Klima In Tübingen, Hannover und Marburg stellen sich die Oberbürgermeister hinter die Forderungen der Letzten Generation. In ihren Städten soll der Protest nun enden. Was die Stadtoberhäupter dazu sagen
Es geht um ein dauerhaftes Neun-Euro-Ticket, ein Tempolimit und einen Gesellschaftsrat für die Klimawende
Foto: Fabrizio Bensch/Reuters
Noch mehr Aktionen auf der Straße und in Museen? Als die Letzte Generation Anfang Februar bundesweit die Bürgermeister*innen zu Verhandlungen aufforderte und ankündigte, anderenfalls eine neue Protestwelle zu starten, zeigten ihnen die meisten Stadtoberhäupter die kalte Schulter. „Wer meint, für mehr Klimaschutz einzutreten, indem er Bäume fällt, den Flugverkehr gefährdet oder wichtige Straßen durch Ankleben blockiert, ist für uns kein potenzieller Verhandlungspartner“, erklärte etwa Berlins noch amtierende Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD).
Drei Bürgermeister wählten einen anderen Weg und luden Vertreter*innen der Letzten Generation zu einem Gespräch ein. „Ich habe darin deutlich ge
eutlich gemacht, dass ich diese Protestform nicht unterstütze, denn, das zeigt ja auch die aktuelle Debatte: Es geht nur noch um die Art der Proteste und nicht mehr um das Thema an sich, den Klimaschutz“, sagt Hannovers grüner Oberbürgermeister Belit Onay. Er und sein Marburger Amtskollege Thomas Spies (SPD) forderten mit Erfolg ein Ende der Proteste in ihren Städten, signalisierten den Aktivist*innen aber auch, dass sie ihre Sorgen durchaus ernst nehmen.In Tübingen kam es gar nicht erst zu Straßenblockaden. In einem offenen Brief auf seiner Facebook-Seite bedankte sich der parteilose Bürgermeister, Boris Palmer, bei der Letzten Generation für das „sachliche und konstruktive Gespräch“ und hob große inhaltliche Übereinstimmungen hervor.Auch die Aktivist*innen zeigten sich zufrieden mit dem Verlauf der Gespräche. „Es gab sehr schnell Einigkeit über die aktuelle Krisensituation und dass wir schnell handeln müssen“, berichtet ihre Sprecherin, Carla Hinrichs. Hannovers OB Onay charakterisierte seine Gesprächspartner*innen als „zugewandt und lösungsorientiert“, und für Marburg spricht Spies von einer „sehr angenehmen Gesprächsatmosphäre“.Inhaltlich ging es neben der globalen Situation um die Forderungen der Letzten Generation nach einem dauerhaften Neun-Euro-Ticket, einem Tempolimit auf der Autobahn und einem sogenannten Gesellschaftsrat. Diesen brauche es jetzt, da die Bundesregierung nicht im angemessenen Umfang ihrer Aufgabe nachkomme, den Klimaschutz voranzubringen. Wie frühere Bürgerräte sollen seine Mitglieder nach Vorstellung der Letzten Generation per Losverfahren gewählt werden und in Alter, Geschlecht und Herkunft die ganze Gesellschaft repräsentieren. Mithilfe der Expertise von Fachleuten soll er darüber beraten, was es bräuchte, um bis zum Jahre 2030 aus den fossilen Energien auszusteigen.Anders als bei dem 2021 durchgeführten Bürgerrat Klima auf Bundesebene, von dessen Existenz kaum jemand wusste, fordert die Organisation eine breite Öffentlichkeit für die dort erzielten Ergebnisse. Aufgabe der Bundesregierung sei es, diese als Gesetzesvorhaben ins Parlament einzubringen, sich dafür einzusetzen und sich zu verpflichten, sie nach einer Verabschiedung in „beispielloser Geschwindigkeit“ umzusetzen.Briefe für BerlinIm Anschluss an die Gespräche schrieben Onay und Spies an die Vorsitzenden der Bundestagsfraktionen von SPD, Union, FDP, Grünen und der Linken, Spies auch an den Bundeskanzler. In ihren Briefen stellten sie sich hinter die Forderungen der Letzten Generation, insbesondere der Gründung eines Bürgerrats. Spies verweist dabei auf sehr gute eigene Erfahrungen. Auch Palmer lobt auf Facebook ausdrücklich dieses Instrument. Alle drei sind sich jedoch einig, dass die Entscheidung über die Umsetzung der Beschlüsse beim Parlament liege.Den Vorwurf, sie hätten sich von der Letzten Generation erpressen lassen, weisen Onay und Spies zurück. „Das würde ja heißen, dass ich etwas tue, was ich sonst nicht getan hätte. Dieser Brief deckt sich aber mit Beschlüssen der Stadt Marburg, er extrapoliert sie auf überörtliche Ebene“, so Spies. Ähnlich argumentiert Onay. „Wir haben schnell gemerkt, so weit sind wir bei den Forderungen nicht auseinander. Mein Brief gibt zu hundert Prozent meine Positionen wieder.“ Darin warnt er, dass die Klimakrise die Existenz der Menschheit, ihre Gesundheit, Sicherheit und Ernährung akut gefährde. Das 1,5-Grad-Ziel müsse deshalb unbedingt eingehalten werden. „Steigt die Temperatur weiterhin in der aktuellen Geschwindigkeit, werden schon 2030 wichtige Kipppunkte erreicht und die Klimakrise wird unbeherrschbar. Erste Folgen spüren wir schon heute in unseren Städten“, heißt es in dem Brief. Dabei teile er die Auffassung der Wissenschaft und der Letzten Generation, dass die aktuellen Anstrengungen nicht ausreichen, um eine Katastrophe abzuwenden.Bei allen drei Städten handelt es sich um Klimaschutz-Vorreiter: Tübingen und Marburg streben an, bis 2030 klimaneutral zu sein, Hannover bis 2035. Dafür sei unter Bürger*innenbeteiligung in Tübingen ein umfangreiches Maßnahmenpaket erstellt worden, das derzeit umgesetzt werde, so Palmer. Auch in Marburg existiert ein ambitionierter Klimaaktionsplan, an dem Bürger*innen mitgewirkt haben. Sein Schwerpunkt liegt auf der Wärmesanierung des Gebäudesektors, während Hannover fortschrittliche Ideen im Energie- und Mobilitätssektor verfolgt.„Hannover ist die Speerspitze der Tempo-30-Bewegung, aber wir haben deutlich gemacht, dass wir auf kommunaler Ebene da mehr Handlungsfreiheit brauchen“, sagt Oberbürgermeister Onay. Das sei auch vorgesehen im Koalitionsvertrag, doch Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) sträube sich dagegen „mit Händen und Füßen“. Auch für das geplante, ganz von öffentlicher Hand und Arbeitgebern getragene Jobticket brauche es mehr Geld ebenso wie für den Ausbau der Infrastruktur des ÖPNV. „Aus Bund und Ländern sind für den Autobahnbau und -ausbau riesige Summen vorgesehen. Das Geld ist da, es wird nur falsch ausgegeben. Ich denke, durch Umverlagerung ließe sich da kurzfristig viel für die Verkehrswende mobilisieren“, meint Onay.Nach Überzeugung des Marburger Oberbürgermeisters können die kommunalen Klimaschutzziele nur umgesetzt werden, wenn alle Ebenen mitziehen: die Landesebene ebenso wie die des Bundes und der EU. Dies geschehe jedoch nicht im ausreichenden Maße. So ziehe der Bund städtische Förderungen für energetische Sanierung von seinen eigenen ab. Dieses Geld sei aber dafür gedacht, die Maßnahme möglichst sozialverträglich zu gestalten, so Spies: „Wir als Stadt Marburg möchten Zuschüsse geben – und haben da viel Geld vorgesehen – an die Wohnungsbaugesellschaften, damit die Warmmiete neutral bleibt. Die Bekämpfung der Klimakrise läuft in hohem Maße Gefahr, eine soziale Frage zu werden. Manche können sich ein schickes Nullenergie-Haus mit Tesla vor der Tür leisten, andere können das nicht.