Schießen Sie nicht auf die Banker!

Hammerhart Die 5. Art Basel Miami Beach geriet zur Kernfusion von Kunst und Glam

Mondrian steht in leuchtenden Lettern auf der ganzseitigen Anzeige im Miami Herald. Designerstühle säumen einen palmenbestandenen Pool. Am Horizont schimmert der azurblaue Atlantische Ozean. Dass die renommierte Hotel Gruppe Morgans, zu der auch Madonnas Lieblingshotel, das noble Delano gehört, den Namen des niederländischen Malers für ein neues Gebirge aus Luxus-Appartements am Strand von Miami Beach gewählt hat, sieht wie der letzte Beleg für eine Entwicklung aus, die die Kunstwelt dieser Tage in einen Zustand zwischen Grauen und Entzücken versetzt. Verschwindet die Kunst langsam aber sicher hinter dem alles überwuchernden Kommerz?

Solche Befürchtungen kehren so zyklisch wieder wie Aufstiegshoffnungen und Abstiegsängste in den Hausses und Baisses der Weltkonjunktur. Seit ziemlich genau fünf Jahren beziehen sie aber ihre besondere Virulenz aus einer Veranstaltung mit dem verheißungsvollen Titel Art Basel Miami Beach. Unter diesem Namen alimentiert der Welt wichtigste und angesehenste Kunstmesse, die Schweizer Art Basel, eine leichtlebige Tochter am Strand von Florida. In dem einstigen Vergnügungsviertel von Mafia-Bossen und Drogensüchtigen am Südzipfel Nordamerikas trifft sich jedes Jahr Anfang Dezember die Kunstwelt zu einem rauschenden Fest: Vernissagen bei tropischen Temperaturen, nicht enden wollende Partys am Strand und Umsatzrekorde, von der andere Kunstmessen nur träumen.

Dass Kunst und Markt in der bürgerlichen Gesellschaft zusammen gehören, ist so neu nicht. Ein heute als einsames Genie verklärter Mann wie Rembrandt fand die viel gepriesene Freiheit der Kunst auf dem Kunstmarkt, der sich seit Beginn des 17. Jahrhunderts entwickelte, als gewiefter Verkäufer und Kopist seiner selbst. Nur die Kunstreligiösen rümpfen heute noch die Nase, dass das Gesetz von Angebot und Nachfrage auch für tendenziell immaterielle Werte wie Bilder gilt. Der in Sachen Kunst und Kunstbetrieb Illusionsarme ist da besser dran. Gerade an den bizarren Auswüchsen dieser unauflöslichen Symbiose kann man das Arkanum "Markt" in seiner zugespitztesten Form studieren.

Wer also vergangene Woche neugierig über die 5. Art Basel Miami Beach streifte, fand ein hervorragendes Terrain vor, auf dem man sich vermittels teilnehmender Beobachtung seine Klischees über den ahnungslosen amerikanischen Geldadel bestätigen lassen konnte, der vorsichtshalber einfach mal alles aufkauft, was irgendwie teuer und angesagt ist. Gebrechliche Ladys mit großen Brillen in Pink, gefolgt von grauhaarigen Senioren mit Basecap und Turnschuhen pflügten eine halbe Stunde nach Eröffnung durch die Halle D des eisgekühlten Miami Beach Convention Centers auf der Suche nach der ultimativen Kunst. "No, it´s not too late" beruhigt sie Harry "Judy" Lübke vor einem Gemälde des deutschen Jungstars Tim Eitel, einem der vielen Abkömmling der ominösen "Leipziger Schule": Die bekannten Pastelltöne, die schwarze Silhouette eines jungen Mannes, über dem eine rosa Wolke schwebt. "Well, it´s something about painting and abstraction" erklärt der Chef der Berlin-Leipziger Galerie Eigen+Art die vage Szenerie. Kostenpunkt: 180.000 Dollar. Am ersten Abend hat Neo Rauchs erfolgreicher Galerist den Stand restlos ausverkauft. Nur das teuerste Bild der Messe, Picassos vier Millionen Dollar schweres Porträt seiner letzten Frau Jacqueline Tete de Femme wartete am Stand der New Yorker Nobel-Galerie Landau bis zum Messeschluss vergebens auf einen Käufer.

