Schlägt Utopie eigentlich immer in Gewalt um? Als im vergangenen Jahr das 30. Dienstjubiläum der 68er zum rituellen Begängnis anstand, brachte vor allem ein Vorwurf die rebellischen Gemüter von damals zum Kochen. Dass nämlich der Aufbruch von 1968 die Wurzel aller Übel von heute gewesen sei: von der Bindungslosigkeit bis zum Bildungsdesaster, vom Sittenverfall bis zum Terrorismus. An allem waren „die 68er“ schuld. Und von den Beatles bis zur RAF führte eine direkte Linie.
Auf eine spezifische Weise nimmt nun eine Ausstellung mit dem merkwürdig verdrehten Titel Man 9169 Son in der Hamburger Kunsthalle diesen Streit noch einmal auf. Wer im Ausstellungsflyer liest, es gehe darum, wie „manch alternativer Lebensentwurf und gesellschaftliche Utopie in ihr gewalttätiges Gegenteil verkehrt wurde“, den beschleicht das ungute Gefühl, hier werde nun schon wieder ein Schwarzbuch der Linken aufgeschlagen und die Schlacht des vergangenen Jahres erneut geschlagen – diesmal mit Hilfe der Kunst. Zumal die Ausstellungsmacher ausgerechnet den Massenmörder Charles Manson als Kronzeugen für das Scheitern von 1968 aufbieten.
Massenmörder und Hells Angels
Gleich zu Beginn der Schau blickt der Mann mit dem Hakenkreuz auf der Stirn von einem Bilder-Triptychon des Münchener Künstlers Stefan Hunstein mit dem Titel ‘69. Darauf sind neben Mansons Bild die Mondlandung und ein Foto mit dem Schriftzug „Hells Angels“ zu sehen. Bei einem legendären Freiluftkonzert auf dem kalifornischen Altamont Speedway prügelte die berüchtigte Bikertruppe in Lederkluft während des Auftritts der Rolling Stones einen jungen Konzertbesucher zu Tode – drei markante Ereignisse des Jahres 1 nach der großen Revolte.
Was einem ausgesprochen willkürlich, ja politisch motiviert vorkommt, entfaltet bei näherer Betrachtung einen beunruhigenden Reiz. Manson, ein Heimkind mit krimineller Vergangenheit, war – horribile dictu – 1968 nach Los Angeles gekommen. Der bis dahin weitgehend unbekannte Mann wurde durch ein spektakuläres Massaker, das die Mitglieder seiner Sekte im August 1969 in einem Nobelbezirk von Los Angeles verübten, über Nacht zu einer Ikone des Verbrechens. Auch wenn Mansons Jünger bei dieser Bluttat ihren Opfern – darunter das Model Sharon Tate – Worte wie „Pig“ auf die Stirn ritzen; die Taten waren keineswegs politisch motiviert. Allerdings verbanden sich in der „Bewegung“ des Freundes der Beach Boys und Verehrers der Beatles Popkultur, Messianismus, Esoterik, Satanismus und die kollektiven Lebensformen der Gegenkultur zu einer Mischung, die zumindest so aussah, als wäre sie politisch.
Eine sichere Hand beweisen die Kuratoren Frank Bart und Dirk Möllmann bei ihrem ikonologischen Assoziationsgestöber in Sachen „68 und die Folgen“ nicht. Die (kunst)historischen Bezüge, mit deren Hilfe sie den Wurzeln des Klimasturzes nach ’68 auf den Grund gehen wollen, wirken mitunter so naiv wie die der letzten Documenta, als Roger Buergel eine Kontinuität der Formen durch die Jahrhunderte belegen wollte. Die Betrachtung von George Grosz’ Bild John, der Frauenmörder aus dem Jahr 1918 trägt wenig zum tieferen Verständnis des Grosz-Verehrers Manson bei. Sie erklärt auch nicht, warum die Utopie von ’68 ein Monster gebar. Andererseits: Warum den Mann, der sich irgendwie als eine Art neuer Messias produzierte, nicht mit Meister Franckes Christus als Schmerzensmann von 1435 vergleichen? Schließlich hat schon der amerikanische Maler Joe Coleman Manson auf seinem Porträtbild aus dem Jahr 1988 zwischen Jesus und Hitler postiert.
Bizarre Mischung aus Ökologie und Kollektivzwang
So schliddern die Kuratoren insgesamt 35 mal durch die Kunstgeschichte – von Mario Asef bis Günter Zint. Mal ist ihre Beweisführung erstaunlich treffsicher. Wenn der 1971 geborene Hamburger Maler Till Gerhard die Mitglieder der Manson-Familie in seiner Bilderserie Wächter der Natur als gesichtslose Gruppe in leuchtenden Farben malt, wird die bizarre Mischung aus Ökologie und Kollektivzwang besser sichtbar als in jeder kulturwissenschaftlichen Analyse. Doch was hat Joseph Beuys’ berühmtes Koyoten-Video I like America – America likes me in der Schau verloren?
Immer wieder operieren Barth und Möllmann mit problematisch vagen Vergleichen: Mit den Bildern der dänischen Freistadt Christiania in Kopenhagen des Berliner Künstlerpaars Delbrügge deMoll wollen sie eine Kontinuitätslinie in die Gegenwart sichtbar machen. Kommunen gibt es ja tatsächlich immer noch. Doch was unterscheidet dieses Resort des Ökopazifismus von Mansons diabolischer Gruppe auf der Ranch im kalifornischen Death Valley? Das bleibt ebenso unklar wie der Unterschied zwischen Charles Manson und Andreas Baader.
In Thomas Kunzmanns Videoclip killer powered by pop, in dem letzterer auftaucht, kann man zwar das Nachleben solcher Figuren im Pop studieren. Gleichzeitig werden aber beide über einen politischen Kamm geschoren. Spätestens da wird in Hamburg ein schwer genießbarer, gruseliger Post-68er-Cocktail zusammengerührt, bei dem unter dem Stichwort „Ambivalenz des Schreckens“ die Vorurteile der Besucher über den Zusammenhang von Utopie und Gewalt eher bestätigt als produktiv verunsichert werden. Trost hält die Ausstellung immerhin bereit: In Ilya Kabakovs Installation Healing with Paintings kann man zwei Krankenzimmer betreten, in denen Patienten vom Bett auf Gemälde mit Wasserlandschaften starren. Am Ende heilt selbst die schlimmsten Verbrecher die Kunst.
Man 9169 Son. Vom Schrecken der Situation. Kunsthalle Hamburg, noch bis 26.4.2009, Katalog 9
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