Der Zoo als Arche Noah

Biodiversität I Zoos spielen eine immer wichtigere Rolle im Naturschutz. Sie erhalten bedrohte Tierarten und beteiligen sich an Projekten vor Ort

Inmitten des Kölner Zoos, in unmittelbarer Nachbarschaft zu schwarz-weiß-gefrackten Pinguinen und trompetenden Elefanten, leben die Wildpferde. Equus ferus przewalskii - Przewalskipferd, ist auf dem Schild zu lesen. Ende der sechziger Jahre in freier Wildbahn ausgestorben, existieren derzeit noch etwa 1.500 Exemplare in verschiedenen Tiergärten. Einträchtig scharen sich die gelblich-braun gefärbten Pferdchen mit den dunklen Beinen um die Futterkrippe und fressen Heu. Seit Anfang der neunziger Jahre gibt es Versuche, diese widerstandsfähigen Tiere mit ihren hochstehenden, widerspenstigen Mähnen in den weiten asiatischen Steppen auszuwildern. Seit 2005 leitet auch der Kölner Zoo ein Projekt.

Rilkes Panther ist Vergangenheit

Dass sich Zoos auf diese Weise am Artenschutz beteiligen, ist noch relativ neu. Neben Forschungs- und Bildungsinteressen bestand ihr Hauptinhalt früher darin, im Dienst des öffentlichen Amüsements exotische Tiere vorzuführen. Dabei achteten ihre Betreiber oft wenig auf artgerechte Tierhaltung. Rilkes Gedicht über den Panther, der rastlos an den Gitterstäben seines viel zu kleinen Käfigs hin und her streicht, ist ein trauriges Zeugnis dieser Zeit.

Seither hat man dazugelernt: Die Gehege sind vielerorts weitläufiger geworden und gleichen mehr dem natürlichen Lebensraum der Tiere. Außerdem engagieren sich die meisten Zoos seit den sechziger Jahren in Naturschutzprojekten. 1993, ein Jahr nach Rio, entstand die erste Welt-Zoo-Naturschutzstrategie, die vor drei Jahren erneuert wurde. Dabei kommt der Umweltbildung besondere Bedeutung zu. Bundesweit besuchen jährlich 40 Millionen Menschen Zoos und Aquarien. "Wie kein anderer haben Zoos die Möglichkeit, auf die Menschen einzuwirken und sie zum Beispiel für die Problematik des Orang Utans zu sensibilisieren", erklärt Heike Finke vom NABU, der im Bereich Artenschutz mit dem Verband Deutscher Zoodirektoren (VDZ) zusammenarbeitet. Auch der WWF honoriert die Arbeit vieler Tierparks in diesem Bereich.

Ob Przewalskipferde, sibirische Tiger oder Gorillas: Im Zoo können die Besucher noch Tiere bewundern, die in freier Wildbahn bereits ausgestorben sind oder auf der Roten Liste stehen. In Zeiten des sechsten großen Artensterbens verwandeln sich die Tiergärten in eine zweite Arche Noah. Obschon in Gefangenschaft, bleiben verschiedene Tierarten dort erhalten, lassen sich in komplexen Zuchtprogrammen vermehren und zu einem späteren Zeitpunkt auswildern.

Pferdchen in Freiheit

So kehrten 1992 die ersten Przewalskipferde in ihre ursprüngliche Heimat, die Mongolei, zurück. Einem holländischen Ehepaar gelang es, im Bergsteppengebiet Hustain-Nuruu, 150 Kilometer von der Hauptstadt entfernt, einige Wildpferde anzusiedeln. Mit 200 Exemplaren gilt die Population heute als stabil und ist so nicht mehr auf Nachschub aus Europa angewiesen. Zur gleichen Zeit verschickte die Christian-Oswald-Stiftung erste Pferde aus einem Semi-Reservat aus der Ukraine in den nordöstlichen Teil der Dschungarischen Gobi. Ihre Zahl liegt heute bei 100 Tieren. Ein drittes Projekt läuft seit 2005 unter der Federführung des Kölner Zoos. Die Pferde sollen in diesem Fall im chinesischen Kalameili Nationalpark angesiedelt werden.

