Aus mit Applaus

Kulturkommentar Um gegen das Regime zu protestieren, ziehen Weißrussen schweigend, aber applaudierend durch die Straßen. Lukaschenka verbittet sich den Beifall - der Symbolik wohl bewusst

Applaus gibt es üblicherweise für eine herausragende Leistung, man beklatscht etwa die glanzvolle Darbietung eines Schauspielers. In der Regel hat der, dem der Applaus gilt, nichts gegen diese Art der Anerkennung. Dem weißrussischen Präsidenten Aljaksandr Lukaschenka aber gefällt der Applaus nicht mehr, er hat ihn verbieten lassen. Das wirkt absurd.

Seit Anfang Juni gehen die Weiß­russen auf die Straße, um gegen das Lukaschenka-Regime zu protestieren, das die postsowjetische Republik seit 17 Jahren mit harter Hand regiert. Das Erstaunliche an den sogenannten Volksspaziergängen, die jeden Mittwoch stattfinden, ist: Die Demonstranten schwenken keine Fahnen und Plakate, schmücken sich nicht mit Farben, skandieren keine Losungen. Der Protest funktioniert ohne Pauken und Trompeten und widerspricht so jeglicher Regel des Gehörverschaffens.

Eine neue, reduzierte Protestkultur

Weißrussen ziehen schweigend durch die Straßen und applaudieren. Es ist ohnehin klar, um was es den Demons­tranten geht. „Um den Rücktritt Lukaschenkas“, wie einer der Organisatoren der Proteste aus der Internetgruppe „Revolution durch soziale Medien“ sagt. Die Form dieser neuen, reduzierten Protestkultur, die vom Regime mit über 2.000 Festnahmen beantwortet wurde, ist mehrfach ironisch.

Zum einen wird in einer Diktatur durch Applaus dem Autokraten ­gehuldigt, weil es zum Programm ­gehört. Wenn Weißrussen nun diesen Applaus unaufgefordert gegen ihren Präsidenten richten, trifft ihn das besonders hart: Ein aus dem Volk kommender Protest, der sich gegen ­Lukaschenka wendet, der den „Staat für das Volk“ propagiert, hat ein bedeutendes moralisches Gewicht (die parteipolitische Opposition hält sich bewusst zurück).

Politische Lethargie

Zum anderen wurden die Weißrussen in ihrer Geschichte immer wieder unterdrückt, mundtot gemacht – durch die Russen, die Sowjets, auch die Nazis, die Polen. Nun protestieren sie so, wie sie sich in ihrer Geschichte gegenüber Usurpatoren geben mussten, um nicht aufzufallen, um zu überleben: schweigend. So steckt im Protestapplaus eine Ironie gegenüber der eigenen politischen Lethargie und Mutlosigkeit, die man Weißrussen im Westen mit­unter vorwirft.

Zum Dritten lässt sich der Applaus auch als Mutmacher verstehen. „Seht her! Wir haben unsere Angst besiegt.“ Tatsächlich protestieren die Menschen erstmals nicht nur in der Hauptstadt Minsk, sondern auch in vielen anderen Städten. Es handelt sich bei den Demonstranten nicht nur um die ohnehin kritischen Studenten, auch der schmale, von der Wirtschaftskrise getroffene Mittelstand geht auf die Straße. Zudem einfache junge Leute aus staatlichen Fabriken, aus der Provinz. Sie kommen zum ersten Mal in Konflikt mit dem Regime, das brutal gegen sie vorgeht. Noch sind es keine Massenproteste, die die Kraft hätten, das Regime zu beseitigen. Das kann sich im Herbst ändern, wenn sich die Wirtschaftskrise verschärft.

Die neue Protestkultur wird die Weißrussen verändern. Erstmals in ihrer Geschichte beginnen sie, ihre Geschicke in die eigene Hand zu nehmen. Es ist die Erkenntnis, dass es eine bürgerliche Pflicht ist, Verantwortung für sein Land zu übernehmen. Dem gebührt Applaus!

Ingo Petz ist Journalist in Berlin und im Vorstand der Deutsch-Belarussischen Gesellschaft

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