Schaumbad

LUST AN DER DYSTOPIE Elementarteilchen in der Berliner Volksbühne

Dann sind wir Helden, für einen Tag. David Bowies legendärer Song von 1977 ist eine Ikone. Für die Einzigartigkeit des Pop-Individuums. Geschrieben hat er ihn im Berlin der siebziger Jahre. Als die "Mauer im Rucken" (deutsche Fassung) noch kalt war und die Helden des Außenseitertums, die auf diese Insel der Glückseligen zwischen den Blöcken flohen, noch erhaben schaudern durften. David Bowie kommt in Michel Houellebecqs Elementarteilchen nicht vor. Und doch passt der wiederkehrende Musikfetzen, den Frank Castorf in den verschiedensten Varianten durch seine Inszenierung von Houellebecqs Erfolgsroman gewunden hat. Aus dem Paradies der solitären Rebellen hat der Volksbühnen-Intendant die Vorhölle des Posthumanen gemacht. Der Standort des Menschen heute - eine senffarbene Mischung aus Erosspielplatz, Therapiezone, Gummizelle und Fitnesscenter. Die Rauschträume erwachen im Kunstlicht der Amüsiergesellschaft, die sexuelle Befreiung endet im Dauerrammeln ein paar geiler alternder Böcke. Zwei namenlose Einzeller der Wettbewerbsgesellschaft, eine rote und blaue Amöben fallen immer wieder mit spitzen Schreien von der Hinderniswand mit den aufgenagelten Steinen, auf der sie aufzusteigen versuchen. Und die anagrammatische Zukunft des Menschen, von der der Klonfreak Peter Weibel im Programmheft mal wieder schwärmen darf, ist schon da: die Schauspieler tragen Nummern. Aus Houellebecqs Brüdern Michel und Bruno, die in der französischen Provinz die grausame Protokindheit der 68er-Nachkommen erleiden, sind die Nummern Eins und Zwei geworden.

Es war kein Zufall, dass Michel Houellebecqs Siegeszug wenige Jahre nach der Bicentennaire der Französischen Revolution 1989 begann. Das universelle Leitbild der sozialliberalen Republik, die sich bis dahin mehr schlecht als recht herausgebildet hatte, zersplittert bei Castorf in hunderten Lichtpartikeln, die die grosse Discokugel auf die Bühnenwände wirft. Der siegreiche Kapitalismus expandiert global. Und implodiert dabei. Gesellschaft ist zum dauererotisierten Club-Med-Verschnitt geschrumpft, zur Krabbelgruppe frustrierter Geilsusen. Die grosse Freiheit ist eine sich selbst zersetzende Fliehkraft. Das Bild der infantilen Erlebnisgesellschaft mit ihrem Enjoyhorror, zu dem Castorf Houellebecqs Roman weitet, stimmt. Doch woher rührte dann die Langeweile in dieser Inszenierung? Natürlich ist Houellebecqs heterogener Text aus Collage, Erzählung und wissenschaftlichen Reflexionen kaum zu dramatisieren. Aber weder hat er ein Fanal des Widerstandes gegen die Schreckensvision der entfesselten Globalgesellschaft aus Ego, Sex und Kommerz auf die Bühne gehievt. Noch hat er ihr erstes literarisches Dokument mit noch mehr suspense getoppt oder Houellebecqs unterschwellige Sehnsucht nach der romantischen Liebe bedient. Doch so wie Castorf Houellebecqs verstörende Rekapitulation eines umgeschlagenen Aufbruchs genüsslich auswalzt, kann man eine linke Lust an der Dystopie erkennen. Elementarteilchen ist ihre neue Bibel.

"Der einzige, der wirklich Erfolg hatte, ist mein Bruder", sagt Herbert Fritsch alias Nummer Eins alias der sexbesessene Bruno von einem überdimensionierten Spielsack herab über seinen Wissenschaftlerbruder, "er hat Kühe geschaffen." Die Hoffnung auf eine "humanistische Akkreditierung", mit der Alain Finkielkraut die Klongesellschaft der Zukunft in Schach halten will, teilt Castorf nicht. Der Mensch verlässt seine Welt. Versenkt sich im Whirlpool seichter Leidenschaften. Doch in seinem aufgedrehten Endzeitreigen auf bunten Hüpfbällen und Fellatio unter Lampenschirmen versteckt sich ein Bekenntnis zum Tod - dem letzten Widersacher der Konstruktion des unsterblichen Neuen. Freilich will sich die Katharsis, von Volksbühnendramaturg Carl Hegemann (nach Rainald Goetz' Rückzug aus der Houellebecq-Vertonung als Textgenerator eingesprungen) auch für die künftige Medienwerkstatt Volksbühne reklamiert, in diesem poppigen fading out nicht einstellen. Zu ausgelaugt wirkt Castorfs Stilmittel der exaltierten Apotheose des traurigfröhlichen Untergangs mit Filmabblende. "Dieser Abend ist dem Menschen gewidmet" stottert Martin Wuttke alias Nummer Zwei als Michel schaumbadbedeckt ins Publikum. So wie er das Humane und die Moral beschwört, klingt es wie eine naive Kinderei. Und dann beginnen alle verzweifelt zu tanzen. Wenigstens die Schauspieler sind da - Helden, für eine Nacht.

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Geschrieben von

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden