Reservelager

KUNST AM ENDE Gut gelaunt, aber ratlos

Painting is back". Wie eine Drohung hat der Künstler Olav Westphalen den Satz unter die Tuschezeichnung eines Panzers mit aufgerichtetem Kanonenrohr gepinselt. Überall auf der Berliner Kunstmesse art forum lugte vergangenes Wochenende Malerei aus den Kojen. Das Ur-Medium der Kunst feierte eine kleine Auferstehung. Sieht man von dem Versuch der Veranstalter ab, mit dem Hinauswurf der Berliner Galerie Eva Poll das Ende der Kunst des kritischen Realismus zu dekretieren - weder hat der finale Neoliberalismus das Ende der Kunst besiegelt noch hat sie sich im intermedialen cross-over aufgelöst. Eher schon in der Massierung avantgardistischer Lebenskunst in den Flutwellen des alljährlichen Kunstherbstes der Buch-, Kunst-, Theater- und Filmmessen, die Ausmaße angenommen hat, daß man fast Kristian Hornsleth Recht geben möchte, der auf sein neuestes Werk, eine blitzende Smith, Modell 5904, "Fuck you Art Lovers" graviert hatte. Wie sehr die Kunst Ersatzreligion und Authentizitätsbalsam der Kunstseele der Postmoderne geworden ist, zeigte Marina Abramovic´ bei der Wiedereröffnung der völlig überfüllten Berliner "Kunstwerke", dem Standort des hippen Künstlertums in der neuen Mitte. Drei Stunden stand sie nackt hoch oben vor einer weiß getünchten Wand. Andächtig verharrte das androgyne Kunstpärchen Eva vor der scheinbar schwebenden, von Flutlicht gepeinigten Madonna des Körpers, zu deren Füßen aus einem Kochtopf Salbei-Nebel aufstiegen.

Die neue Lust am Realismus triumphiert freilich nicht so naiv, wie man sie in den letzten Jahren von Günter Grass gewohnt war, dem trotzigen letzten Echtholzschnitzer der Kunst. Erst muß die Realität durch das Fegefeuer der Künstlichkeit. Und sei es noch so unsichtbar wie die Glasmembran, die in den "Kunstwerken" durch einen Wanddurchbruch den Blick auf den ganz realen Bolzplatz dahinter freigibt. Die "Kunstwerke" waren im einstigen Abbruchquartier Ost angetreten, um die Kunst neu in die Wirklichkeit zu setzen. Inzwischen wirkt diese Szenereproduktionsmühle ungefähr so lebendig wie ein vakuumverpackter Legobaustein. Auf der Messe konnte man die nach einem 3-D-Body-Scan der Originale modellierten, hyperrealistischen Menschen-Skulpturen von Karin Sander bewundern. Landung, das Ölbild Riot Prehmers, das die Lichter einer Flughafenlandebahn zeigt, ist einem Foto nachgemalt.

Zwar feiert die allerjüngste Fotografie noch die Ruinenästhetik der Berliner Hinterhöfe und transportiert mit jeder Menge Kranpanoramen den Mythos von der Baustelle, wo längst die Tresortüren geschlossen werden. Aber als ob auch ihr die pure Wirklichkeit nicht genügte, romantisiert sie ihre Bilder mit Handcolorierung, spannt sie auf Plastikscheiben, um sie mit durchscheinendem Licht oder Neon zu verfremden oder zu transzendieren - auf der Suche nach dem Hintersinn.

Where exactly are we going? Ein Künstler hatte ein Graffiti auf eine Sperrholzscheibe übertragen. Die Vehemenz, mit der im Ambiente der allerartifiziellsten Künstlichkeit immer wieder existentielle Fragen wie kleine Torpedos auftauchen, sagt etwas über den unterschwellig weiterempfundenen Verlust einer Sinngebungsinstanz. Am Ende des Jahrhunderts kann und will die Kunst sie aber doch nicht recht beantworten. Kann man ihr nicht verdenken, wenn man sich ansieht, wie oft sie in der Spanne zwischen Ferdinand Hodlers monumentalem Redner von 1912 mit drohend erhobener Faust und dem neuen Menschen, der aus dem geborstenen Kanonenrohr von Joseph Beuys' Straßenbahnhaltestelle von 1976 hervorlugt, versucht hat, das Leben nach ihren Gesetzmäßigkeiten zu formen. Die ganz große Erzieherin der Menschheit ist sie nicht mehr. Daß der deutsche Künstler Carsten Höller seit Juli diesen Jahres ein "Tagebuch des Zweifels" führt ist symptomatisch. Natürlich wehen noch Fähnchen der Interventionisten und Aktionisten. Aber selbst die Pop-Muralisten wollen mit ihren Graffitis für eine neue Volksaufklärung zum schrillen Spott erziehen. Der Rest wartet lieber, dass Gras aus dem Samen wächst, den Sandra Voets in die Erdschicht im Kellergewölbe der "Kunstwerke" gestreut hat, will die Eier der Entschleunigung ausbrüten. Die gut gelaunten neuen Skeptiker konnten in der Salzlake in Höllers in den "Kunstwerken" aufgebauter Plastiksauna ein warmes Band im "Wohlbefinden in der Rastlosigkeit" nehmen oder lehnten auf der Messe an Rikrit Tiranvanijas Volksküchen-Installation aus Sperrholz wie an einer Haltestelle des Epochenlochs und warteten auf einen Schlag aus der Kelle. Erst kommt die Suppe, dann die Kunst. Die lehnte an einer Seitenwand. Wer wollte, konnte sie sich aus dem Reservelager selbst heraussuchen.

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