Smile! You are in Sharjah - 34 Jahre nach der Unabhängigkeit wirbt man am Persischen Golf noch mit den Sprüchen der einstigen Besatzer. An der Corniche von Sharjah, der Uferprachtstraße des kleinen, unbekannten Scheichtums, 20 Kilometer entfernt von Dubai, direkt gegenüber der iranischen Küste, kann der Besucher zur Begrüßung einen aus Hunderten Fleißiger Ließchen geformten Spruch lesen. Um die Blumenrabatte lagern auf dem wie mit der Nagelschere geschnittenen Rasen Tag und Nacht Männer in blütenweißen Gewändern und schwatzen. Den Befehl zum Lachen riefen sich die Soldaten der einstigen Protektoratsmacht Großbritannien zu, wenn sie zum Dienst an der Südostspitze der arabischen Halbinsel abkommandiert wurden. Das gute Wetter versöhnte mit dem Posten in einer unwirtlichen, nicht gerade ungefährlichen Gegend.
Wer heute nach Sharjah kommt, dem dürfte das Lachen eher vergehen. Das drittgrößte und dreigeteilte Winzfürstentum der ominösen Siebenscheichtümer-Föderation namens Vereinigte Arabische Emirate gehört zwar zu den reichsten Ländern der Erde. Sein Herrscher sitzt ungefähr so auf Petro- und Gasdollars wie Europa auf Schulden. Die sagenhafte Mischung aus Wirtschaftsboom, Sozialstaat und halbherzig gegönnter Fast-Demokratie zieht den niedergehenden Westen magisch an. Kein Wunder, dass der aufgeklärte Absolutist Gerhard Schröder vor Monatsfrist im Sturmschritt durch die Golfstaaten eilte, um zu sehen, ob sich nicht ein Stückchen von diesem orientalischen Märchenkuchen abschneiden ließe.
So überschießend das neue wirtschaftliche Selbstbewusstsein in den uralten Nomadenstaaten ist, so unterentwickelt ist das Bewusstsein von der eigenen Kultur. Wer in Dubai aus dem Flugzeug steigt, stößt auf den Protz der Parvenues und Geschichtslosen. Der größte Flughafen der Emirate gleicht drei Potsdamer Plätzen in der Intensivbauphase. In Dubai steht auch das berühmteste Hochhaus der Küste: Das 321 Meter hohe Luxushotel Burj Al Arab in der Form eines violett glühenden Segels, in Abu Dhabi das größte Hotel der Welt. Und das orientalisierende Gebäude des Erdölministeriums im kleineren Sharjah, hinter der künstlichen Lagune in der Stadtmitte, auf dem ein Lunapark die Bevölkerung erheitert, sieht aus wie die Replik eines Scheichpalastes für Las Vegas.
Zwar haben in den vergangegen zehn Jahren etliche Museen am Golf eröffnet. Seitdem wird jeder Lehmziegel des kulturellen Erbes in "Heritage Areas" gesammelt. Doch gegen die Fetische der Warenwelt kommen diese winzigen Identitätsoasen schwer an. 24 Stunden blinken die Leuchtreklamen, hupen die Schlangen der wie Edelsteine blitzenden Nobelkarossen auf den dreispurigen Schnellstraßen. Das Land der Fischer, Perlentaucher. Piraten und Beduinen, das der britische Entdecker und Orientalist Wilfried Thesiger vor kaum vierzig Jahren hier bereiste und in seinem berühmten Buch Die Brunnen der Wüste besang, ist verschwunden. Es existiert nur noch auf sepiabraunen Fotografien in den pompösen Hotellobies oder den überdimensionierten Shopping-Malls. Am Persischen Golf ist Arabien ein blattgoldbelegtes Pastiche des Westens.
Dass sich ein Land, das in die phallische Vertikale strebt, sein Heil in einem Konsumrausch ohnegleichen sucht und nach dem Motto zu agieren scheint: Wenn wir schon keine Vergangenheit haben, soll uns wenigstens die Zukunft gehören, mit der rückwärtsgewandten Frage nach dem "Belonging", also der Herkunft beschäftigt, lässt natürlich aufhorchen. Auch wenn das Leitthema der 7. Kunstbiennale, die vergangene Woche in dem 600.000-Seelen-Emirat Sharjah eröffnet wurde, nach einem sattsam bekannten Modethema des zeitgenössischen Kunstdiskurses klingt. Die Frage nach der globalen Migration, nach dem Leben zwischen den Welten und der postmodernen Nomadenkultur wird seit Jahr und Tag auf inzwischen 110 Biennalen dermaßen vor- und zurückgekaut, dass man sie nicht mehr hören und sehen mag. Muss man nun auch noch im arabischen Sharjah dieselbe Kunst sehen, wie sie sich spätestens seit Okwui Enwezors Dokumenta11 von 2002 eingebürgert hat?
