Öko Die Bio-Szene entzweit sich über die Coronapolitik. Oder geraten nur alte Gräben neu in den Fokus? Dass sich ein ökologischer Lebensstil und biologische Landwirtschaft mit rechten Ideologien gut vereinbaren lassen, ist schließlich nicht neu
Es begann mit einem Tweet. Eines der Mitglieder der „Sonnenblume“*, einer Lebensmittel-Kooperative in Sachsen-Anhalt, las von einer Spende. Das Unternehmen Bode Immobilien GmbH hatte im August rund 60.000 Euro an die Partei „Die Basis“ überwiesen, eine 2020 gegründete Kleinstpartei, die dem Querdenkermilieu nahesteht und bei der Bundestagswahl 1,35 Prozent der Stimmen holte. Eine kurze Recherche ergab: Offenbar war der Geschäftsführer der Bode Immobilien mit dem des Biogroßhandels Bode Naturkost identisch. Wie viele andere Food-Coops, das sind Einkaufsgemeinschaften vor allem für regional hergestellte Bio-Lebensmittel, bezog auch die Sonnenblume dort ihre Trockenprodukte. Wie sollte die Sonnenblume damit umgehen? Die Meinungen gingen au
auseinander. Bald stand die Bio-Kooperative vor der Spaltung.„Ich war schockiert, dass nicht für alle in dem Projekt glasklar war, dass wir da nicht mehr bestellen“, erzählt Sonja Hansen*, eines der Mitglieder. Sei es nicht selbstverständlich, dass man mit der „Basis“ nichts zu tun haben wolle? Hansen stört sich nicht daran, dass die Partei das Ausmaß der Coronapandemie leugne, wie Hansen sagt. „Dass die Partei rechts offen ist und Mitglieder von ihr auch antisemitisch sind, das finde ich viel problematischer“, sagt die 38-Jährige. Damit reihe sich „Die Basis“ ein in „ökobraune Tendenzen“.Henrik Schulz*, Teil der kleineren Fraktion der Sonnenblume, die weiter bei Bode Naturkost bestellen möchte, findet dagegen „das Anliegen der ‚Basis‘ durchaus unterstützenswert“, ebenso ihre Kritik an der Coronapolitik. Deshalb möchte er auch keinen Brief im Namen der Kooperative an Bode schicken, in dem die Spende verurteilt wird, wie es sich Hansen und andere wünschen.Entscheidung erstmal vertagtDie Coronakrise spaltet auch die Biobewegung. Doch sind diese Gräben neu? Oder existieren sie schon länger und werden jetzt erst sichtbar? Dem Freitag gegenüber distanzierte sich Bode Naturkost von jeglicher politischen Aktivität. Aber auch im Dachverband Bundesarbeitsgemeinschaft für Lebensmittelkooperativen e. V. schlug die Nachricht von der Spende Wellen. „Mehrere von uns haben sich daraufhin die Partei näher angeschaut und sind dabei zu unterschiedlichen Einschätzungen gelangt“, berichtet Annette Hoffstiepel, eines der Mitglieder. Auch in ihrer eigenen Kooperative war die Spende Thema. „In Bochum ist ‚Die Basis‘ absolut nicht wählbar“, meint Hoffstiepel. Gegen den Direktkandidaten bei der Bundestagswahl, einen Arzt, werde ermittelt, weil er möglicherweise Maskenatteste gefälscht habe, auch gehe er mit Rechten auf Demos. Um aber allen Mitgliedern der Kooperative die Möglichkeit zu geben, sich erst über ‚Die Basis‘ zu informieren, wurde eine Entscheidung erst mal vertagt.Andreas Speit, Autor des kürzlich erschienenen Buches Verqueres Denken. Gefährliche Weltbilder in alternativen Milieus, beobachtet in der Bioszene eine hochemotionale Debatte darüber, ob man sich an die Maskenpflicht halten solle. „In Bioläden finden sich oft Plakate oder Magazine, die sich gegen das Impfen aussprechen. Gleichzeitig haben wir aus der rechtsextremen Szene eine Hinwendung zu dem vermeintlich querdenkenden Milieu“, warnt Speit. Er zieht Parallelen zu der Lebensreformbewegung Ende des 19. Jahrhunderts. Auch in dieser habe es linke und rechte Strömungen gegeben, Menschen, die alternative Lebensentwürfe entwickeln und neue pädagogische oder medizinische Wege beschreiten wollten. „Aber da waren auch immer Personen, die antiemanzipatorische bis