Millionäre im Freizeitlook, die 7.000 Dollar pro Nacht für die Suite im renommierten Shore Club bezahlen und per Handy Millionen ordern, weil sie etwas schneller haben wollen als die Anderen - das sind Szenen aus dem Markt als großem Fressen. Erleben kann man sie freilich auch auf anderen Messen dieser Welt. Und während die Kritiker noch die besorgt Köpfe wiegen, was sie von dieser ordinären Orgie im WalMart der Kunst halten sollen, freuen sich die Künstler begreiflicherweise darüber: "Don´t shoot the bankers! They´re our friends" - dieses ironische Motto hat der amerikanische Konzept-Künstler Chris Burden auf eine weiße Leinwand geschrieben. Selbstredend hat seine Galerie auch dieses Werk in Miami angeboten.

Mehr als die ungezügelte Appetit der Sammler beunruhigt viele Kunstliebhaber am Fall der Art Miami die quantitative und kategoriale Entgrenzung des Geschehens. Denn der winterliche Kunstparcours in Florida besteht nicht nur aus der Art Basel Miami Beach mit ihren 200 Galerien. In ihrem Schatten wetteifert der Rest auf einer Olympiade der Absahnhungrigen. Das Berliner Art Forum umkreisten vergangenen Herbst gerade mal drei kleinere Zusatzmessen. In Miami waren fünfzehn Zusatzmessen, mehr als doppelt so viel wie im letzten Jahr am Start, die alle ihren Teil vom Kuchen des Kunstmarkts abschneiden wollten. Der Erfolg gibt ihnen recht: "Hammerhart" war der Andrang der Käufer, so das euphorische Resümee von Silvia Lorenz von der kleinen Züricher Galerie Römerapotheke, die sich im Zelt der Scope-Messe einquartiert hatte.

Fünf Tage lang waren mehr als 40.000 Besucher zwischen gut zehn Museen, Installationen im Stadtraum und dem Messe-Jahrmarkt unterwegs: Von einer Video-Kunst-Messe an der Strandpromenade am Ocean Drive und der NADA Art Fair in Downtown Miami. Der Kunstbetrieb als Avantgarde der Modernisierung: Früher war Wynwood eine heruntergekommene Gegend aus Drogen und Kriminalität, in dem abgestiegenes Kleinbürgertum zwischen verkommenen Vorgärten und bröckelnden Lagerhallen hauste. Seit die Kunst dort Einzug gehalten hat, avancierte der verarmte Stadtteil zum coolen "Art District", der Galerien, Museen und lofthungrige Europäer anzieht.

Ungebrochen beliebt ist die Kunst als Mittel der sozialen Inszenierung. Dass amerikanische Millionäre sich gern mit Kunst umgeben, wusste man schon vor der Art Miami. Doch sie überbieten sich nicht nur bei prestigeträchtigen Deals wie im Oktober, als der amerikanische Hedgefonds-Manager Steven Cohen dem Casino-Papst Steve Wynn aus Las Vegas für Picassos La Reve aus dem Jahr 1932 sage und schreibe 139 Millionen Dollar zahlte. Ganz offenbar denken Teile dieser Oberschicht aber selbstironischer und gesellschaftskritischer als der kulturkritische Europäer anzunehmen beliebt, wenn er solche Geschichten liest.

Während der Messetage waren in Wynwood nämlich zwei atemberaubend gut sortierte Privatmuseen zu besichtigen, gegen die etwa Berlins Hamburger Bahnhof uralt aussieht: In der "Collection" des Sammlerehepaars Don und Mera Rubell aus Miami konnte man Barbara Krugers Raum füllende Bildcollage Money makes Money und eine grelle Statue of Liberty von Keith Haring bewundern. In der in einem alten Warenhaus untergebrachten Sammlung des Multimillionärs Martin Z. Margulies eine Serie des amerikanischen Fotografen Danny Lion von 1983. Darauf sind bedrückende Bilder von Todeskandidaten in amerikanischen Gefängnissen zu sehen, die in ihren Zellen auf den elektrischen Stuhl warten.

Neben dem US-Geldadel drängen jetzt die neuen Oberschichten aus China, Russland und Lateinamerika in den Betrieb, die ihr soziales Selbstbewusstsein lieber in Kunst statt in matt getönten Jaguar-Scheiben spiegeln. Dazu kommen Prominente aus Film und Musik: Yoko Ono wurde genauso auf der Messe gesichtet wie Beyoncé und Jay Z. Das Traumpaar aus Pop erstand am Stand der Londoner Galerie Stephen Friedman einen teuer gerahmten Farbdruck des Documenta-Künstlers Yinka Shonibare. Diese Stars aus der Unterhaltungsindustrie, nicht mehr ehrwürdige Museumsdirektoren, Kunsthistoriker oder etwa die Künstler, machen diese Kunstmesse zu einem Publikumsmagnet erster Rangordnung. Und wer würde nicht erst einmal tief durchatmen, wenn er bei der Eröffnung in Miami plötzlich neben Keanu Reeves an der Messebar steht und einen Prosecco bestellt.

