Nach wochenlangem Streit wollte der Koalitionsausschuss darüber entscheiden, ob Autobahnen künftig schneller gebaut werden und eine entsprechende Regelung in das geplante Gesetz zur Beschleunigung von verwaltungsgerichtlichen Verfahren im Infrastrukturbereich eingeführt wird. Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) und seine Partei sowie Teile der SPD und der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) befürworten dies, da der Aus- und Neubau von Autobahnen „von überragendem öffentlichen Interesse“ seien. Die Grünen halten dagegen. Die Sitzung am Donnerstag blieb aber ohne Ergebnis.
Eigentlich hatte das Gesetz zum Ziel, die Energie- und Verkehrswende schneller voranzutreiben. Setzt sich Wissing mit seinem Anliegen durch, könnten Autoba
ten Autobahnprojekte schneller bewilligt und auch bei laufenden Einwänden und Planungsmängeln fortgesetzt werden.Rund 850 weitere Autobahnkilometer sieht der Bundesverkehrswegeplan 2030 in den nächsten sieben Jahren vor. Dabei verfügt Deutschland mit rund 13.000 Kilometern Autobahn und knapp 38.000 Kilometern Bundesstraßen bereits über das dichteste Fernstraßennetz Europas.Auch sieht der Koalitionsvertrag vor, die Infrastruktur nachhaltiger Mobilität voranzutreiben. Mit dem beschleunigten Autobahn-Ausbau ignoriere die Bundesregierung nationale wie internationale Vorgaben zum Klimaschutz, sagt die Bundesvorsitzende des ökologischen Verkehrsclubs Deutschland (VCD) Kerstin Haarmann. Sie verrate ihr eigenes Ziel, den Personenverkehr auf der Schiene bis 2030 zu verdoppeln und den Anteil der Güterbahnen auf 25 Prozent zu steigern. Damit würde die Verkehrswende um Jahre oder gar Jahrzehnte verzögert.Auch der Verkehrsexperte des Bundes für Umwelt- und Naturschutz (BUND), Jens Hilgenberg, warnt: „Geld kann nur einmal ausgegeben werden. In den nächsten zehn Jahren müssen rund 4.000 Autobahn-Brücken saniert oder ganz erneuert werden. Dazu kommen Schienenwege und Kanäle, deren Erhalt als Bundeswasserstraße auch dem Bund unterliegt.“Umstrittenes TempolimitDeutschland ist das einzige Land Europas, der OECD und der G20, das keine Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen kennt. Innerhalb der EU gilt in den meisten Ländern eine Höchstgeschwindigkeit von 130 Kilometern pro Stunde oder darunter, nur in Polen und Bulgarien liegt sie bei 140 km/h.Seit Jahren wird in Deutschland über ein Tempolimit gestritten. Erst jüngst warnte Wissing wieder vor verstopften Straßen durch den gestiegenen Güterverkehr und wies staatliche Maßnahmen zur Eindämmung des Straßenverkehrs zugunsten des Klimaschutzes zurück. „Autofahren ist Freiheit“, sagte er der Bild am Sonntag. Dabei spricht sich inzwischen die Mehrheit der Bevölkerung für ein Tempolimit aus: Laut einer ARD-Umfrage vor gut einem Jahr befürworteten rund 60 Prozent der Befragten eine Begrenzung auf 130 km/h auf Autobahnen.Der Raserei ein Ende zu bereiten, ist nicht nur eine Frage der Sicherheit, sondern in Zeiten des Ukraine-Kriegs auch immer wieder im Gespräch, um den Spritverbrauch zu senken. Und entgegen aller Behauptungen des Bundesverkehrsministers ist der Beitrag, den ein Tempolimit für die Klimaziele leisten könnte, nicht unerheblich. Eine neue Studie im Auftrag des Umweltbundesamtes (UBA) kommt zu dem Ergebnis, dass eine Obergrenze von 120 km/h auf Bundesautobahnen oder Schnellstraßen jährlich 6,7 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente einsparen würde. „Um die gleiche Minderung wie für das Tempolimit zu erreichen, müssten drei Millionen mehr reine Elektrofahrzeuge auf deutschen Straßen mit der durchschnittlichen Fahrleistung unterwegs sein“, erklärt UBA-Präsident Dirk