Tradition

Linksbündig Die Freunde des Buches üben sich in Zweckoptimismus

Ut pictura poesis erit. In den ästhetischen Debatten der letzten Zeit kehrt verdächtig häufig eine berühmte Sentenz wieder. Sie entstammt der Regelpoetik des Horaz. Damit meinte der antike Dichter, dass die Dichtung "wie Malerei" auf den Leser zu wirken habe. Als "stumme Poesie" oder "beredte Malerei" gehörten der Antike Kunst und Literatur so untrennbar zusammen wie einst Mann und Frau in Platons Urwesen, bis Gott die beiden Unbotmäßigen in zwei Teile auseinanderhieb. Und genau diesen Satz von Horaz zitierte auch der Kunsthistoriker Werner Spies, als er vergangenen Sonntag in der Frankfurter Paulskirche die Laudatio auf Anselm Kiefer hielt, den ersten bildenden Künstler, der den traditionsreichen Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhielt.

Die Verwandtschaft zwischen Wort und Bild, die da plötzlich wieder beschworen wird, kann freilich nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Verhältnis der beiden Künste ausgesprochen prekär geworden ist. Die Kulturwissenschaften der vergangenen 15 Jahre waren bekanntlich in das Zauberwort vom iconic turn verliebt. Seitdem grassiert die Angst davor, dass eine Epoche zu Ende geht, als deren hervorragender Repräsentant das seitenstarke Objekt gilt, dem in Frankfurt jedes Jahr im Herbst (noch) eine opulente Messe bereitet wird. Der Schlachtruf der neuen Zeit, die da heraufdämmert, heißt: Es lebe das Bild! Allüberall auf den Tannenspitzen sieht man schon goldene Touchpads blitzen.

Mit der Friedenspreisvergabe an den in Paris lebenden Anselm Kiefer wollten die Juroren im Angesicht einer historischen Zäsur also vor allem ein Zeichen setzen. Die Begründung, die sie dabei wählten, klang aber so ganz anders als der Zweckoptimismus, in dem sich die Branche sonst dem digitalen Zeitalter nähert. Denn wenn sich das gute alte Buch so gut mit dem Internet und dem neuen E-Book verträgt, wie es Gottfried Honnefelder, der eloquente Vorsteher des Börsenvereins und der brasilianische Bestsellerautor Paulo Coelho zur Eröffnung der Buchmesse behaupteten - warum lobt der Börsenverein dann seinen Preisträger mit der wagnerianischen Wendung: "Gegen den Defätismus, der Buch und Lesen eine Zukunft abzusprechen wagt, erscheinen seine monumentalen Folianten aus Blei als Schutzschilde"? Statements wie diese verraten die tiefe Verunsicherung.

Ob sich der Börsenverein mit dem 1945 geborenen Kiefer wirklich eines viel versprechenden Bündnispartners für das digitale Zeitalter versichert hat? Zwar bekannte der Künstler in Frankfurt seufzend, er wäre selbst gern Schriftsteller geworden. Und erinnerte sich sehnsuchtsvoll, wie er in den fünfziger Jahren im Radio den Reden in der Paulskirche lauschte. Auch wenn er sich in seiner eigenen Rede als veritabler Kenner der Lyrik von Paul Celan und Ingeborg Bachmann entpuppte, die Bücher in Kiefers Bildern sind verfallen und verbrannt. Die Bände der Bibliothek aus Blei, die er in seinem monumentalen Werk Zweistromland Ende der achtziger Jahre geschaffen hat, dürften sich nur mit äußerster Kraftanstrengung öffnen lassen. Und man fragte sich, welcher Aufklärung der Künstler nun anhängt, als er in der Paulskirche so von der Kabbala schwärmte.

Halten wir diesem melancholischen Mythenhuber ungerechter- aber versuchsweise den 1998 gestorbenen Dieter Roth entgegen. Gemessen an dem transmedialen Witz, mit dem der deutsche Fluxus-Künstler in den siebziger Jahren seine Kunstwürste mit den Schnipseln einer 20-bändigen Suhrkamp-Ausgabe der Werke Hegels stopfte, gründet die Allianz von Buch und Bild, die da in der Paulskirche geschmiedet werden sollte, mehr auf Abwehr als auf Öffnung. Mit der Neugier und Ironie eines Dieter Roth überlebte man aber vermutlich eher in der umbrechenden Buchwelt.

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