Artenvielfalt Die Arbeit der Bienen ist für unser Ökosystem bisher unverzichtbar. In den USA gehen Imker deshalb dazu über, Bienen gegen die tödliche Faulbrut-Krankheit zu impfen. Im Windschatten sirren allerdings schon ihre künstlichen Konkurrent*innen
Illustration: Natalia Alicja Dzwisch für der Freitag
Sie ist eine Dystopie, die Geschichte der Bienen der norwegischen Schriftstellerin Maja Lunde: im Zuge eines Artenkollapses im 21. Jahrhundert sterben die Bestäuberinsekten aus. Seitdem müssen die Menschen mit dem Pinsel ran – ein Horrorszenario für Land- und Volkswirt*innen. Laut Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) sind allein in Europa 150 Nutzpflanzen und 80 Prozent der Wildpflanzen bei der Bestäubung auf Insekten angewiesen. Ihre monetäre Leistung in der europäischen Landwirtschaft wird auf rund 15 Milliarden Euro pro Jahr geschätzt. Einen besonders großen Beitrag leisten die Wildbienen.
Lundes Roman nimmt Bezug auf die Erfahrungen des Colony Collapse Disorder Syndroms, ein Phänomen, das 2006/2007 erstmals in den USA auftrat: Di
den USA auftrat: Die erwachsenen Bienen verlassen den Stock und lassen die Brut verhungern. Einige Halter verloren damals bis zu 90 Prozent ihrer Stöcke. Als Gründe vermutet man eine Kombination aus Stress, Befall mit der Varroamilbe, Pestizideinsatz und Mangelernährung aufgrund großflächiger Monokulturen. Die große Katastrophe ist bislang ausgeblieben. Weltweit steigt die Zahl der gehaltenen Völker sogar und mit ihnen die Honigproduktion. Auch der deutschen Honigbiene geht es recht gut. Ihre Bestände schrumpften vergangenes Jahr erstmals seit 2014 wieder geringfügig auf knapp eine Million Völker, doch die Honigernte war besonders ertragreich.Laut Johann Fischer, dem Beirat für imkerliche Fachfragen des Deutschen Imkerbunds, gab es im vergangenen Winter zwar keine größeren Verluste, doch nun könne die momentane Witterung Probleme machen. In den Wintermonaten gab es bereits sehr warme Phasen, inzwischen ist es wieder ungemütlich kalt. „In den relativ warmen Phasen wurde große Brut angelegt, die die Bienen jetzt versorgen und wärmen müssen“, erklärt Fischer. Während Hasel und Weide aber vielerorts bereits verblüht sind, lässt die Obstblüte noch auf sich warten, sodass zugefüttert werden müsse.Das Problem für die Bienenhalter ist ein anderesProbleme beschert den Honigbienen und ihren Halter*innen namentlich in den USA die Amerikanische Faulbrut, eine hochansteckende Bienenkrankheit. Verursacht wird sie durch das stäbchenförmige Bakterium Paenibacillus larvae, das ausschließlich die Larven befällt. Sie nehmen seine Sporen mit dem Futter auf, die sich im Bienendarm verbreiten und schließlich ihren Tod nach sich ziehen. Übrig bleibt eine Art brauner Matsch, der bei einem Streichholztest Fäden zieht und immer noch hochansteckend ist. Wird die Seuche nicht frühzeitig erkannt, kann sie das ganze Bienenvolk auslöschen und andere anstecken. In Deutschland ist sie deshalb meldepflichtig. Tritt sie auf, werden innerhalb eines Sperrbezirks alle Völker überprüft und befallene Völker vernichtet. Unter erhöhten Sicherheitsvorkehrungen können sie auch umgesiedelt und ihre Waben verbrannt werden.US-amerikanische Berufsimkereien mit über 5.000 Völkern verabreichen ihren Bienen prophylaktisch Antibiotika gegen die Krankheit, denn ihr Zubehör ist vielfach infiziert und der Erreger weitverbreitet. Da die wilden Bestäuber vielerorts