Schnittstelle am Bosporus

Kulturaustausch In Istanbul soll eine deutsche Künstlerakademie nach dem Vorbild der Villa Massimo entstehen. Mit problematischer Symbolik und weit ab vom Schuss

Sieger nach Punkten. So nannte der deutsche Schriftsteller Thorsten Becker seinen 2004 erschienenen Roman. In sechs Kapiteln schildert er die Geschichte seines Helden Nasrettin Öztürk vom Sohn türkischer Einwanderer in Berlin zum Europameister im Superfedergewicht. Dazwischen erzählt Becker eine Parallelstrecke die Geschichte der Türkei von der Islamisierung Anatoliens bis zu der Republikgründung Atatürks.

So ausufernd, geschichtsmächtig und türkeibegeistert wie der 1958 bei Köln geborene Becker beschäftigen sich deutsche Künstler selten mit dem Land am Bosporus. Auch wenn sie gelegentlich zum Urlaub nach Antalya fahren. In der Regel ist es genau umgekehrt. Deutschtürkische Autoren wie Feridun Zaimoglu oder Emine Sevgi Özdamar erzählen mehr von ihrer Heimat und dem Weg nach Deutschland als Deutsche in der Türkei von ihren Erfahrungen in ihrem Land.

Anfang Juli feierten in Istanbul die sogenannten „Almanci“ rauschende Erfolge. Türkische Migranten der zweiten und dritten Generation in Deutschland hatten in der Heimat ihrer Eltern und Großeltern ein großes Kulturfestival ausgerichtet. „Beyond belonging“ - der Titel der Tournee zeigte demonstrativ, dass diesen Künstlern die Frage der Herkunft egal ist. Sie sitzen gerne zwischen allen nationalen Stühlen. Doch wann gab es zuletzt ein „deutsches“ Festival am Bosporus?

Das Zufällige und Ungleichgewichtige der deutsch-türkischen Kulturbeziehungen soll sich nach dem Willen des Deutsche Bundestags nun ändern. Die Volksvertreter haben nämlich vor kurzem die ersten 6 Millionen Euro Steuergelder für eine Künstlerakademie in Istanbul freigegeben, die nach dem Vorbild der Villa Massimo funktionieren soll: Die „Villa Tarabya“. Sieben „erfolgversprechende Künstler“ von der Musik bis zur Literatur sollen dort ein halbes Jahr leben und arbeiten – ganz wie in der Künstlerklause in Rom.

Tarabya heisst Therapia

Die neue Akademie wird eine Nummer größer als das italienische Haus, das der Mäzen Ernst Arnold 1910 dem Deutschen Reich stiftete. Mit einem 18 Hektar großen Anwesen ist die Villa Tarabya größer und repräsentativer. Benannt ist sie nach dem Istanbuler Stadtteil, in dem sie liegt. Tarabya geht, wie so vieles in Istanbul, auf griechische Ursprünge zurück.

Das kleine Fischerdorf hieß erst „Pharmacia“, was so viel heißt wie Gift. Den Namen, den der bei den Bosporus-Griechen beliebte Wohnort nach seiner Umbenennung bekam, passt haarscharf auf den Zweck, dem der Flecken heute dienen soll: Tarabya kommt nämlich vom griechischen therapia. Eines der Grundstücke in dem malerischen Flecken schenkte Sultan Abdülhamit II. 1880 dem Deutschen Reich mit der Auflage, es für diplomatische Zwecke zu nutzen.

Knapp zwei Millionen Türken wohnen inzwischen in Deutschland. Die Südosteuropäer bilden die größte ausländische Bevölkerungsgruppe hierzulande. Da ist es richtig und mehr als überfällig, dieser wechselseitigen Durchdringung der Kulturen einen institutionalisierten Ausdruck zu geben. Wenn die Türken die deutsche Kultur bereichert haben, warum soll dann nicht die deutsche Kultur der Türkei etwas zurückgeben? So argumentiert man in der Behörde von Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU), einem der vehementesten Befürworter des Projekts.

Ob das 18 Hektar große Gelände auch symbolisch die richtige Adresse ist, um den Kulturaustausch zu bewerkstelligen, den seine Gründer im Sinn haben, kann man kritisch sehen. Denn auf dem malerischen Gelände stehen nicht nur vier große Villen, die der armenische Architekt Cingria nach osmanisch-türkischen Vorbildern baute. Die im Stil der typischen Istanbuler Holzhäuser errichteten Gebäude mit einem malerischen Blick auf den Bosporus dienten dem deutschen Botschafter einst als Sommerresidenz.

Krieger mit Engel

Auf dem Gelände liegt auch ein deutscher Soldatenfriedhof, den der osmanophile Kaiser Wilhelm II. 1915 höchstpersönlich anlegen ließ. Rund 700 Tote beider Weltkriege sind dort bestattet. Darunter der deutsche Feldmarschall Wilhelm Leopold Colmar Freiherr von der Goltz, dessen Sarg nach seinem Tod bei Bagdad 1916 in eine deutsche und türkische Fahne gehüllt wurde.

Goltz, nach dem noch heute Straßen in Deutschland benannt sind, reformierte nicht nur die osmanische Armee und erhielt den Ehrentitel „Pascha“. Der überzeugte Bellizist war auch Gründer eines „Jungdeutschen Bundes“, einer Art deutschem Pendant der nationalistischen „Jungtürken“ des späteren osmanischen Kriegsministers Enver Pascha. Jedes Jahr zum Volkstrauertag begehen die deutsche Kolonie, deutsche und türkische Militärs an seinem und seiner Soldaten Grab das Totengedenken. So wie schon Kaiser Wilhelm 1917, ein Jhr, bevor er sich ins niederländische Exil verabschiedete.