Geschickt hat Sam Keller, der ebenso arbeits- wie tanzwütige junge Messechef aus der Schweiz, die Art Basel Miami zu einem reizüberfluteten Cross-Over-Event aus Kino, Musik, Performance und Party gemacht: Wenn die amerikanische Filmlegende Dennis Hopper bei einer Sondervorführung von Easy Rider die Verbindung von Film und Kunst erklärt und die kanadische Elektropunkerin Peaches zum nächtlichen Eröffnungskonzert Hunderte Männer im Anzug an den Strand lockt, dann wird man Zeuge eine Kernfusion von Kunst, Pop und Glam, die ihresgleichen sucht. Einer der Höhepunkte war erreicht als in der Skywalker Parade achtzehn überdimensionale, von Künstlern gestaltete Heißluftballons am Strand aufstiegen. Bis zum Wasserballett mitternachts am Pool in einem der vielen Luxushotels auf der Collins Avenue reichte diese endlose Achse des Fun.

Das Problem von Kellers Prinzip: Es weckt Erwartungen an die Inszenierung von Kunst, bei denen nichtkommerzielle Veranstalter wie Museen oder Kunstvereine kaum mithalten, die aber in Zukunft nur schwer unterboten werden können. "Miami ist das Armageddon der Kunst" stöhnte ein örtliches Kunst-Magazin. Noch ist nicht abzusehen, wie dieser veränderte Kontext die Kunstwelt und ihre Rezeptionsgewohnheiten verändern wird. Selbst das Welt-Kunstfest Nummer Eins, die Biennale von Venedig, sieht gegen die Art Miami plötzlich blass aus.

Ob der eigentlicher Inhalt, die Kunst, bei dieser Eventisierung auf der Strecke bleibt - die bange Frage ist so neu nicht. Wer gesehen hat, wie die Werke des deutschen Starkünstlers Jonathan Meese, für die die hippe Berliner Galerie Contemporary Fine Arts in Miami eine halbe Million Dollar erzielt haben soll, immer größer, immer bunter werden, mag seine Zweifel haben, ob Kommerz und Betrieb die Kunst wirklich ganz unbeeinflusst lassen. Die immer schneller aufeinander folgenden Messen setzen den Künstler unter einen gefährlichen Produktionsdruck. Unwillkürlich denkt man an das Schicksal des heute fast vergessenen Malers und Musikers A. R. Penck. Je stärker dessen Bilder nach dem Mauerfall ihren Weg in ungezählte Museen und Privatsammlungen fanden, desto so stärker wurden die wie am Fließband produzierten Zeichenbilder des Epochenwechsels zu Karikaturen ihrer selbst.

Am Ende so eines kometenhaften Starts aus dem Nichts steht dann meist die Aufnahme in die BMW-Collection. Die Münchener Nobelmarke stellte in Miami in einer Sonderschau die Modelle der Rennwagen vor, die Künstler von Robert Rauschenberg bis Jenny Holzer gestalten durften. Doch dass zuviel Markt die Kunst am Ende womöglich tötet, wie mancher angesichts der explodierenden Messegeschehens an Nordamerikas Südzipfel argwöhnte, ist so wenig glaubhaft, wie die Vorstellung, die Botschaft Jesu könnte von zuviel katholischen Bischöfen im Petersdom erdrosselt werden.

Kein Kritiker, kein Kunsthistoriker fand die Antwort auf das Fragezeichen, das wie ein Damoklesschwert über der Messe von Miami schwebte. sondern eine Legende der philosophisch reflektierten Kunst. "Ich glaube zwar nicht, dass Künstler auf den Markt gehören. Aber immerhin ist die Art Basel eine saubere Messe" befand Konzept-Artist Lawrence Weiner. Der 1942 geborene Künstler, einer der klügsten Menschen unter der Sonne des Kunstbetriebs und eine Legende der philosophisch reflektierten Kunst, vertraut ungebrochen auf die Kraft der Kunst. Belustigt stand der schmale alte Mann in orangefarbenen Traininghosen und mit grauem Zopf im dicksten Messegetümmel zwischen supercool abgerissenen Vernissagisten, geschniegelten amerikanischen Society-Löwen und skeptisch bebrillten Kuratoren. Zwar verglich Weiner die Messe mit einem orientalischen Markt, plädierte aber dafür, gelassen zu bleiben: "Ein Mondrian in einem Soukh bleibt trotzdem ein Mondrian".


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