Im Grunde ist das schon das entscheidende, schlechte Indiz: Seit der Erstsendung im vergangenen Jahr hatte ich die neue ZDF-Literatursendung Die Vorleser nicht mehr gesehen. Mit derselben Nervosität, mit der man früher dem Literarischen Quartett entgegenfieberte – und sei es nur, um sich über Marcel Reich-Ranicki aufzuregen - wartet man nicht mehr auf dieses Format. Eine Sternstunde des TV erwartet niemand mehr an dieser Stelle.
Trotzdem hatte ich mir natürlich immer wieder mal vorgenommen, reinzuschauen. Schließlich werden dort immer wieder Bücher in die Luft gehalten, mit denen ich mich auch abplagen muss. Und als ich Ijoma Mangold vor vierzehn Tagen beim Suhrkamp-Empfang im neuen Domizil in Prenzlauer Berg traf und er sich so angetan zeigte von dem Interview mit Alexander Kluge, das wir kurz vor Weihnachten beim Freitag gemacht hatten, dachte ich: Okay, ich revanchier‘ mich und schau mir Deine Sendung jetzt auch mal wieder an.
Wahrscheinlich ist das Unangenehmste, was man über eine TV-Sendung sagen kann, dass sie einen kalt gelassen hat. Ich gebe zu: Bücher und Kunst im Fernsehen. Das ist die Quadratur des Kreises. Aber immerhin: Bilder sollen unter die Haut gehen, könnten Emotionen wecken. Es ist nur aber schwer zu bestimmen, woran es eigentlich liegt, dass man so ganz und gar unberührt, merkwürdig angewelkt aus dieser halben Sprechstunde scheidet und ins Bett sinkt. Liegt es an der späten Ausstrahlungs-Stunde? Die schon signalisiert, dass hier niemand jene höhere Welt des Buches, die bei Feierstunden immer beschworen wird und der wir alle angeblich zu Füßen leiegen, nicht so wirklich ernst nimmt?
Liegt es an dem sterilen Setting? An dem Verdacht: Vorsicht Konserve! der einen beschleicht, wenn man sieht, dass die Sendung auf der Homepage des ZDF schon eine Stunde vorher abrufbar bereit steht. So wie eine auf der Herdplatte vorgewärmte Ravioli-Dose, von der man auch schon ziemlich genau weiß, welcher Duft einen erwartet, wenn man das Weißblech über den tomatisierten Bleichtaschen öffnet? Liegt es an dem wohltemperierten Geplauder zweier Protagonisten, die immer so wirken, als ob sie es furchtbar eilig haben? An Helene Hegemanns hypeverdächtigem Bestseller Axolotl hätte das, was man einmal als Kritik bezeichnete, eigentlich zu Höchstform auflaufen müssen. Gestern wirkte die entschwindende Instanz aber so, als sei sie sorgsam konstruierte Rollenprosa für Kindergeburtstage und Seniorenheime.
Verkehrte Welt: Ausgerechnet ein natürlicher Feind des Buches, der Filmemacher Detlev Buck, übrigens einer der schlechtesten Vorleser, der sich denken lässt, wusste zu sagen, was man von Literatur eigentlich erwartet: Erkenntnis. Diesen Rohstoff sucht man in Die Vorleser vergebens: Optisch atmet sie immer noch die hausbackenen Ratgeber-Ästhetik der ersten Ausgabe. Dass im Vorspann Buchattrappen durch die Luft schweben, ist noch die aufregendste Höhenbewegung. Ijomas Augenbraue flackert darin noch leicht arrogant nach oben, wenn er in einem Blindband schmökert. Man ahnt, dass er mehr könnte. Mitunter pumpt er sich körperlich so auf, dass man meint, die Magma der Intellektualität, die in ihm brodelt, könnte in der nächsten Sekunde wirklich über die Kraterhänge treten und die Steppe der Mittelmäßigkeit versengen, die sich an ihren Abhängen breit gemacht hat. Doch dann regrediert er wieder zum Tauchsieder der Literaturkritik, spult brav sein Abhak-Programm ab. Ich weiß nicht, warum das so ist. Vielleicht ahnt er, dass die Elternrats-Vorsitzende Amelie Fried einfach keine satisfaktionsfähige Gegnerin ist. Womöglich hat es auch einfach nur etwas mit den Brandschutzbestimmungen in den ZDF-Studios zu tun.
Jedenfalls: Was er und Amelie inhaltlich sagen, hat man nach fünf Minuten vergessen. Hauptsache, die Buchcover kommen einmal ins Bild. Damit der interessierte oder potentielle Leser am nächsten Tag in der Buchhandlung nicht lange suchen muss, wenn er unschlüssig vor den Regalen steht und nach Geistesnahrung oder einfallslosen Geschenken sucht. So bleibt Die Vorleser bestenfalls eine Sendung für den Buchhandel. Im Publikum sieht man denn auch die einschlägigen Gesichter. Im Grunde siganlisieren Die Vorleser, dass man von Literatur nicht mehr viel mehr erwartet, als gezeigt zu bekommen, dass es sie auch noch gibt. Ein Pflichtprogramm, mit dem sich beweisen lässt, dass das ZDF „gesellschaftlich relevante Inhalte abdeckt“. Wenn auch nur als Marginalspalte im Nachtprogramm. Ein bestürzender Streit über Inhalte findet nicht statt. Und das ist ganz einfach mehr als schade.
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