und Straußenkäfigen das Gefühl habe, in Arabien zu sein?
Wenigstens geht es heute in die echte Wüste. Manche haben sich mit FlipFlops und bauchfreien Tops für einen Strandausflug gerüstet. In einer plötzlichen Erinnerung an die Lawrence-von-Arabien-Macke meiner Jugend habe ich im islamischen Soukh noch schnell einen der hauchdünnen indischen Pashmina-Shawls erstanden und verwegen um den Kopf drapiert. Nur Barbara, die in Hannover wohnt, aber in Arabien zu Hause ist, hat sich richtig angezogen: sandgraue Khakis, eine Militärtasche aus Tuch und ein selbst geknüpftes Kopftuch. Die Jeep-Kolonne verlässt die klimatisierte Küstenagglomeration und rast auf einer schnurgeraden Autobahn ins Hinterland. Links und rechts davon wohnen die letzten echten Araber in palmengesäumten Nobelreservaten. An der Tankstelle lassen die Fahrer noch schnell Luft aus den Reifen. Dann biegt die Kolonne zum sand-bashing in ein erbarmungslos besonntes Dünenmeer. "Anschnallen" sagt der Fahrer plötzlich rau. Und schon fällt unser Jeep wie auf der Achterbahn schräg von der Spitze einer Düne tief hinunter in eine Sandkuhle. Zum ersten Mal kommt so etwas wie Beunruhigung auf. Das Handy zeigt nur noch "Netzsuche". Und von unten sehen alle Dünen ziemlich gleich aus. "Wie oft sind Sie die Strecke schon gefahren? "Das ist meine erste Tour" gibt der Fahrer lachend zu Protokoll und stürzt schon wieder den nächsten Dünenkamm hinunter. Ob er die Richtung kennt? "Immer der Sonne nach". Sechs Augen suchen den Zenit ab.
Abspann in der Kamelfarm: Wir liegen auf Teppichen und bestickten Kissen unter einem Baldachin. Hinter den ockerfarbenen Dünen geht langsam die Sonne unter. So könnte Arabien zumindest mal gewesen sein. Aber der überzeugend echte Landsmann, der uns Kaffee nachschenkt, entpuppt sich als Pakistani. Barbara lässt sich deswegen nicht von ihrer Arabien-Begeisterung abbringen. Sie kommt gerade aus dem Jemen. "Die Gastfreundschaft" sagt sie auf Anhieb, als ich sie frage, wann bei ihr der arabische Funke übersprang. Abends in Sanaa hab ich einen Mann nur kurz nach dem Weg gefragt. Der war arbeitslos. Aber stell Dir vor, bis zur Moschee hat er mich gebracht und dann zum Abendessen mit der Familie eingeladen. Das findest Du bei uns nicht." Ich denke an die BVG-Fahrer in Berlin und sage leise: "Stimmt".
Ja, Armut ist schön. Die Musik auch. Die Sterne funkeln am Firmament. Die Kamele kauen bedächtig. Vom Holzkohlengrill duftet es. Doch warum kommen mir die sphärischen Klänge, die uns einlullen, so bekannt vor? Als ich einen Blick hinter das Beduinenzelt werfe, sehe ich eine Musikanlage, auf der eine CD spielt, die ich an sinnlich viel versprechenden Abenden auch schon mal bei mir zu Hause in Berlin-Kreuzberg auflege: Orient-Lounge.
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