Vergiss es!

Liaison In Arnold Stadlers neuem Roman "Komm, gehen wir" hat Roland Angst vor dem Tod

Die Liebe zu dritt. Als die Berliner Chansonette Francoise Cactus 2001 diesen Song herausbrachte, hatte das den Reiz des Anachronistischen. In Berlin-Prenzlauer Berg begannen die Kleinfamilien in neuer Pracht zu blühen. Allüberall in den hellen Bioläden, die die dunklen Clubs im wilden Osten abgelöst hatten, sah man plötzlich Kinderwägen rollen. Freie Liebe - das Motto der Avantgarden von Alexandra Kollontai bis Uschi Obermaier, war vergessen. Neoliberale Spießbürger triumphierten über die sexuellen Libertinäre. "Das ist total out, das ist Hippieshit" wusste Cactus die Pärchen-Renaissance richtig zu deuten, beharrte aber trotzig auf ihrem Ideal: "Ich liebe die Liebe zu dritt".

Revolutionäre Zeiten zeigt es nun nicht an, dass Arnold Stadler das Motiv der Liebe zu dritt ins Zentrum seines neuen Romans Komm, gehen wir gestellt hat. Das kann man schon daran sehen, dass die Geschichte die Stadlers Erzähler darin aufrollt, fast dreißig Jahre zurückliegt und eher unglücklich ausgeht. Rosemarie und Roland, ein junges Paar aus Freiburg laufen im August 1978 am Strand von Capri dem Italo-Amerikaner Jim über den Weg. Zwar geht es für eine Nacht wahrscheinlich so zu, wie es Cactus in ihrem Song besingt: "sexy, ekstatisch, tierisch, romantisch". Aber leider eben nur für eine Nacht. Ansonsten dient Stadler die Kulisse der unkonventionellen Sexualität eher als Kontrastfolie, vor der sich sein ewiges Thema - die Tragikkomödie der scheiternden Wunscherfüllung - um so drastischer entfalten lässt.

Von seinem Vorbild Pasolini hat Stadler jene Geometrie der Liebe, nach der der italienische Filmemacher 1968 seinen Film Teorema konstruiert hat. Der schöne Unbekannte, der in die geordneten Verhältnisse einer gutbürgerlichen Familie einbricht und mit allen ihren Mitgliedern sexuelle Beziehungen eingeht, hinterlässt eine große Verwirrung der Gefühle. Vorexerziert hat Stadler das schon in seinem 1999 erschienenen Roman Ein hinreissender Schrotthändler, bei dem ein junger Mann in Adidas-Hose ein hanseatisches Ehepaar erotisch durcheinanderbringt. Bei Stadler hat dieses Setting allerdings nie die konzeptionelle Strenge des römischen Avantgardisten, sondern ist immer ganz nah am Volkstümlichen und unter einfachen Menschen angesiedelt. Eine Vorliebe, die ihm 1999 den Georg Büchner Preis eingetragen hat. Und die Norm, die bei Pasolini spektakulär bricht - der Vater geht in die Wüste, der Sohn wird Maler - geht bei Stadler so langsam, so unmerklich in die Brüche, dass der Übergang zu einem anderen Leben dem leisen Sterben ähnelt, das vom Tod, den alle seine Protagonisten fürchten, kaum zu unterscheiden ist.

So geht es auch Roland und Rosemarie in Komm, gehen wir. Die Begegnung mit Jim taucht ihr Leben für eine Nacht in ein neues Licht. Trotz aller Irritationen nehmen sie aber Kurs auf die geplante "Kuschelexistenz" zu zweit. Und das, obwohl Roland nun endgültig weiß, dass er doch eher auf Männer steht und obwohl Rosemarie ein Kind von Jim erwartet. Was Roland wiederum nicht weiß. Der Mann ist überhaupt so eine richtige Stadler-Figur: ein zielloser Durchschnittstyp und "Linkshänder im Kopf", der "Heimweh nach dem richtigen Leben" hat, es sich aber nicht (zu-)traut. Schon als kleiner Junge fahndete er im Neckermann-Katalog nach den Seiten mit der Herrenunterwäsche. Die Beziehung zu Rosemarie hat nicht er angestrebt, sie hat sich ihn geangelt. Und den Weg ins (schwule) Leben findet der gescheiterte Philosophiestudent auch erst, als sie ihn ein paar Jahre nach der Heirat verlässt.

Dass der 1954 geborene Roland ein Anagramm seines im gleichen Jahr zur Welt gekommenen Erzeugers Arnold ist, hat manche Rezensenten zu autobiografischen Spekulationen verleitet. Schon deswegen, weil Roland die verstörende Begegnung mit dem, was Stadler gern "sprachverschlagen" nennt, auch noch zu dem Schriftsteller gemacht hat, der er immer sein wollte. Zehn Jahre nach der Nacht auf Capri fliegt er mit einem Roman namens Ungewaschene Erinnerung an die Liebe nach Miami, wo Jim jetzt mit Frau und Kindern lebt. Doch Stadler hat schon vor Jahren darauf hingewiesen, dass seine Protagonisten nicht seine Pressesprecher seien. Und man setzte den ästhetischen Ehrgeiz des schwulen Schriftstellers nun wirklich zu niedrig an, wollte man ihn auf die Freude am Spiegelbild reduzieren. Der klemmige Homosexuelle, der in seiner Prosa oft auftaucht, ist ein Prototypus, an dem sich besonders gut demonstrieren lässt, welche Probleme das falsche Leben im falschen so mit sich bringt.

Komm, gehen wir ist vieles: Stadler zeichnet darin ein Sittenbild der "naturtrüben" siebziger Jahre. Er ist der Roman eines verkorksten Coming-Outs. Und wieder einmal rechnet er sarkastisch mit der südbadischen Provinz und dem Katholizismus ab. Aber vor allem ist Komm, gehen wir ein Liebesroman. So hinreißend, wie es eigentlich nur ein italienischer Liebesfilm sein kann. Stadler verklärt den Mythos Liebe nicht. Erklärt ihn aber auch nicht. Sie ist einfach da, so wie der schöne junge Mann, der ein Paar am Strand nach Wasser fragt. Und sie löst sich auf wie der weiße Rauch, den Rosemarie und Roland über dem Petersplatz in Rom aufsteigen sehen, nachdem Papst Johannes Paul I. gewählt worden ist. Wenn Jim, der mit zurück nach Freiburg gekommen ist, Rolands unausgesprochenen Wunsch nach Sex immer wieder mit dem obligaten Forget about that abfertigt und der sich dann seufzend mit einem Julien Green-Roman ins Bett verkrümelt, gelingen Stadler grandiose Slapstick-Szenen. Und wenn Stadlers sonst ziemlich geschwätziger Erzähler die alles verändernde Nacht zu dritt mit den Worten begleitet: "Nur dass ihr Gelächter nun in die Liebe überging, das Ding des Lebens, das wie der Tod ganz ohne Gelächter auskommt und fast so stark ist wie er", geht der Roman philosophisch in die Tiefe, ohne sich zu verrenken. Wunderbar durchkreuzen sich in Arnold Stadlers Prosa Ironie und Ernst, Zote und Weisheit, Leichtsinn und Schwermut. Auch wenn das Modell der Liebe zu dritt am Ende scheitert - wenigstens in Stadlers Sprache finden wir einen Rest der Anarchie die es so anziehend macht.

Arnold Stadler: Komm, gehen wir. Roman. Fischer, Frankfurt am Main 2007, 399 S., 18,90 EUR


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