“Hannover ohne KohleAuch in Hannover fehlt es an Geld für die Energiewende. Die Stadt verfügt derzeit noch über ein Kohlekraftwerk zur Strom- und Wärmeerzeugung. Nachdem sich eine Bürgerbewegung für einen früheren Ausstieg, im Jahre 2026, formierte, lud Onay sie zu einem Runden Tisch ein. Zusammen mit Wissenschaftler*innen, Vertreter*innen der Stadtwerke und der Stadtverwaltung berieten sie, wie sich das umsetzen ließe. „Das wird mit Alternativanlagen möglich sein. Aber allein die Anlagen kosten fast eine halbe Milliarde Euro. Das werden wir jetzt gemeinsam mit den Stadtwerken stemmen. Aber das Beispiel macht deutlich: Wenn wir diese Transformation im Zuge des Klimaschutzes jetzt ernst meinen, dann braucht es eine bessere Ausstattung der Stadtwerke und der kommunalen Ebene“, sagt Onay.Letzte-Generation-Sprecherin Hinrichs ist ebenfalls überzeugt, dass die Klimaziele der ambitioniertesten Kommunen nur mithilfe des Bundes realisiert werden können. „Da ist es ein starkes Zeichen, wenn wir als Letzte Generation nun mit Bürgermeister*innen gemeinsam an die Bundesregierung appellieren“, sagt sie. Unterstützung bekommt die Organisation in Marburg auch von der Klimaliste, die dort mit der SPD und den Grünen zusammen regiert. „Wir können den Frust der Menschen, die sich in der Letzten Generation organisieren, absolut nachvollziehen, denn der Ernst der Lage ist in weiten Teilen der Gesellschaft und auch Politik einfach noch nicht angekommen,“ erklärt deren Mitglied, die Geografiestudentin Lucia Pfeil.Einen Gesellschaftsrat hält die Liste für ein wertvolles Instrument. „Die Menschen zu beteiligen und in politische Prozesse einzubeziehen erzeugt Akzeptanz in der Gesellschaft und ermöglicht direktere Partizipation an der Demokratie, was auch zu weniger Politikverdrossenheit führt“, meint deren Stadtverordnete Jana Ullrich. „Letztlich beschließen Bürger*innenräte nichts, sondern geben Handlungsempfehlungen an politische Entscheider*innen. Das kann auch dazu führen, dass Politiker*innen mutigere Entscheidungen treffen, wenn ihnen die Akzeptanz dafür in der Gesellschaft bewusst ist.“Das deckt sich mit Erkenntnissen des Demokratie- und Partizipationsforschers Hans Lietzmann. Er verweist auf Erfahrungen aus Irland, wo sich ein Bürgerrat für die Einführung gleichgeschlechtlicher Ehen und die Aufhebung des Abtreibungsverbotes aussprach. „Das hätten sich die Politiker nie getraut, weil sie dachten, sie dürfen der katholischen Kirche nicht zu nahe kommen“, sagt er. Das Geheimrezept sieht der Politikwissenschaftler in der Auslosung der Teilnehmenden: Anders als die Abgeordneten seien sie weder einem Klientel noch einer Parteilinie verpflichtet. Es sei erstaunlich, wie schon nach ein, zwei Diskussionsrunden eine Gemeinwohlorientierung in den Mittelpunkt rücke.Derzeit verhandelt die Letzte Generation noch mit sieben Städten. Möglicherweise folgen noch mehr dem Weg Hannovers, Tübingens und Marburgs.