verschwunden sind, reisen die Berufsimker*innen mit ihren Bienen durchs Land und leben von den Bestäuberprämien. „Die meisten Völker können bis zu 20.000 Kilometer im Jahr reisen“, sagt die Leiterin der Landesanstalt für Bienenkunde an der Universität Hohenheim, Kirsten Traynor. In der EU sind Antibiotika bei Bienen aufgrund von Rückständen im Honig verboten.Die US-amerikanische Biotech-Firma Dalan Animal Health versucht der Krankheit mit einer neuartigen Methode beizukommen. Anfang des Jahres erhielt sie die vorläufige Zulassung für eine Art Impfung gegenPaenibacillus larvae. Dabei handelt es sich um ein weltweites Novum, denn anders als Menschen und Wirbeltiere verfügen Insekten zwar über ein angeborenes, nicht aber über ein später erworbenes Immunsystem. So spricht der Professor für Allgemeine Zoologie an der Universität Halle, Robert Paxton, auch nicht von einer „Impfung“, sondern von einer „Prägung“: Dabei werden Teile der toten Bakterien in die Nahrung der Königinnenlarven und Königinnen, das Gelée royale, gegeben. Über das Blut gerät der Impfstoff auch in die Eierstöcke der Königin und geht somit auf alle künftigen Bienen im Stock über.Die Vorstandsvorsitzende von Dalan Animal Health, Annette Kleiser, sprach gegenüber dem Guardian von einem „Durchbruch für den Schutz der Honigbiene“. Kirsten Traynor gibt allerdings zu bedenken, dass die Impfung die Sterblichkeit der Bienenlarven im Falle einer Infektion lediglich um 30 bis 50 Prozent verringere. „Das heißt, die Sporen verbreiten sich trotzdem, weil die Bienen in einem Volk zusammenleben“, warnt die Biologin.Die Insektenmasse in Schutzgebieten hat um drei Viertel abgenommenDer Gruppenleiter der AG Menzel-Neurobiologie an der FU Berlin, Randolf Menzel, bezeichnet die bisherigen Forschungsergebnisse dagegen als „sehr vielversprechend“. Wie zuverlässig und umfangreich diese Art der Immunisierung wirkt und ob man sie noch verbessern kann, müsse sich aber noch zeigen. Auch Paxton versichert, es gebe in der EU durchaus Interesse an einer derartigen „Impfung“. Erweise sie sich als erfolgreich, müssten befallene Völker nicht mehr isoliert und vernichtet werden. Es fehle noch an Erfahrungen, wie der Impfstoff im Gelände funktioniere.Das größte Problem der Honigbiene sieht der britische Forscher in gemäßigten Klimazonen jedoch in dem sogenannten Krüppelflügelvirus. Dieses wird durch die Varroamilbe übertragen, die die Honigbienen an sich schon schwächt. Infiziert es die Biene bereits im Puppenstadium, verkümmern ihre Flügel. Aber auch optisch gesunde Tiere können erkranken und sterben. In einer im vergangenen Jahr erschienenen Studie warnen Paxton und sein Team vor dem weltweiten Vormarsch einer Mutante, die noch tödlicher und ansteckender ist als der ursprüngliche Erreger. Inwieweit die Krankheit Wildbienen gefährdet, kann der Forscher noch nicht sagen. Über die Blüten nähmen auch sie Viruspartikel auf. Da sie jedoch nicht von der Varroamilbe befallen würden, breite sich der Erreger nicht so gut in ihnen aus wie in den Honigbienen.Doch auch ohne Virus sind Wildbienenbestände zunehmend bedroht. Großes Aufsehen erregte hierzulande 2017 die sogenannte Krefeld-Studie, nach der die Insektenbiomasse in deutschen Schutzgebieten seit 1989 um drei Viertel abgenommen hat. Andere wissenschaftliche Arbeiten belegen, dass die Zahl der Insektenarten quer durch alle Gruppen und Lebensräume zurückgeht. 