Rote Socken

Bonvivant Ein "Dokumentarfilm" über Klaus Wagenbach

"Hätten Sie nicht Lust, mit mir gemeinsam finanziellen Selbstmord zu begehen"? Der Schriftsteller Hans Sahl fragte das einst einen jungen Mann aus Bonn, als sie zusammen in einer Kneipe saßen. Der Literaturfreak ahnte nicht worauf er sich einließ und sagte "Ja" zu Sahls Vorschlag Hermann Borchardts Roman Die Verschwörung der Zimmerleute zum ersten Mal auf Deutsch zu publizieren. Stefan Weidle erzählt die Anekdote gern, wenn er gefragt wird, wie er "Kleinverleger" wurde. Heute ist der Weidle-Verlag eine der wichtigsten Adressen für vergessene Schätze der Literatur der zwanziger und dreißiger Jahre. Für diese Pionierleistung wurde er in diesem Jahr mit dem Kurt-Wolff-Preis ausgezeichnet.

Verdient hätte den Preis auch Klaus Wagenbach, selbst wenn er ein Großer unter den Kleinen ist. Sein Leben(swerk) gibt ein anderes Beispiel dafür, dass verlegerischer Wagemut, die Lust am Risiko nicht zwangsläufig in den Ruin führen muss. In dem kleinen Dokumentarfilm Das Herz sitzt links, der dieser Tage in Berlin uraufgeführt wurde, sieht man den Berliner Verleger, der im Juni 75 Jahre alt wurde, in seinem Ferienhäuschen in Italien Zeitung lesen. Dass er es bis dahin schaffen würde, hatte er 1964 sicher nicht gedacht, als Georg von Holtzbrinck den Frankfurter S.Fischer-Verlag kaufte und den 34jährigen Lektor Wagenbach kurzerhand feuerte, weil er ihm zu links war. Ab da verlegte er selbst.

Als nach Siegfried Unselds Tod der Frankfurter Suhrkamp-Verlag wankte. hatte man mitunter den Eindruck, die Zukunft der Aufklärung und der Bestand des Verlages fielen in eins. Um wie viel mehr gilt das für den Wagenbach-Verlag? Was wäre die Republik ohne Bücher wie Bambule von Ulrike Meinhof, Wolf Biermans Die Drahtharfe, die Anthologie Vaterland, Muttersprache oder Erich Frieds und Vietnam und? Und was wäre die deutsche Linke ohne die Freibeuterschriften des italienischen Linken Pier Paolo Pasolini, die Wagenbach 1978 publizierte?

Doch wo steht Wagenbach heute? Wenn eine ehemalige Mitarbeiterin seines Hauseseinen "Dokumentarfilm" über ihren ehemaligen Chef dreht, kann man sich ausrechnen, dass hier kein Musterbeispiel investigativer Cineastik entstehen würde. Der Film der 1960 geborenen Lektorin und Publizistin Margit Knapp und des Filmemachers Arpad Bondy ist denn auch mehr ein liebesvolles Porträt, eine Hommage an einen unkonventionellen Bonvivant. Man sieht den lustigen Rentner, der sich im Verlag auf den Lektorenposten zurückgezogen hat, morgens über den Kurfürstendamm hüpfen und wenige Minuten später im Verlag mit einem Blumenstrauß seiner jungen Frau, die den Verlag jetzt leitet, wie ein verliebter Pennäler um den Hals fallen. Knapps und Bondys steifes Kaleidoskop aus Zitaten wichtiger Bücher und legendären Covern soll die ausführlichen Selbstzeugnisse des Porträtierten garnieren: Wagenbach in Großaufnahme am Schreibtisch, die Stationen der Verlagsgeschichte kommentierend oder beim gemeinsamen Mittagessen im Verlag; andere Perspektiven, kritische Stimmen fehlen - ein verfilmter Selbstdarstellungsprospekt sozusagen.

Zwar beleuchten Knapp und Bondy Wagenbachs Aufstieg aus der Studentenrevolte und dem politischen Aufbegehren am Ende der sechziger Jahre. Und ein Rest von der politischen Energie von damals, die viele heute leugnen möchten, ist noch zu spüren, wenn sich Wagenbach am Schreibtisch mit diebischer Freude einen Papierbogen greift und mit den Worten "Jetzt schneiden wir den Otto da mal raus" einen damals schon bekannten Rechtsanwalt und Baader-Meinhof-Verteidiger, der heute Bundesinnenminister ist, kurzerhand heraus schnipselt. Doch was das Wörtchen "links" aus dem Filmtitel heute noch zu bedeuten hat, wird nicht so recht klar, mag Wagenbach auch noch sehr mit Revolutionsrhetorik kokettieren. "Anschläge" sinnt er mit seinem charakteristischen, subversiven Glucksen der Doppelbedeutung eines Fachwortes aus dem Gewerbe nach, "das Wort hat mir immer gut gefallen". Anschläge auf die Phantasie - so könnte man das Programm heute wohl noch am ehesten charakterisieren. Denn Wagenbachs Verlag liefert ein paradigmatisches Beispiel des Wegs von der Aktion zur Kontemplation, vom Proletarier zum Bürger, vom Kollektiv zum Unikat, von der Politik zur Ästhetik, von der Broschur zum Leinen. So hat er den Ruin abgewendet. Mit geradezu sinnlicher Lust sieht man den stolzen Verleger den Prägedruck auf und die Fadenheftung in Horst Bredekamps Buch Sankt Peter in Rom abtasten. Der interessante Widerspruch, wie ausgerechnet im linken Wagenbach-Verlag der 68er-Hasser Michel Houellebecq groß werden konnte, bekanntlich erschien hier 1999 die sagenumwobene Ausweitung der Kampfzone, ist den Filmemachern aber keine Nachfrage wert. So hinterlässt das launige Filmchen den unbefriedigenden Eindruck, "links" sei vor allem eine persönliche Marotte, wie diejenige wegen der Klaus Wagenbach fast ebenso berühmt wurde wie wegen manch gefährlichen Buches: seine ewig roten Socken.

Das Herz schlägt links. Ein Film von Margit Knapp und Arpad Bondy. Basis-Film-Verleih, BRD 2005, 60 Min, DVD, 16 EUR


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