Warum Merkel Recht hat und Seehofer irrt

Landtagswahlen Nach dem Debakel bei den Landtagswahlen fordern viele Unionspolitiker einen Rechtsruck für ihre Partei. Das wäre der falsche Weg und ein fatales Signal.

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Nach dem Desaster bei den gerade zurückliegenden Landtagswahlen fordern die Scharfmacher in der Union, allen voran Horst Seehofer, nun einen Rechtsruck und wollen den Druck auf Angela Merkel erhöhen. Andere sagen, ohne die Flüchtlinge gäbe es keine AfD, man müsse nur die Grenzen schließen, die Asylbewerber heimschicken und der „braune Spuk“ wäre vorbei.

Das wäre einfach und bequem, aber falsch und dumm. Das latent vorhandene rechte Gedankengut wäre damit nicht aus der Welt, sondern es würde salonfähig gemacht. In vorauseilendem Gehorsam würde man die Forderungen einer Rechtsaußen-Partei erfüllen. Was Seehofer, Söder, de Maizière, Scheuer & Co. sowie einige Kolumnisten fordern, ist kurzsichtig, populistisch und vor allem unmenschlich. Menschen in höchster Not sollen im Stich gelassen werden. Sind das die Werte, die wir verteidigen sollen?

Die einstigen Volksparteien dürfen nicht den Fehler begehen, die Rechtspopulisten nachzuahmen. Ja, die AfD hat im Schnitt (gewichtet nach Wahlberechtigten) gut 15% der Wählerstimmen bekommen. Das ist erschreckend, aber andererseits haben sich etwa 85% gegen sie entschieden. Es besteht noch kein Grund zu Panik und unüberlegtem Handeln. Wer argumentiert, die Mehrheit der Deutschen sei mit der Flüchtlingspolitik nicht einverstanden und habe deshalb AfD gewählt, der hat im Mathe-Unterricht nicht aufgepasst: Rund 15% sind keine Mehrheit, auch wenn sie schrill und laut auftreten!

Angela Merkel ist ihrer Linie treu geblieben. Sie versucht noch immer, das uneinige Europa zusammen zu halten und ihm ein menschliches Antlitz zu geben. Ihr Fehler war, einfach nur zu sagen "wir schaffen das", ohne dazu zu sagen, wie es geschafft werden kann und soll. Natürlich ist es nicht gerecht, wenn Deutschland die Hauptlast tragen muss, aber einer muss den Anfang machen. Wobei es eine Schande ist, dass andere Mitverursacher der Flüchtlingskrise wie China, Russland oder die USA sich ebenfalls ihrer Verantwortung entziehen. Die Rechtskonservativen in Union und EU dagegen üben sich in Egoismus und Kleinstaaterei und wenden sich opportunistisch dorthin, wo sie glauben, die meisten Stimmen bekommen zu können. Die abendländischen, europäischen oder christlichen Werte, auf die sie immer so stolz sind, haben sie längst verraten und verkauft. Für sie zählt das nationale Recht, die Grenzen zu schützen, mehr als das Menschenrecht auf Leben. Die wahren Ursachen für die Flüchtlingskrise und für der Erstarken der Rechten haben sie noch immer nicht erkannt oder wollen sie nicht sehen. Bezeichnend dafür ist die schroffe Ablehnung Wolfgang Schäubles auf Sigmar Gabriels (zu) späte Einsicht, dass man die abgehängten Menschen im eigenen Land nicht aus den Augen verlieren dürfe. Wenn soziale Randgruppen ignoriert und ausgeschlossen werden, wenden sie sich den Extremisten zu, die mit einfachen Scheinlösungen und plumpen Feindbildern locken. Zu versuchen, sie zu gewinnen, indem man auf ihre Vorstellungen eingeht, wäre ein großer Fehler. Es ist höchste Zeit, sich den Rechtspopulisten entschieden entgegen zu stellen anstatt ihnen nachzulaufen. Man muss ihre oft kruden und oberflächlichen Thesen entlarven und nicht übernehmen. Man muss den „Wutbürgern“ ihren Ängste nehmen anstatt sie weiter zu schüren, wie es die eingangs erwähnten Scharfmacher gerne tun. Sonst ist es kein Wunder, wenn enttäuschte Wähler ihr Kreuz nicht bei der Kopie, sondern lieber gleich beim Original machen. Eine Öffnung nach rechts bringt nicht zwangsläufig mehr Wählerstimmen. Jede Partei hat ein gewisses Wählerspektrum. Wer zu weit nach rechts rutscht, läuft Gefahr, für Sympathisanten am eigenen linken Rand unwählbar zu werden und diese zu verlieren. Das wäre ein Stimmentausch, aber kein Stimmengewinn. Nebenbei bemerkt: An dem "politischen Erdbeben", wie er es nannte, ist der bayerische Poltergeist Horst Seehofer mit seinen ungeschickten Angriffen nicht ganz unschuldig.

Auch die Fluchtursachen, seien es nun Krieg oder wirtschaftliche Not, werden nicht beseitigt, indem man Menschen aus anderen Ländern aussperrt. Seehofers Rhetorik mag an den Stammtischen in Bayern gut ankommen, aber sie hilft nicht, die Probleme zu lösen. Die werden nur vorübergehend ausgeblendet. Die allermeisten Asylbewerber kommen nicht zu uns, weil die Kanzlerin sie eingeladen hat, sondern weil es in ihrer Heimat Krieg oder Hungersnot gibt.Daran sind wir nicht ganz unschuldig.Sie kommen, weil wir Diktatoren mit Waffen versorgen oder weil unsere Konzerne ihnen die Lebensgrundlage nehmen.

Ein einiges Europa könnte mit einer vernünftigen Flüchtlingspolitik zeigen, welche Weltanschauung die bessere ist. Indem Menschen in Not aber brutal abgewiesen werden, treibt man sie geradezu in die Arme der islamistischen Terroristen, anstatt denen die Grundlage zu entziehen. Dann wäre die Katastrophe perfekt. Merkel scheint das zumindest teilweise erkannt zu haben, ihre verbohrten Kritiker leider noch nicht.

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