42 Prozent der bewerteten Arten stehen bereits als bestandsgefährdet, extrem selten, ausgestorben oder verschollen auf der Roten Liste. Auch über die Hälfte der 560 in Deutschland heimischen Wildbienenarten sind dort aufgeführt.Als den größten Feind der Wildbienen identifiziert der Zoologieprofessor Paxton die Zerstörung ihrer Lebensräume durch eine intensivierte Flächennutzung. Auch die Pestizidexpertin des BUND, Corinna Hölzel, sieht in ausgeräumten Landschaften und Monokulturen ein Problem: Es fehle den Insekten zunehmend an Nistmaterial und Versteckmöglichkeiten. Eine Vielzahl an Studien belege zudem die schädigende Wirkung von Pestiziden auf Insekten. „Herbizide können auch indirekte Auswirkungen auf Insekten haben. So vernichtet die Gabe von Glyphosat sämtliche Blühpflanzen. Damit gibt es keine Nahrung mehr für Wildbienen und Schmetterlinge“, sagt Hölzel. Mit den Insekten verschwinden auch die Feldvögel, die sich von ihnen ernähren, sowie andere Tiere.Gefährliche NeonikotinoideAls besonders problematisch für Bienen gelten die Neonikotinoide. Dabei handelt es sich um hochwirksame, systemische Insektizide. Systemisch heißt, sie werden über die Wurzeln oder Blätter aufgenommen und verteilen sich von dort in der ganzen Pflanze. Beim Sammeln von Pollen und Nektar nehmen auch Bienen das Nervengift auf und sterben. Niedrigere Dosen schädigen, wie Menzel und Kolleg*innen herausgefunden haben, das Gehirn der Tiere, insbesondere ihr Gedächtnis und ihren Orientierungssinn: So finden sie weniger gut in ihren Stock zurück und haben Schwierigkeiten, miteinander zu kommunizieren. Auch macht das Gift sie anfälliger für andere Umwelteinflüsse, Parasiten und Krankheiten. Drei von insgesamt fünf Neonikotinoiden sind deshalb seit 2018 in der EU verboten, ein viertes folgte 2020.Dafür befinden sich derzeit, wie Menzel bemerkt, schon wieder weitere im Zulassungsverfahren. In der Bevölkerung wächst das Problembewusstsein. Über eine Million EU-Bürger*innen haben bis Ende 2022 eine Petition der europäischen Bürgerinitiative „Bienen und Bauern retten“ unterzeichnet. Darin setzen sie sich für ein vollständiges Verbot von Pestiziden bis zum Jahre 2035 ein. Landwirtschaftliche Flächen sollen die Artenvielfalt fördern.Die derzeitige Entwicklung von Roboterbienen als künstliche Bestäuber weist in die entgegengesetzte Richtung. Statt das Übel an der Wurzel zu packen, suchen industrielle Großlandwirte, Agrar- und Chemiekonzerne sowie ihre Lobbys nach Möglichkeiten, den Status quo zu erhalten, um sich weiter die Taschen füllen zu können –notfalls auch ohne Insekten.Die Herausforderungen dabei sind groß. Verfügt die Roboterbiene über einen Akku, darf er nicht zu schwer sein, damit die Blüten nicht zerdrückt werden. Fliegt die mechanische Biene mit Solarzellen, ist sie darauf angewiesen, dass die Sonne scheint. Doch selbst wenn sich diese technischen Probleme lösen ließen: Was geschieht in diesem Szenario mit den Wildpflanzen, die niemandem gehören? Was bedeutet das für die Artenvielfalt und unsere Ökosysteme? Wer freut sich noch über die blühenden Bäume, wenn nichts mehr summt, sondern es plötzlich sirrt? Auch die Idee eines japanischen Forschers, Pflanzen mit pollenbesetzten Seifenblasen zu bestäuben, gründet sich auf diese Art des Machbarkeitswahns und die irrige Vorstellung, Natur ließe sich einfach ersetzen.Tatsächlich sollte die Menschheit vielmehr alles tun, um die natürlichen Bestäuber zu erhalten.