Messner. Für ihre Förderung entstünden dem Staat Kosten von über 13 Milliarden Euro.Bislang reichen die von der Bundesregierung beschlossenen Maßnahmen im Verkehrssektor bei weitem nicht aus, um die von ihr festgelegten verbindlichen Klimajahresziele einzuhalten. Bis 2030 klafft zwischen Zusagen und erwarteten Emissionen eine Lücke von 271 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalenten, so das UBA. Ein Tempolimit von 120 km/h auf der Autobahn und 80 km/h außerorts könnte dazu beitragen, diese zu schließen.Die Autor*innen der UBA-Studie verweisen außerdem auf die Gefahr des sogenannten Reboundeffekts, den der Bau neuer Autobahnen auslösen könne: „Durch Attraktivitätssteigerung des motorisierten Verkehrs im Vergleich zu anderen Verkehrsteilnehmenden steigt die Nachfrage und damit steigen auch die Emissionen“, schreiben sie. Ähnlich äußert sich der emeritierte Bremer Verkehrsforscher Gert Marte. Der Bundesverkehrswegeplan rechtfertigt neue Autobahnen mit dem Argument der Zeitersparnis. Diese Kosten-Nutzen-Rechnung gehe, so Marte, jedoch nicht auf: Bereits nach etwa einem Jahr habe der Neubau schon wieder die Hälfte der angenommenen Zeitersparnis aufgefressen, fünf bis zehn Jahre später den Rest. Das liege daran, dass mehr Menschen die neue Autobahn nutzten als vorhergesehen. Zunächst gelegentlich, dann, indem sie ihren Wohn- oder Arbeitsplatz daran anpassten.Die Macht der AutolobbyDeutschland ist bekanntlich das Autoland. Mit gut 411 Milliarden Euro im Jahr 2021 ist die Automobilindustrie die umsatzstärkste Branche des Landes. Entsprechend stark ist ihre Lobby und erbittert ihr Kampf gegen die Verkehrswende. Auch in den Autobahnbau fließt viel Geld: Allein für Aus- und Neubauprojekte hat das Bundesverkehrsministerium bis 2030 fast 100 Milliarden Euro eingeplant.Aber nicht nur der Klimaschutz spricht dagegen. Für den Ausbau der A49 wurden Ende 2020 knapp 90 Hektar gesunder Dauerwald gerodet. Die Trasse führt durch Wasserschutz- und Fauna-Flora-Habitat-Gebiete. Der 145 Kilometer lange neue Abschnitt der A20, der sogenannten Küstenautobahn, soll vornehmlich Marsch und Moor durchqueren, bei deren Trockenlegung zusätzlich zu denen aus Bau und Nutzung große Mengen Treibhausgasemissionen frei werden. Nach einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts Leipzig vergangenen Sommer muss die Planung des ersten Streckenabschnitts wegen erheblicher Schäden für Klima, Natur und Umwelt nachgebessert werden, doch das Projekt ist noch nicht vom Tisch.Problematisch für die Artenvielfalt ist nicht nur die Zerstörung von Lebensräumen, sondern auch ihre Zerschneidung. Tierpopulationen werden isoliert und damit ihre genetische Vielfalt verringert. Im schlimmsten Fall können in diesen reduzierten Lebensräumen Arten aussterben. Hinzu kommt die Versiegelung des Bodens. Laut UBA werden täglich immer noch etwa 56 Hektar unbebauten Bodens in Siedlungs- und Verkehrsfläche umgewidmet. Knapp die Hälfte davon wird bebaut, asphaltiert, betoniert oder anderweitig befestigt. Die Folge sind nicht nur höhere Lufttemperaturen in Ballungsräumen, sondern es bildet sich auch weniger Grundwasser neu, weil das Regenwasser über Kanalsysteme abgeleitet wird.Statt immer neue Fernstraßen zu bauen, könnte durch regionale Wirtschaftsstrukturen und kürzere Wege Verkehr vermieden werden. Der Ausbau der Bahn sollte weiterhin prioritär sein, unvermeidlicher Warentransport auf die Schiene verlegt werden. Nachdem mit dem Hinweis auf den Ukraine-Krieg schon im Energiesektor deutlich mehr Emissionen ausgestoßen werden als angekündigt, wäre es umso dringender, zumindest im Verkehrssektor die richtigen Weichen zu stellen.