Out of Place heißt da zum Beispiel eine Video-Arbeit des italienischen Künstlers Mario Rizzi. Tschetschenische Emigranten in Paris oder Zigeuner in Albanien oder erzählen da von ihrem schweren Schicksal. Diese Lebensgeschichten nehmen durchaus gefangen. Doch auch wenn Rizzi die verschiedenen Erzählstränge geschickt ineinander fließen läßt, bleibt der Kunstaspekt dieses Videos einigermaßen im Dunkeln. Wie man einen politischen Brennpunkt verarbeiten kann, ohne auf Poesie zu verzichten, bewies die Palästinenserin Rula Halawani. Sie hängte ihre Schwarz-Weiß-Fotografien von Teilen der neuen Mauer, die Israel von der Westbank trennen soll, an alle vier Wände eines abgedunkelten Raumes. Zwischen den streng, fast klassizistisch und ohne ein Wort der Erklärung gehängten Großformaten überfielen einen plötzlich klaustrophobische Anwandlungen wie in einer Grabkammer.
Halawanis Arbeit war nicht das einzige Beispiel für Werke, mit denen Chef-Kurator Jack Persekian die Sharjah-Biennale zu einem ungewöhnlich radikalen Statement geformt hat. Der amerikanisch-palästinensische Ausstellungsmacher aus Jerusalem hatte schon 2003 zeitgenössische arabische Kultur im Berliner Haus der Kulturen gezeigt. Ausgerechnet im Mittleren Osten verhalf er dem ausgelaugten West-Modell Biennale zu neuer Ausstrahlungskraft. Hierzulande hält man sie längst nur noch für den standortpolitischen Zauberstab rezessionsgeschädigter Städte, für eine über den Globus wandernde Big-Party der immergleichen Kuratoren, Kritiker und Künstler oder beschimpft sie als Art-Drive-In, das nur noch einem dient: dem schellen und gefahrlosen Kunstkonsum. In dem sandigen Kleinstaat, den Sheik Dr. Sultan Bin Mohammed Al Qassimi seit 33 Jahren zwar aufgeklärt, aber eben doch absolut regiert, bekommt sie plötzlich Brisanz. Und zwar, weil sie die Widersprüche der arabischen Modernisierung aufs Korn nimmt.
Mohammed Kazan zum Beispiel. Der 1969 in Dubai geborene Künstler hat in seiner Videoinstallation The Window 2003-2005 den Bau eines der Hochhäuser in Sharjah von der Grundsteinlegung durch die indischen Gastarbeiter bis zu dem Moment nachgezeichnet, wo der erste Gast das Fitness-Center des neuen Prachtbaus im 42. Stock betritt. Wer die einstöckigen, fensterlosen Lehmbauten der Fischer und Beduinen, die der kunstsinnige Scheich, der in Kairo arabische Kulturgeschichte studiert hat, in Alt-Sharjah nachbauen ließ, mit den Big Business-Monumenten darumherum vergleicht, kann den radikalen Traditionsbruch ermessen, den das kleine Land in den letzten zwei Jahrzehnten durchgemacht hat.
Für den libanesisch-französischen Künstler Fouad Elkhoury zeigt das Schlaraffenland, dass am Persischen Golf gebaut werden soll, ein Doppelgesicht. In seiner Fotofolge Civilisation Series zeigt er es als realisierte Utopie, als Sieg über die unbewohnbare Wüste. Doch der Slogan des "Paradise Coming Soon", den er auf einem Bauzaun gefunden hat, zeigt plötzlich eine strukturelle Analogie zwischen Ost und West: Hier wie da weicht die Natur ihrer aberwitzigen Simulation. Und der Schweizer Beat Streuli konfrontiert in einer eigens für die Biennale erarbeiteten Fotofolge die einheimischen Besucher mit den Bildern jener namenloser Inder, die dieses Paradies errichten, jeden Tag sauber machen, aber nicht von ihm profitieren, obwohl sie inzwischen 60 Prozent der Gastarbeiter ausmachen, aus denen die Bevölkerung Sharjahs zu 85 Prozent besteht. Gegen diese arabische "Multikultur" wird Kreuzberg plötzlich fast zur Idylle.
Nicht, dass ausgerechnet in Sharjah, dem konservativsten der sieben islamischen Emirate, in dem striktes Alkoholverbot herrscht, moderne Kunst so völlig problemlos implementiert werden konnte: Co-Kurator Kenneth Lum, der Koreaner aus Vancouver, musste mehrmals bei der Direktorin der Biennale für ihre Freiheit intervenieren. Die Bilder freizügig bekleideter Männern und Frauen, die die australische Fotokünstlerin Tracey Moffat zu Kollagen aus der populären Mythologie der Abenteuer- und Groschenromane zusammengefügt hatte, galten als heikel. Doch die 26 Jahre alte Tochter des Scheichs, Hoor Al Qassimi, drückte beide Augen liberal zu.