Insofern ist die idyllische Residenz auch ein Symbol des Deutschen Kaiserreichs und der deutsch-türkischen „Waffenbrüderschaft“ in zwei Weltkriegen. Die terrassenartig zum Bosporus gestaffelte Grabanlage „ziert“ ein Denkmal des Bildhauers Georg Kolbe - ein gefallener Krieger mit Engel. Ob sich deutsche Künstler hier gut aufgehoben fühlen? Andererseits kann man es durchaus als positiv werten, dass ein historisch kontaminiertes Gelände und staatliches Hoheitssymbol in einen Ort der Kultur umgewidmet werden wird.

Man kann die Entstehung der Villa als einen Versuch werten, die traditionelle Außenpolitik kulturell neu zu justieren. Verbarg sich hinter der Stiftung der Villa Massimo ein genuin kulturelles Interesse – die sprichwörtliche deutsche Italien-Sehnsucht – dominieren bei der in Tarabya politische. Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) sucht schon länger nach anderen Instrumenten der Außenpolitik. Immer öfter spricht er davon, dass sich Deutschland in der Globalisierung „anders übersetzen“ muss. Die Villa in Tarabya soll offenbar nicht die letzte ihrer Art bleiben. Auch in der alten japanischen Kaiserstadt Kyoto plant die Bundesrepublik eine „Villa Kamowaga“: Kultur als Transmissionsriemen weltweiter deutscher Selbstdarstellung.

Neuer Ost-West-Konflikt

Den staatlichen Versuch, den Wandel der weltpolitischen Koordinaten kulturell nachzuvollziehen, demonstriert auch der CDU-Politiker Steffen Kamphaus (CDU). Anders als die Grünen-Politikerin Petra Roth, die die künftige Villa als „Freiraum“ und „Brücke“ sieht, sieht das Mitglied des Haushaltsausschusses des Parlaments, zusammen mit der SPD-Abgeordneten Petra Merkel einer der Protagonisten des Projekts, die Villa offenbar als eine Art Frühwarnsystem und Seismograph. Kampeter verweist gern auf die Rolle der Türkei an der Schnittstelle des „neuen Ost-West-Konflikts“. Die türkische Regierung selbst hält sich mit Rollenzuweisungen für das Projekt zurück. Für sie ist es in erster Linie ein Prestigeerfolg. Nur die nationalistische Website Asil Türkler verdammt es als „deutsche Propaganda“.

Deutsche Künstler reagieren elektrisiert auf die Aussicht einer Herberge in Istanbul. Der Berliner Schriftsteller Ulrich Peltzer findet die Stadt „viel spannender“ als die Hauptstadt in Berlusconis Italien: „Istanbul ist ein faszinierender Ort der Ungleichzeitigkeiten und neuer Vergesellschaftsformen. Italien kennt kein Außen mehr. Da steht alles still“, sagte er dem Freitag. Schon 2004 bestaunte er nach Studienaufenthalten die Bosporus-Metropole als "Eine Stadt die niemals schläft" und war fasziniert von dem sich "rasant modernisernden Sozialwesen, das dabei ist alle falschen Bindungen an die Vergangenheit abzuschütteln". Peltzer erklärte Istanbul kurzerhand zum "europäischen Laboratorium des 21 Jahrhunderts".

Ob Peltzer diesen Umbruch der türkischen Gesellschaft wirklich sinnlich erfahren könnte, wenn er einmal Tarabya-Stipendiat am Bosporus wäre, steht dahin. Denn die Akademie könnte schnell ein luxuriöses Ghetto werden. Denn sie ist rund 18 Kilometer vom Stadtzentrum entfernt, mithin von Stadtteilen wie Beyoglu oder Cihangir, in denen diese Brüche und Verdichtungen mit den Händen zu greifen sind, von der Peltzer spricht. Hier wohnen auch die meisten Künstler und Intellektuellen. Eine glücklichere Hand bewies das Land Nordrhein-Westfalen bei der Auswahl seiner Künstlerresidenz. Das von der Stiftung Kunst und Kultur betriebene „Atelier Galata“ liegt direkt am historischen Galata-Turm, unweit vom Goldenen Horn – mitten in der brodelnden urbanen Szene der 15-Millionen-Metropole.

Merkels Meilenstein

Folgt Außenminister Steinmeier mit dem Projekt noch dem protürkischen Kurs seines einstigen Chefs Gerhard Schröder, verwundert das Interesse der türkeiskeptischen CDU auf den ersten Blick. Freilich liegt die Vermutung nahe, dass sie den türkischen Unmut über die Formel von der „Privilegierten Partnerschaft“ mit einem sichtbaren Zeichen der Zusammenarbeit kompensieren will. 2010 soll die Villa eingeweiht werden. Im selben Jahr ist Istanbul (zusammen mit Essen und Pecs) „Kulturhauptstadt Europas“. Wenn Angela Merkel als wiedergewählte Kanzlerin an den Bosporus reist, will sie nicht mit leeren Händen dastehen.

Der Regierungschefin rutschen bei dem Projekt aufschlussreiche Untertöne heraus. Als sie kürzlich bei der Ausstellung der Arbeit der Massimo-Stipendiaten im Berliner Gropius-Bau davon sprach, dass die „deutsche Kultur nicht denkbar ohne europäische Einflüsse“ sei, und die künftige Villa am Bosporus euphorisch zu einem „Meilenstein“ stilisierte, konnte man den Eindruck gewinnen: Offenbar zählt Angela Merkel die Türkei doch zu Europa.


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