zutiefst antisemitische Positionen verfochten“, erinnert er.Die Bioszene hat ein Problem, nicht erst heute: Eine ökologische Lebensweise und Biolandbau lassen sich durchaus mit einer rechten Gesinnung vereinbaren. So begrüßte Heinrich Himmler die biodynamische Landwirtschaft Rudolf Steiners im Hinblick auf eine Verbesserung des Bodens und der „Volksgesundheit“. Bis heute finden sich unter Biobauern auch Rechtsradikale, wie die Referentin für Rechtsextremismus im ländlichen Raum bei der Amadeu-Antonio-Stiftung, Anna Weers, berichtet: manche der vor allem in Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen lebenden „völkischen Siedler:innen“ etwa oder die Angehörigen der „rechts-esoterischen“ Anastasia-Bewegung.Um sich von braunen Landwirt:innen abzugrenzen, beschloss der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) schon 2012, „rassistischen, verfassungs- und fremdenfeindlichen Bestrebungen und anderen diskriminierenden oder menschenverachtenden Verhaltensweisen entschieden entgegenzutreten“. Das Netzwerk Solidarische Landwirtschaft, ein weiterer Zusammenschluss alternativer Bäuerinnen, gründete 2016 eine AG Rechte Tendenzen, die sich gegen eine Vereinnahmung durch nationalistische Gruppen wehrt. Das Netzwerk lehnt es ab, mit Querdenker:innen zusammenzuarbeiten.Eine besondere Stellung kommt der Anthroposophie zu. Viele Anhänger:innen Rudolf Steiners sind seit jeher Impfgegner:innen, zugleich gründet die biodynamische Landwirtschaft, wie sie mit Demeter einer der zentralen Bioanbauverbände verfolgt, auf anthroposophischen Überzeugungen. Demeter geriet mit einem Text in seinem letztjährigen Winterjournal in die Kritik: Darin wurde eine Überwindung des Zeitalters „zerstörerischer Geisteseliten“ propagiert, was viele als wissenschaftsfeindlich empfanden. Anfang 2021 distanzierte sich der Demeter-Verband von „antiaufklärerischen Strömungen wie etwa der Querdenken-Bewegung und Verschwörungstheorien zu Covid-19“.Wo sind die roten Linien?Die Sonnenblume, aber auch viele Konsument:innen von Bioprodukten fragen sich, wo eine rote Linie zu ziehen wäre: Soll man Bio-Müsli boykottieren, weil die Produzent:innen die aktuellen Coronamaßnahmen ablehnen? Oder nur dann, wenn sie eine Impfung nicht nur verweigern, sondern dahinter „die jüdische Weltverschwörung“ wittern? Wie viel Zeit und Energie bringt man auf, um herauszufinden, wie einzelne Betriebe „ticken“?Viele Kooperativen treffen ihre Entscheidungen nach dem Konsensprinzip. Ein Konflikt wie in der Sonnenblume kann dazu führen, dass Gruppen zerbrechen. In der Sonnenblume ist das bisher nicht passiert. Nach einem Mediationsgespräch wechselte der Großteil der Gruppe zum Bremer Großhändler Antakya. Obwohl es dem Rest der Gruppe offen steht, weiter bei Bode zu bestellen, tut er das derzeit nicht. Sollte sich Antakya als gute Alternative herausstellen, wäre das vielleicht auch nicht mehr nötig.Anders ist das bei betriebswirtschaftlich rechnenden Kund:innen wie Unverpacktläden. Für Franziska Frank, Inhaberin des Leipziger Unverpacktladens „Lieber lose“, ist eine Spende an „Die Basis“ ein No-Go. Aber von heute auf morgen ließen sich nicht alle Waren ersetzen. Bode biete Produkte an, die niemand sonst für den Preis im Sortiment habe.Als ersten Schritt hat Frank die Bestellmengen stark reduziert und hält nun Ausschau nach Alternativen. Eine Gruppe in Hessen sucht, während ein Teil ihrer Mitglieder weiter bei Bode bestellt, nach lokalen Erzeuger:innen, die keine Verbindungen zu Querdenker:innen haben. Im Frühling, wenn sie sich wieder draußen treffen können, wollen sie über Positionen zur Coronapolitik beraten. Dann sollen die Karten auf den Tisch.* Name von der Redaktion geändert
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