Eher ein Vorwand

Fòrum 2004 In Barcelona findet derzeit ein Weltkulturforum statt. Mit dem Weltsozialforum hat es wenig zu tun

Weniger gut besucht als von den Veranstaltern erhofft, ist Anfang Mai in Barcelona das "Weltkulturforum" angelaufen. Um den zögerlichen Barcelonesen das Megaevent schmackhaft zu machen, musste die Forumleitung schon nach einigen Tagen Zugeständnisse bei den Eintrittspreisen und Zugangsmodalitäten machen.

Name und Konzept des Events sollen an die Institution des Weltsozialforums erinnern. Angesichts der gravierenden Probleme in der Welt - Kriege, Genozide, Terrorismus, Hunger und Umweltkatastrophen - möchten die Regierungen Barcelonas, Kataloniens und Spaniens mit dem Fòrum 2004 ein Zeichen setzen: nur im Dialog könnten Lösungen gefunden und Verständnis für einander erreicht werden. Kern des Großereignisses, das insgesamt mehr als vier Monate dauern soll, sind 47 Gesprächsrunden zu Frieden, nachhaltiger Entwicklung und kultureller Vielfalt. Eingeladen sind dazu prominente Schriftsteller wie Salman Rushdie, der brasilianische Präsident Lula da Silva, Mitglieder von NGOs und der spanische Staranwalt Baltasar Garzón, der 1998 den chilenischen Ex-Diktator Pinochet festnehmen ließ. Parallel dazu werden über die Stadt verteilt mehr als 20 Ausstellungen gezeigt sowie Hunderte Konzerte und Theaterstücke aufgeführt.

Schon einige Tage vor der Eröffnung des Forums trafen sich in Bacelona 700 europäische und lateinamerikanische Kulturpolitiker sowie im Anschluss 200 Bürgermeister, um über eine "Kulturagenda 21" zu beraten. Sie soll mittellosen Bewohnern der Erde Zugang zu Bildung und Kultur verschaffen sowie die kulturelle Identität ärmerer Länder gegen ein westliches Einheitsdiktat verteidigen. Das in diesem Rahmen verfasste Dokument sieht unter anderem vor, dass alle nationalen Regierungen mindestens ein Prozent ihres Etats für Kultur ausgeben und internationale Organe, wie die WTO, den Kulturbereich in ihren Verhandlungen aussparen sollen. Kultur solle nicht zur Ware werden. Die Agenda wird im Herbst der Städtekonferenz "Habitat" und 2005 der UNESCO vorgelegt werden.

Im Rahmen des Dialogs "Der Wert des Wortes" forderten namhafte Vertreter des PEN Clubs die Freilassung inhaftierter Kollegen. Der Autor der Satanischen Verse Salman Rushdie, aktueller Präsident des PEN Clubs in Nordamerika, kritisierte scharf die Beschneidung der Bürgerrechte in den USA nach dem 11. September. Auch die politische Verantwortung der Schriftsteller in Zeiten des Krieges und massiver Umweltzerstörung wurden vor etwa 300 Zuhörern thematisiert.

Bei NGOs, Globalisierungsgegnern und Intellektuellen ist das Weltkulturforum nicht unumstritten. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass prominente Regisseure und Sänger Besucher anlocken und die Kassen füllen sollen. Die zentralen Ausstellungen auf dem Forumgelände sind aufwändig, doch wenig gehaltvoll. Wie die spanische Tageszeitung La Vanguardia informierte, zeigte sich der Literaturnobelpreisträger José Saramago irritiert über den Vergnügungscharakter des Ereignisses, der die inhaltlichen Themen völlig in den Hintergrund dränge.

Greenpeace lehnte seine Teilnahme ab, da der Bau des Kongresszentrums auf einem der letzten noch unbebauten Abschnitte der spanischen Mittelmeerküste "nicht nachhaltig" sei. José Bové, Noam Chomsky und Naomi Klein sagten ebenfalls ab, da Sponsoren des Forums, wie Coca Cola, Nestlé oder der spanische Energiekonzern Endesa, alles andere als friedlich, nachhaltig oder respektvoll gegenüber anderen Kulturen handelten.

Nachbarschaftsinitiativen und Hausbesetzer werfen der Regierung Barcelonas außerdem vor, das Fòrum 2004 nur als Vorwand für städtebauliche Maßnahmen zu nutzen. So würde Barcelona zunehmend "aufgeschickt" und der Preis für Wohnraum noch mehr in die Höhe getrieben. Tatsächlich macht der Bauetat den Löwenanteil der entstehenden Kosten aus. Knapp 2,2 Milliarden Euro sind dafür veranschlagt, für Organisation und Durchführung des Forums wurden dagegen "nur" 300 Millionen bereit gestellt. Nicht mal Barcelonas Bürgermeister Joan Clos macht ein Hehl daraus, wenn er zu der Bedeutung des Forums für seine Stadt erklärt: "Nach der Olympiade ist das die zweite große Umgestaltung Barcelonas."


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