Für ihre Projekte wählten die Wissenschaftler gesunde Pferde mittleren Alters aus verschiedenen Zuchten, um eine möglichst breite genetische Basis zu garantieren. Sie bis nach Zentralasien zu verfrachten, erwies sich als aufwändig und kostspielig, und sich in ihrer alten, neuen Heimat einzugewöhnen, war für die Pferde nicht einfach. So kommen die Neuankömmlinge, sobald sie wieder festen Boden unter den Hufen haben, erst mal in ein Akklimatisierungsgehege. "Sie können die Boxen nicht einfach so öffnen und die Tiere rauslassen", erklärt die Biologin Waltraut Zimmermann. "Die sind geschockt und kennen die neue Umgebung ja gar nicht." Erst langsam erweiterten die Pferde ihren Radius. Gras wächst in der Steppe genug, nur wenn der Winter sehr hart ausfällt und Schnee über viele Wochen den Boden bedeckt, verhungern einige von ihnen. Auch das eine oder andere Fohlen fällt einem Wolf zum Opfer, während sich die erwachsenen Tiere gegen den Räuber im Allgemeinen erfolgreich zur Wehr setzen können.

Zentral ist die Zusammenarbeit mit Umweltorganisationen und Behörden vor Ort. Weder die Halbwüste Gobi noch der Rest der Mongolei sind menschenleer. Nomaden leben hier mit ihren Herden, die man nicht vertreiben will. Doch ihre Hauspferde machen den Przewalskipferden Konkurrenz. Im Gegenzug zu dem Zugeständnis der Nomaden, ihre Herden zu verkleinern, bot man ihnen Tiere mit mehr Ertrag sowie elektrischen Strom mittels Solarzellen. Die holländischen Initiatoren des Projektes im Hustai-Nationalpark finanzierten ihnen zudem eine kleine Käserei.

Armut bedroht die Arten

Doch nicht alle Tiere lassen sich wieder auswildern, namentlich keine Tiger oder andere Großkatzen: "Bei Raubtieren müssen die Erwachsenen den Jungtieren beibringen, wie man eine Beute fängt. Doch das haben sie im Zoo nie gelernt, so dass sie in Freiheit elendiglich verhungern müssten", erklärt Zimmermann. Um diesen Schwierigkeiten vorzubeugen, engagieren sich viele Zoos vor Ort, um bedrohte Tierarten und noch intakte Ökosysteme zu erhalten.

Auch der Kölner Zoo leitet und unterstützt weltweit verschiedene Naturschutzprojekte, unter anderen in einem der größten Karstwälder Indochinas, im heutigen Nationalpark Phong Nha-Ke Bang in Vietnam. Neben dem bedrohten Rotschenkligen Kleideraffen, dem Saola-Rind und dem Annam-Streifenkaninchen beherbergt er viele andere, teilweise noch gänzlich unbekannte Tiere. Kölner Biologen entdeckten dort in den letzten Jahren elf neue Amphibien- und Reptilienarten, darunter eine neue Schlangengattung.

Doch nachdem sich der Preis für Reis in den letzten Monaten verdoppelt oder gar verdreifacht hat, ist die Lage der vietnamesischen Landbevölkerung prekärer denn je. So landen viele seltene Tiere im Kochtopf, während die Wälder für den Export oder Brennholz abgeholzt werden. "Naturschutz lässt sich in solchen Ländern nur gemeinsam mit der (einheimischen) Bevölkerung durchführen", meint der Kölner Zoodirektor Theo Pagel. Man müsse ihnen Alternativen bieten und begreiflich machen, dass nur eine nachhaltige Nutzung ihrer natürlichen Ressourcen ihnen auf Dauer Nutzen bringe. Gleichzeitig finanziert er die Ausbildung von Wildhütern. Die Zahl der Patrouillen würden erhöht, Wilderercamps aufgespürt und die Fallen eingesammelt. Eine Auffangstation für beschlagnahmte Tiere übergaben Mitarbeiter des Kölner Zoos Mitte diesen Jahres der Nationalparkverwaltung. Man wolle Dinge antreiben, sich aber nicht als Neokolonialisten aufspielen, so Pagel.

Der Kölner Zoo ist kein Einzelfall. Ähnliche Projekte realisieren etwa der Münchner Tierpark Hellabrunn oder der Leipziger Zoo. Damit, und insbesondere mit den Auswilderungsprojekten, rechtfertigen sie radikalen Tierschützern gegenüber ihre Existenz. Zwar zeigen sie auch heute noch Tiere hinter Gittern und Wällen, doch ihre Bedeutung geht inzwischen weit darüber hinaus.

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