Bei der Eröffnung der bereits 1993 von Künstlern in Sharjah gegründeten Biennale, die die in London ausgebildete Kunsthistorikerin vor zwei Jahren radikal umgebaut und erstmals zu internationalem Ansehen geführt hatte, musste die unscheinbare junge Frau mit dem schwarzen Schleier und der viereckigen Hornbrille, die Fotos und Interviews hartnäckig abwehrt, ihrem Vater samt männlichem Hofstaat das Feld überlassen. Während dem charismatischen und leutseligen Herrscher auf dem roten Teppich vor dem 1997 eingeweihten Kunstmuseum in der pittoresken Altstadt Honoratioren und Touristen aufgeregt die Hand schüttelten, erkannte kaum einer die wichtigste Frau eines der zukunftsträchtigsten arabischen Kunstereignisse.
Natürlich hat das neue Kunstinteresse am Golf handfeste Gründe. Immer mehr Reiche und Superreiche wie Brad Pitt oder Boris Becker zieht es in die versteckten Luxus-Resorts in dem neuen Monaco des Orients. Bald werden sie sich sogar im ersten Unterwasserhotel der Welt treffen können. Auch die neue Mittelschicht der Banken und Agenturen in dieser Boomzone der Weltwirtschaft bringt neue kulturelle Bedürfnisse in eine Welt, wo Jahrhunderte lang das Wort Kamel und Schönheit Synonyme waren. Freilich ist die forcierte kulturelle Standortpolitik mehr als ein kostbares Spielzeug durchgeknallter morgenländischer Potentaten. In der Privatsammlung orientalistischer Stiche aus dem 19. Jahrhundert, die Scheich Qassimi zeitgleich zur Biennale eröffnete, kann er zwar auch seine Feudalmoderne spiegeln: der Orientalismus als Beute Arabiens. Doch nur für dynastische Spleens hätte die UNESCO Sharjah 1998 gewiss nicht zur Kulturhauptstadt der arabischen Welt gekürt.
Ausserdem: Nach dem 9. 11. 2001 wähnen sich der Islam und die arabische Welt in der Defensive. Es zeugt von großer Souveränität, wenn in dieser Situation ein arabischer Herrscher nicht nationalistisch autrumpft, sondern eine Kunst-Biennale eröffnet, auf der von 70 Künstlern nur gut 15 aus dem arabischen Sprachraum und immerhin fünf aus den USA kommen. Die ästhetische Kraft der zeitgenössischen Kunst aus Arabien straft dabei nicht nur alle Klischees vom vormodernen, ästhetisch beim handgeschnitzten Koranständer stehen gebliebenen Arabien Lügen. Hinter diesem Konzept steckt auch ein internationalistisches Signal, das aufhorchen lässt. Unter dem Beifall der europäischen wie arabischen Besucher brachte der 1951 geborene Emirate-Künstler Hassan Sherif, Exponent der kritischen regionalen Avantgarde während eines Symposiums das gemeinsame universalistische Interesse der Kunst in Ost und West auf den Punkt: "Wir wollen zur Welt der Kunst gehören. Und ihr wollt zur arabischen Biennale in Sharjah gehören. Sonst wärt ihr nicht hierher gekommen."
Dem Gründer der Biennale war zum Auftakt der Biennale ein Beuys´sches Mißgesicht widerfahren. Seine Installation vor dem Eingang des hypermodernen neuen Expo-Geländes war von einer kunstabstinenten Reinigungskraft kurzerhand in den Müll befördert worden. Man kann daran ermessen, wie klein die kulturelle Öffentlichkeit am Persischen Golf noch ist. Doch mit der Sharjah-Biennale wurde ein weiterer Raum geöffnet, der den David des ästhetischen Diskurses gegen den Goliath des religiösen Dogmas stellt. Diese Räume der aufgeklärten Kommunikation sind die einzige Alternative zum Kampf der Kulturen und Krieg. Wer nach der arabischen Zivilgesellschaft der Zukunft fragt - in Kunstevents wie dem in Sharjah und Kultur-Institutionen wie der Biennale findet er ihren Nukleus und Katalysator.
Die Realität ist dort einstweilen weiter monarchisch. Vom Protektorat zum Patronat: Über dem Islamic Museum und dem wieder aufgebauten Al-Hish-Fort, über der Fine-Arts-Society und am Eingang des Kunstmuseum - überall in dem Fürstentum sieht man die kleinen goldenen Schilder, auf denen zu lesen steht, dass diese neue Einrichtung "Under the Patronage" seiner Hoheit Sheik Qassimis errichtet wurde. Noch ist die Kunst in Sharjah also ein feudales Zugeständnis. Aber anders hat die Aufklärung in Europa auch nicht angefangen. Gehen wir einfach davon aus, dass sich ein weiteres Mal die historische Erfahrung bestätigen wird, die da lautet: Wer sich den Virus der Freiheit einmal eingefangen hat, wird ihn so schnell nicht wieder los.
www.sharjahbiennial.org
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