Ich werde versuchen, die Kompetenz, über die ich als Soziologe verfüge, in den Dienst einer symbolischen Aktion mit dem Ziel zu stellen, eine wohlbegründete und wirksame Intervention der Intellektuellen in das politische Leben anzuregen." Der Satz stammt von Pierre Bourdieu. Ausgesprochen hat er ihn in einem Vortrag an der Berliner Humboldt-Universität, und zwar am 25.Oktober 1989. Damals forderte der französische Soziologe, spätestens seit seinem Hauptwerk Die feinen Unterschiede einer von Europas produktivsten Gesellschaftsdenkern, zugleich zum beliebtesten Distinktionsmittel der Intelligenz von ihresgleichen aufgestiegen, eine "politische Intervention neuen Typs". Die "Internationale der Intellektuellen" und die "Generalstände der sozialen Bewegung Europas", zu deren Bildung der unermüdliche Kämpfer gegen die unumschränkte Herrschaft des neoliberalen Turbokapitalismus seit ein paar Wochen in Europa aufruft, ist keine ganz neue Idee, sondern mindestens elf Jahre alt. Neu ist, dass sie ein Massenpublikum zu interessieren beginnt. Sein Ausruf vor streikenden Arbeitern in Frankreich, dass sie den Sozialstaat schützten, ein Wert, so wichtig wie Beethoven und Kant, ist Legende. Die überfüllten Versammlungen von Bourdieus jüngster Europa-Tournee beweisen: aus seiner "reflexiven Soziologie" beginnt eine eminent praktisch-politische zu werden. Das Gegenfeuer, so der Titel von Bourdieus gesammelten Reden, wächst zum Leuchtfeuer.
Das couragierte Zeichen, das Bourdieu auch persönlich gibt, ist nicht wenig in einer Zeit, in der die Misere du Monde wächst und die letzten Reformhoffnungen von Rot und Grün begraben werden. Das Problem seiner internationalen Bürgerinitiative ist aber nicht die - überfällige - Mobilisierung des Geistes. Sondern der Zwitter der Institutionen, die ihm vorschweben. Der Titel der Charta hat natürlich die Selbsterhebung des Vierten Standes in der französischen Revolution zum Vorbild. Trotzdem klingt vieles merkwürdig korporatistisch. Die Mitglieder dieser Konferenzen, erklärte Bourdieu in Berlin, sollten nicht nach "formaldemokratischen Methoden" berufen werden. Neue soziale Bewegungen waren immer eine wichtige Herausforderung für die Elitenrotation der repräsentativen Demokratie. Trotzdem will sich das nicht recht vertragen mit dem basisdemokratischen Anspruch, der in der Netzwerkstruktur steckt, die Bourdieu propagiert. Und was soll im Fall der Intellektuellen dabei herauskommen? Eine Intellektuellenkammer? So wie es in Bremen oder in Österreich Arbeiterkammern gibt? Mit Kammerpräsident Bourdieu?
Auch mit den zwei Versammlungen im November in Wien und Anfang 2001 in Athen, die er für das neue Netzwerk vorgeschlagen hat, zeichnet sich die Etablierung politischer Organismen samt eigenem Führungspersonal ab, die sich so verselbstständigen könnten, dass an deren Ende eine Art Bewegungsadel stehen könnte. Analog zu dem Staatsadel mit seinen korporativen Eigeninteressen, dessen Politik Bourdieu ebenfalls schon 1989 zu einer "Antipolitik" herausforderte. Bourdieu beschwichtigt zwar ständig, dass die Intellektuellen auf keinen Fall Politiker werden sollen. Wer politisieren soll, aber auch nicht, politische Parallelstrukturen aufbaut, die aber ständig relativiert, neutralisiert sich der am Ende nicht womöglich mit einer Art symbolischen Parapolitik?
Zwiespältig klingt auch die Rolle der Künste bei Bourdieu. Einseitig bevorzugt er den politischen Konzeptkünstler Hans Haacke. Und auch seine Formel von der Kunst als symbolischer Repräsentation, mit der die Konflikte dramatisiert und bebildert werden sollen, riecht, mit Verlaub, ein klein wenig nach Agitprop. Bezeichnend, dass einer der Berliner Gastgeber Bourdieus, Thomas Ostermeier von der Berliner Schaubühne, sich in der Diskussion sogleich als "Solidaritätsbeisitzer" charakterisierte. So hatten wir uns die (früher beargwöhnte) Autonomie der Künste, die zu verteidigen nach Bourdieu heute schon fast eine revolutionäre Strategie ist, eigentlich nicht vorgestellt.
Von der "Sicherstellung der gesellschaftlichen Bedingungen der Möglichkeit des vernünftigen Denkens" sprach Bourdieu 1989. Niemals war eine neue Aufklärung notwendiger als im Jahr 2000, wo der Zickzackkurs des DAX und die digitalen Mythologien alle hypnotisieren. Das kulturelle Kapital dafür ist bei den beteiligten Akteuren gewiss überreichlich vorhanden. Leider fehlt es oft am technischen know how. Wir wollen nicht hoffen, dass diese Bewegung an dem scheitert, an dem fast die Rückgabe der Simultandolmetschgeräte bei dem gemeingefährlich organisierten Berliner Vortrag Bourdieus am vergangenen Wochenende im Audimax der Berliner Humboldt-Uni scheiterte: an einer fehlenden Taschenlampe.
Siehe auch www.raisons.org.
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