Polyphonie

Linksbündig Deutschland auf dem Weg nach pOst-West?

Frage an Radio Eriwan: Gibt es ein neues Selbstbewusstsein der Ostdeutschen? Antwort: Im Prinzip Ja. Aber es besteht aus zweien. Während der Zonenopa Stolpe mit demselben diplomatischen Bückling, mit dem er einst den aufrechten Gang in der DDR befördern wollte, die Demut vor dem Informationskapitalismus namens Toll Collect einübte, bis ihm nun der Mautkragen platzte, darf das Zonenkind Jana Hensel im Spiegel Rückgrat zeigen. Nach ihrem Bucherfolg schnappte sich das Nachrichtenmagazin aus Hamburg, dem der Genosse Honecker 1978 das Büro in der "Hauptstadt der DDR" geschlossen hatte, die wiedergeborene Ossa als Reporterin. Erobert der Osten nun den Westen?

So weit ist es noch nicht. Wer Jana Hensel letzte Woche auf einer Tagung in Lüneburg beobachtete, bekam einen Eindruck von der vorauseilenden Mimikry, die sie an ihrer eigenen Generation beklagte: Jeans und Pulli statt Pionierbluse, cool, distanziert, bescheidwisserisch - westlicher als der Westen. Ganz ohne den sanften Zwang des Habitus geht es offenbar auch im "Sturmgeschütz der Aufklärung" nicht. Trotzdem gilt die Autorin jungen Kulturwissenschaftlerinnen der Lüneburger Uni als Prototypus einer "Generation Mauerfall", die Deutschland den Weg nach pOst-West weisen könnte. Nicht nur weil diese, um 1975 Geborenen, so selbstbewusst wie nie die Gleichwertigkeit ihrer DDR-Biografie einfordern: Meine Freie Deutsche Jugend hatte Claudia Rusch demonstrativ ihre Lebensgeschichten genannt. Sondern weil ihre Kunst auch sonst dem Leben weit voraus sei: mehrstimmig, dialogisch, stolz auf die Unterschiede - so ließen die Protagonistinnen ihrer Werke die Rhetorik des alten Ost-West-Streits hinter sich. Da wollten sich erst alle ganz euphorisch "ihre Biographien erzählen", dann tappten sie in die Falle aus Verdikt und Selbstrechtfertigung. Seitdem dümpelt die große deutsche Ost-West-Erzählung lustlos vor sich hin.

Generation Mauerfall! Als ob wir an den Generationen X, Golf, Ally, 89 und so weiter nicht schon genug zu tragen hätten. Ob diese ominöse Kohorte wirklich existiert, muss man verschärft bezweifeln. Es gibt nämlich wenig junge Künstler West, die so reflektiert wie die Ost-Autorinnen Julia Schoch oder Antje Ravic Strubel eine einmalige historische Transformation zu Kunst verwandeln. Die Westkunst macht im Großen und Ganzen weiter wie vor ´89. Die Erfahrung, im Riss der Geschichte aufgewachsen zu sein, dem, was der Postkolonialismustheoretiker Homi Bhaba das "Dazwischen" nennt, bleibt ein Standortvorteil Ost.

Auch die jungen Maler der über Nacht berühmt gewordenen "Neuen Leipziger Schule" sind nicht der Vorschein einer Spezies, die "das Andere" der DDR an- und aufnimmt. Zwar kamen die 1973 und 1971 im westfälischen Elte und in Bergisch-Gladbach geborenen Matthias Weischer und David Schnell an die Kunstschule nach Leipzig, weil sie realistisch malen lernen wollten, ein Markenzeichen der DDR-Kunst. Doch "Ost-Vergangenheit ist nicht unser Thema" - mit diesen Worten widersprachen sie ihren Lüneburger AnalytikerInnen. Dass man die DDR verpoppen kann, ohne sie politisch zu entgiften, zeigten übrigens schon die Filme Sonnenallee und Goodbye Lenin. Doch zur "Generation Mauerfall" kann man die in den fünfziger Jahren geborenen Regisseure Leander Haussmann und Wolfgang Becker beim besten Willen nicht zählen.

Auch wenn einem der Begriff "Generation Mauerfall" effekthascherisch vorkommt. Die raffinierte "Polyphonie" dieser neuen Kunst bekäme Deutschland auf jeden Fall besser als die Monophonie, die mit dem Schlossneubau in der Berliner Mitte droht. Der Geschichtsbruch ´89 wird mit diesem Retromonster nicht gerade inszeniert. Und die DDR-Biographie, die überall wieder nach oben drängt, wird man an dessen barocke Blendfassaden kaum "anlagern" können - poststrukturalistisch gesprochen. Doch der geschulte Dialektiker könnte auch diesem Schlussstein der Erinnerung ein Schnippchen schlagen. Wer die Fixierung auf das eine deutsche Identitätssymbol durchbrechen will, sollte den Brunnen des Föderalismus tief ausschöpfen. Warum nicht die Landeshauptstädte zu Kultur-Hochburgen gegen den Übervater Berlin ausbauen? "So viel Vielfalt wie möglich, so viel Einheit wie nötig" hat der Berliner Kunstvermittler Christoph Tannert in Lüneburg gefordert. Wie wahr. Zuviel störungsfreie Selbstgewissheit schadet jedem Selbstbewusstsein. Auch dem ostdeutschen.


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