Wand

Linksbündig Christoph Hein gibt auf

Was haben das Deutsche Theater in Berlin und die Ukraine gemeinsam? Auf den ersten Blick nicht viel. Die Ukraine ist groß und weit. Das DT ist klein und nah. Doch in beiden Häusern zeigte sich in den letzten drei Monaten die Kraft des Performativen. Beide wurden plötzlich zur Bühne eines kommenden Machtwechsels. Auf ihnen entspann sich ein symbolisches Tauziehen - zwischen Ost und West, zwischen Klassik und Moderne, ein virtueller Streit um imaginäre Bataillone und um Deutungsmacht. Wer hat Angst vor Christoph Hein?, hieß die Frage im Westen. Wer hat Angst vor Wiktor Juschtschenko?, die im Osten. Unterschwellige Vergiftungen lähmten das Antlitz zweier um jeden Preis zu verhindernder Hauptdarsteller zusehends. Doch während der eine schließlich doch noch die Präsidentenrolle kriegte, verabschiedete sich der andere als Held des Rückzugs.

Die Revolutionen, die man auf diesen Bühnen dämmern sah, hätten unterschiedlicher nicht sein können. Die Ukraine holte die Selbstbefreiung nach dem Untergang der SU nach, der deutsche Kulturkampf machte eine scharfe Rolle rückwärts hinter die von 1989 zurück. Ob wir in Deutschland mehr Ost-Intendanten brauchen, wissen wir nach dem Krieg ums DT nicht. Doch dass der deutsch-deutschen Kulturdebatte mehr von jener "Ostkompetenz" gut täte, die fürs Ästhetische angeblich so irrelevant ist - so viel steht nach der Schlammschlacht jedenfalls fest. Denn die Pauschalurteile, die es hier auf einmal wieder hagelte, sind nicht gerade ein ermutigendes Indiz für die Fortschritte im deutsch-deutschen Selbstgespräch.

Kandidaten böse auf den Zahn zu fühlen, ist die erste Kritikerpflicht. Einen Kritiker der Zensur wie Hein aber mit der schlechten DDR zu identifizieren eher nicht: Für Jens Bisky, einstiger SED-Mitläufer, inzwischen Kritiker der Süddeutschen Zeitung, ist Hein wegen seines spektakulären Auftritts beim DDR-Schriftstellerkongress 1987 "Mein Held". Die Nonchalance, mit der man am fernen Main diesen Mann mit der Vokabel "Ostmief" (FAZ) dagegen den ostalgischen Retrozombies zuschlug, kann mit übermäßiger Kenntnis der Farben auf der Palette der DDR-Intellektuellen nicht erklärt werden. Hein hatte sich immer über das experimentierscheue regierende Kleinbürgertum auf beiden Seiten der Mauer mokiert. Es gehört schon eine wirkliche Tiefenkenntnis seiner Agenda dazu, den Spötter über die Sehnsucht nach dem "gültigen Konsens" des deutschen "Wenderomans" als Wiedergänger irgendeiner Einheitsästhetik zu verdächtigen.

Überzogen war zwar auch Heins Retourkutsche, seine Kritiker wollten seine "Vernichtung". Wen wundert´s? Der Stoßseufzer, den Hein Rudolf Zurek, den Helden seines neuen Romans In seiner Kindheit ein Garten ausstoßen lässt, muss er sich selbst abgelauscht haben: "Wenn Ihnen Ihr Name von jeder Titelseite entgegenspringen würde, dann würden auch bei Ihnen die Nerven blank liegen". Heins subtil fragilisiertes Nervenkostüm dann als Ausweis von Schwäche, einer generellen Kritikunfähigkeit ehemaliger DDRler und ihrer Sehnsucht danach, wieder "ergebenst zu jubeln"(FAZ) wie früher, war das Paradebeispiel einer gut inszenierten selffulfilling prophecy. So kann man jemanden auch gegen die Wand laufen lassen.

Für den Intellektuellen Hein mag das Scheitern am DT eine Niederlage sein. Mit großem Elan hatte er sich auf die überraschende neue Aufgabe gestürzt. "Schwierigkeiten haben mich immer zu Höchstleistungen angespornt" hatte der 60-Jährige einmal zu seiner Rolle als bis zur Schroffheit distanzierter Nonkonformist in zwei deutschen Systemen angemerkt. Wer schon olympische Tugenden beschwört, hätte dann aber auch durchhalten müssen. So ist Heins Abtritt eine Niederlage für die Zuschauer. Denn gerade das Nichtvorhersehbare war das eigentlich Aufregende an der Ankündigung seiner Intendanz. Was würde der außergewöhnliche Mann in petto haben? Welche unrealisierten Projekte, welche persönlichen Utopien würde er vielleicht noch aus Zeiten mit sich tragen, wo er sie nicht hatte umsetzen können? Die Chance auf etwas wirklich Neues ist erst einmal vergeben.

Der Autor Hein wird es verschmerzen, auf dem Intendantensessel Auslastungsquoten nachzurechnen. Wirklich schmerzlich muss für den Herausgeber einer Ost-West-Wochenzeitung aber die Erfahrung sein, dass 16 Jahre nach der Wende der kulturelle Graben zwischen Ost und West allen Sonntagsreden zum Trotz zur "deutschen Einheit" nur wenig kleiner geworden ist. Das eint offenbar Deutschland und die Ukraine.


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