Surreal

BERLINER REVOLUTIONSTHEATER Thomas Ostermeiers "Dantons Tod" und René Polleschs "Frau unter Einfluss"

Der Eros der Revolution interessiere ihn. So hat Thomas Ostermeier, Chef der Berliner Schaubühne, vor kurzem im Gespräch mit dem englischen Historiker Eric Hobsbawm sein Interesse an Büchners Dantons Tod begründet. Für den Hinweis war man wirklich dankbar. Denn Monate um Monate hatte man gerätselt, was den Umstürzler vom Lehniner Platz bewogen haben könnte, Büchners Revolutionsdrama von 1835 aufzuführen. Der Eros also, aha, aha. Doch wo genau hatte der nun gesteckt in der bestürzend konventionellen Inszenierung, die vorvergangene Woche Premiere hatte? Sollte es die Selbstbezüglichkeit männlicher Revolutionäre anprangern, dass Ostermeier die Rollen der Frauen mit Männern besetzt und ihnen Brüste vorgebunden hatte? Die Revolution als blutige, narzistische Selbstbefriedigung? Die sich zum Schluss statt Guillotine als rote, aus dem Eimer geschüttete Blutlache über die Köpfe Dantons und seiner Gefährtinnen ergoss. Oder war das einfach nur ein billiger Transvestitengag, der sich gut macht vor blutrot flatterndem Revolutionstuch, das die hölzerne Budenbühne, viertels Marktplatz, viertels Rednerpult, viertels Schafott, viertels Boudoir umschloss?

Und wozu diente der mässig stilisierte Aufwand? Um die bahnbrechende Erkenntnis zu ventilieren, dass alle Revolutionen blutig ausarten? Rot ist die Liebe ist der Tod? Hätte es dazu der Schaubühnen-Revolution von vor zwei Jahren bedurft? Büchner sah als Aufgabe des Dichters "der Geschichte, wie sie sich wirklich begeben, so nahe als möglich zu kommen." Damit kommt er Ostermeiers ästhetischen Vorlieben nahe. Doch der kam nur Büchner so nah wie möglich. Nur selten wird die von halbseiden ironischen Gags wie "Wir sind das Volk" und ein paar als Raben verkleideten Mitgliedern des Wohlfahrtsauschusses zu jenem "poetischen Realismus" gestreckt, in den der neue Sozialrealist schon früher immer wieder flüchtete. Diese Inszenierung zeigte, wie Ostermeiers ästhetische Revolution in die Sackgasse führt - weil sie nur bei sich bleibt.

"Das politische Theater der 68er Generation ist tot", hatte Ostermeier in seinem programmatischen Vortrag vom Mai 1999 mit dem Titel Das Theater im Zeitalter seiner Beschleunigung noch vollmundig dekretiert und weiter: "Das Theater der wohltemperierten, kulinarischen Klassikeraktualisierungen für gebildete Gourmets, die sich auch an den schärfsten und exotischsten Appetithäppchen nicht mehr verschlucken, diese liberalen, aufgeschlossenen Bildungsbürger der letzten Generation werden leise mit diesem Theater aussterben." Nach diesem höchstens historizistischen Dantonhäppchen, der noch jeden dieser geschmähten letzten Bildungsbürger wegen Geschmacklosigkeit zu Tode gelangweilt hätte, darf, steht zu vermuten, schon mal für Ostermeier-Kränze gesammelt werden. Ein klarer Fall von Selbstguillotinierung.

Braucht man Ostermeiers kitschverdächtiges "Pathos des echten Gefühls", um sich einen kritischen Reim auf die Revolutionen zu machen, die uns wirklich unter die Haut gehen? Keinesfalls. Das beweist René Polleschs Stück Frau unter Einfluss, das schon seit Dezember im Berliner Prater läuft. Der 38-jährige Stuttgarter Theatermacher hat Frank Cassavetes gleichnamigen Film von 1974 über die nervlich instabile Hausfrau Mabel Longhetti und ihren Mann Nick in ein Gespräch dreier Frauen umgebaut. Die versuchen vor einer Westernhauskulisse Deregulierung in Befreiung umzubuchstabieren. Wie die unvergleichliche Sophie Rois da wie in einem Seifenwestern auf den Wüstenboden stampft, zu Hause nicht mehr für Sex kochen will und PCs durchs Blockhausfenster wirft, ist Polleschs Bühnenadaption ein furioser, manchmal vielleicht etwas überladener Theorie-Slapstick über die Revolution des Netzkapitalismus samt seiner Sexualität im Gewande des Trash. Und wenn Sophies Freundin Annekathrin auf ihrem Recht auf Faulheit mit der listigen Begründung beharrt: "Überall stehen Leute rum auf dem Arbeitsmarkt und signalisieren ihre Arbeitsbereitschaft durch völlig surreale Handlungen, obwohl es überhaupt nichts mehr zu tun gibt. Aber ich will einfach mal entspannt nichts tun und nicht nichts tun und dabei meine Arbeitsbereitschaft signalisieren. Das ist mir einfach zu surreal", erlebt der wirklich zeitgemässe Realismus eine Glanzminute. So kann es gehen, wenn das Theater dranbleiben will am Leben in Umbruchzeiten: der eine erklärt es mit der Lust am Experiment, der andere verpasst es mit dem Eros der Klassizität.

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