Verschwiegener Laudator

KOMMENTAR Einer fehlt beim Büchner-Preis

Gustav Seibt muss ein gefährlicher Mann sein. Anders kann man die Tatsache nicht bewerten, dass die Frankfurter Allgemeine Zeitung vergangenen Montag zwar über die Verleihung des Georg-Büchner-Preises an Volker Braun berichtete, den Namen seines Laudators, eben Seibts, aber verschwieg. Früher steckte dessen kluger Kopf auch einmal hinter der FAZ. Da war er nämlich deren Literaturredakteur. Die schöne Geschichte, wie aus dem akademischen Überflieger aus dem Süden der Republik Schirrmachers junger Liebling und Nachfolger wurde, kann man in Eckhard Henscheids lustigem Erzählungsband 10:9 für Stroh nachlesen. Doch irgendwann wurde der junge Mann bockig. Zweifelte im eigenen Blatt an Ernst Noltes Relativierungstheoremen und bürstete auch manches andere anders und vor allem ironisch gegen den Strich. Schliesslich sah er seine Chance und ergriff die Flucht aus Schirrmachers Gefängnis, als die Berliner Zeitung mit ein paar Edelfedern ein unkonventionelles Sprachrohr der Berliner Republik werden sollte.

Dass das interessante Experiment scheitern musste, tut hier nichts zur Sache. Man kann auch zum Kritiker Seibt stehen, wie man will. Doch manches, dem sich der junge Mann aus Frankfurt in der neuen Hauptstadt aussetzte und sich widerfahren liess, las man als Akt der Selbstbefreiung. Und als mutige Ost-West-Erkundung mit ungewöhnlichen Folgerungen. Dazu gehörte auch, bis auf die Ausnahme Christa Wolf, manche Rehabilitierung von DDR-Schriftstellern. In Stephan Hermlin erkannte der bekennende Bildungsbürger Seibt ein anderes Bürgertum als das taktisch-flinke, das ihm in Frankfurt begegnet war.

Schon länger hörte man es munkeln, dass der grosse Neuerer des Feuilletons dort Anweisung gegeben haben sollte, die Garde der jungen Rebellen, mit der er weiland seinen alten FAZ-Dampfer flottmachen wollte und die ihm dann so jäh entfleuchte, fürderhin in seiner Zeitung nie wieder zu erwähnen. Eine Retuschierpraxis, an der ein grosser Sprachtheoretiker im Kreml seine Freude gehabt hätte. Dass die Extreme sich berühren, hatte man zuvor schon sehen können, als der jahrelange antikommunistische Wachhund der FAZ, Johann-Georg Reißmüller, auf einer CD seine Liebe zu den Liedern der Partei im Osten entdeckt hatte. An diese publizistische Leitkultur der führenden deutschen Zeitung sollte man sich vielleicht nicht unbedingt anpassen.

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Geschrieben von

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden