Nach schweren Ertragseinbußen durch die wochenlange Dürre und die Brände in Russland verhängte Ministerpräsident Putin einen Exportstopp für Weizen bis Ende 2011. Prompt schnellte sein Weltmarktpreis auf den höchsten Wert seit der globalen Nahrungsmittelkrise 2007/ 2008, ist Russland doch einer der größten Weizenexporteure der Welt.
Sieht man sich das globale Weizenangebot an, dürfte dennoch kein Grund zur Sorge bestehen. Mit 646 Millionen Tonnen prognostizierte die Welternährungsorganisation (FAO) vergangene Woche für das Jahr 2010 immer noch die drittbeste Weizenernte der Geschichte. „Das derzeitige Weizenangebot ist sehr knapp, aber die Situation ist nicht alarmierend“, sagt der Getreideexperte der FAO, Abdolreza Abbassian. Denn anders als vor zwei Jahren gibt es weltweit genügend Weizenvorräte in den Lagern, am 1. September waren es 181 Millionen Tonnen.
Doch gerade für die Ärmsten der Welt im Süden sind die Preise ausschlaggebend, nicht das Angebot. „Auch in einem guten Weizenjahr, wie 2008 oder 2009, hungerten um die 800 Millionen Menschen“, sagt Abbassian. Sie konnten sich die Lebensmittel schlicht nicht leisten. Zwar liegt der Food Price Index der FAO immer noch 38 Prozent unterhalb des Wertes vom Juni 2008, dem Höhepunkt der damaligen Krise, aber der hohe Weizenpreis, wie auch der moderatere Preiszuwachs bei Mais, Zucker und Pflanzenölen, stürzen heute schon Millionen von Menschen auf der Südhalbkugel in existenzielle Schwierigkeiten. Bernhard Walter, Agrarexperte von Brot für die Welt, sieht dabei ein zentrales Problem in der Anhängigkeit vom Norden: „Viele Entwicklungsländer haben ihre eigenen Agrarbereiche vernachlässigt und sind so auf Lebensmittelimporte angewiesen“, sagt er.
Was wirklich fehlt: Lager, Strom, Transportmittel
Hunger ist immer noch ein Problem der Verteilung und des Zugangs zu Nahrung. Während mehr als eine von insgesamt fast sieben Milliarden Menschen auf der Erde hungert, leidet eine weitere Milliarde an Übergewicht oder Fettleibigkeit. Im Süden fehlt es vielen Menschen an Land, um sich selbst zu versorgen oder an Arbeit und Einkommen, um sich das Essen zu kaufen. Auch krankt es in der Organisation: Die Welthungerhilfe geht davon aus, dass die Menschen im globalen Norden etwa die Hälfte der produzierten Lebensmittel wegwerfen. Im Süden dagegen verdürben mancherorts 50 bis 70 Prozent der Ernten, weil es keine Transportmöglichkeiten, Lager und keinen Strom gäbe, um die Nahrungsmittel zu kühlen und zu konservieren. „Wir müssen unsere Produktion viel effizienter angehen und nachhaltiger und umweltfreundlicher produzieren“, sagt Rafaël Schneider, Referent für Entwicklungspolitik und Welternährung dieser Organisation.
Aber wäre die Welt bei einer gerechteren Verteilung in Zukunft fähig, die schnell wachsende Bevölkerung zu ernähren? Das Internationale Forschungsinstitut für Ernährungspolitik (IFPRI) schätzt, dass die landwirtschaftlichen Erträge in den so genannten Entwicklungsländern aufgrund des Klimawandels bis 2080 um 20 Prozent zurückgehen werden, die der Industrienationen um sechs Prozent. Die Konkurrenz um Agrarflächen für die Nahrungsmittelproduktion oder für Energiepflanzen nimmt zu, auch wenn Regulierungsmaßnahmen den Agrotreibstoffboom seit 2008 etwas gedämpft haben. In den so genannten Schwellenländern wächst dagegen die Nachfrage nach Fleisch und Milchprodukten ungebremst.
Die FAO vertritt, ebenso wie Welthungerhilfe und Brot für die Welt, dennoch die These, dass die Welt durchaus fähig wäre, im Jahre 2050 neun Milliarden Menschen zu ernähren. Der ehemalige UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, Jean Ziegler, versichert sogar, dass die Landwirte der Welt bei einer gerechteren Verteilung bis zu 12 Milliarden Menschen in ausreichendem Maß mit Nahrung versorgen könnten.
Bildung für Frauen steigert die Produktivität
Um ihr Ziel zu erreichen, müsste nach Rechnung der FAO bis 2050 die gegenwärtige Nahrungsmittelproduktion um etwa 70 Prozent gesteigert werden. Tatsächlich stellt sich jedoch die Frage, wieso bei einer derart hohen Fehl- und Überproduktion, wie sie im Moment existiert, überhaupt noch mehr Nahrungsmittel erzeugt werden müssen.
Der Weltagrarbericht und die Nicht-Regierungsorganisationen sehen ihrerseits in den Kleinbauern die Zukunft für eine nachhaltige Nahrungsmittelversorgung. Denn wo ihnen genügend Land, Wasser, Geld und Arbeitsgeräte zur Verfügung stünden, erwirtschafteten sie erheblich höhere Erträge pro Hektar als die industrielle Landwirtschaft und schädigten dabei die Umwelt deutlich weniger. Kleinbäuerliche Betriebe seien zudem anpassungsfähiger und flexibler. Brot für die Welt weist in der Studie „Ist genug für alle da?“ ferner darauf hin, dass die lokale Nahrungsmittelproduktion unmittelbar die Ernährungssicherheit der ländlichen, von Hunger betroffenen Bevölkerung verbessere.
Eine Schlüsselrolle spielen bei der Bekämpfung des Hungers die Frauen. Eine Studie des IFPRI aus dem Jahr 2003 ergab, dass Frauen mit einem besseren sozialen Status selbst besser ernährt seien und ihre Kinder besser ernährten. Studien aus dem südlichen Afrika kamen zu dem Ergebnis, dass eine Verbesserung der Schulbildung der Frauen und eine gerechtere Verteilung der landwirtschaftlichen Ressourcen unter den Geschlechtern die landwirtschaftliche Produktivität bis zu 20 Prozent steigern könnten.
Ingrid Wenzl ist Politologin und schreibt für den Freitag vor allem über Themen im Schnittfeld von Politik und Umwelt
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