Der Weg in die systemische Gentrifizierung

HartzIV und die KdU: Ob als Aufstocker oder Grundsicherungsrentner, der KdU-Empfänger (Kosten der Unterkunft) wird sich auch künftig langfristig durch alle Schichten der Bevölkerung ziehen.

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So handelt es sich bei der angedachten Pauschalierung der Unterkunftskosten auch keineswegs um eine sogenannte Rechtsvereinfachung, sondern um eine knallharte und gut ausgefeilte Wohnungsmarktpolitik, die sich vorrangig an den Investitionsentscheidungen der Immobilienwirtschaft orientiert und arme Bevölkerungsschichten zunehmend "auslagert".

UNTERKUNFT ODER WOHNUNG?

Ein Begriff sagt mehr als tausend Worte. So dürfte es auch kein Zufall sein, dass in der Behördensprache der neuen Bedürftigkeit lediglich von einer "Unterkunft" die Rede ist und nicht von einer Wohnung. Unterkunft heißt per Definition nur ein Dach über dem Kopf zu haben. Etwas zweckmäßiges, nichts zum Wohlfühlen, kein Rückzugsgebiet, kein Stück Heimat. Im Gegensatz zu den Anfängen der Industrialisierung vor gut zweihundert Jahren betreibt man die Armenfürsorge heute natürlich weitaus eleganter. Von einem "unentbehrlichen Obdach" oder "Unterstützungswohnsitz" sprechen heute weder der verantwortliche Politiker noch die vollziehenden Behörden mehr. Dennoch ist die Semantik immer ein Spiegelbild der Zeit und liefert wertvolle gesellschaftspolitische Ansätze, wie wir miteinander umgehen und welche Wertschätzung wir unseren Mitmenschen entgegenbringen.

DAS BBSR-WOHNUNGSMARKTBEOBACHTUNGSSYSTEM

Freizügigkeit galt und gilt immer nur für die, die es sich leisten können. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Über Satzungsermächtigungen können die Kreise und kreisfreien Städte vielfach selbst bestimmen, was sie für einen angemessen KdU-Mietpreis halten und was nicht. Dabei ist den Kommunen sehr wohl bewusst, dass der Quadratmeterpreis nicht den Wohnungsstandard abbildet, sondern die Wohngegend. So lassen sich auch Mietpreisabweichungen bis zu 100 Prozent für ähnlich ausgestattete Wohnungen erklären, je nach dem, welche Klientel in welchem Stadtteil wohnt oder eben in Zukunft wohnen soll.

Nach einer Untersuchung des Pestel Instituts vom September 2014 ist das Kostenvolumen eines Neubaues mit 12 WE (876 qm Wohnfläche) mit gut 2,6 Millionen Euro zu beziffern. Aus diesem Preis werden Steuereinnahmen von knapp 470.000 Euro, Sozialabgaben von 406.000 Euro und andere Leistungen in private Sicherungssysteme von gut 170.000 Euro generiert. Je hochpreisiger die Immobilie also ausfällt, desto mehr profitiert der Haushaltssäckel zwischen Bund, Länder und Gemeinden. Um nun entsprechende Nachfolgeprojekte anzuziehen, ist es weder für die betreffende Kommune noch für den Eigentümer lukrativ, in diesem Quartier Menschen anzusiedeln, die auf Unterstützungsleistungen angewiesen sind. Denn wie hieß es schon bei Hegel, Philosophie des Rechts: «Diejenigen, die [...] durch eigene Tätigkeit und Arbeit zu bestehen verlustig gehen, bilden den Pöbel.» Und der passt nun wirklich nicht in die neuen urbanen Strukturen, die in den Ballungszentren vorwiegend von zahlungskräftigen Käuferschichten geprägt sein sollen.

Um sich für ihr Handeln rechtfertigen und um die notwendige Überzeugungsarbeit leisten zu können, greifen immer mehr Kommunen zu den Studien der Firma Analyse & Konzepte, die sich darauf spezialisiert hat, sogenannte Mietpreisobergrenzen empirisch ermitteln zu lassen. Und so haben sich bereits unzählige KdU-Bezieher verwundert die Augen gerieben, weil sie sich partout nicht erklären konnten, warum denn so viele Wohnungen in relativ guter Lage so preiswert zu haben sind und ausgerechnet nur die eigene Wohnung als nicht angemessen und damit als zu teuer gilt.

Dass diese "Entmietungsmaßnahmen" für bestimmte Bevölkerungsgruppen ganzer Stadtteile politisch gewollt sind, ist in der bereits im Jahre 2009 herausgegebenen Studie des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) in Kooperation mit dem Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR) und dem ISG Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik GmbH nachzulesen. Innerhalb dieses Forschungsprogrammes "Allgemeine Ressortforschung" heißt es wörtlich, dass der «KdU-Vollzug als ein wohnungspolitisches Steuerungsinstrument eingesetzt» wird. Dabei soll der «KdU-Vollzug der Kommunen wesentlich stärker als bisher als eine integrierte Managementaufgabe zwischen lokaler Sozial-, Wohnungs- und Stadtentwicklungspolitik aufgefasst werden. » Dieser Studie nach würde eine zu großzügig bemessene Mietobergrenze zu einer allgemeinen Preisverschiebung nach oben führen und noch mehr Mieter in den KdU-Leistungsbereich bringen. Auf der anderen Seite versucht man so zu tun, als würde eine Mietobergrenze im unteren Mietsegment einen preisdämpfenden Effekt hervorrufen. Dabei ist man sich bewusst, dass KdU beziehende Haushalte «längerfristig in eng begrenzten Beständen konzentriert werden und dadurch die soziale Segregation verstärkt wird.» Als besondere Herausforderung der kommenden Jahre sieht man die Zusammenführung von Daten der verschiedenen Institutionen an. Hierzu gehören verschiedene Statistiken der Bundesagentur für Arbeit, dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Sonderauswertungen aus dem Mikrozensus, dem SOEP (sozialökonomisches Panel) sowie Daten im Zusammenhang mit dem SGB II (Anzahl der Bedarfsgemeinschaften, KdU-Kostenstruktur etc.), die in ein umfassendes BBSR-Wohnungsmarktbeobachtungssystem integriert werden sollen. Da für jeden Hartz-IV-Empfänger ohnehin ein umfassendes Persönlichkeitsprofil existiert, das auch wertvolle Erkenntnisse über die jeweilige Familien- und Wohnsituation liefert, wird jeder Leistungsbezieher auch ungewollt zu einem Bestandteil eines breit angelegten KdU-Monitoring Systems. Dabei sei erwähnt, dass mittlerweile fast jeder zehnte Langzeit-Arbeitslose über einen erhöhten Bildungsabschluss verfügt. Auch hier lassen sich künftig sicher interessante und wertvolle Erkenntnisse aus der Verhaltensforschung ableiten. Vielleicht sogar, inwieweit eine verarmte Mittelschicht sich in einem zunehmend ghettoisierten Umfeld integrieren ließe.

Federführend war bei der Forschungsstudie des Ministeriums übrigens die oben bereits erwähnte Firma Analyse & Konzepte, Hamburg. Es dürfte kein Zufall sein, dass dieses Unternehmen mittlerweile fast flächendeckend die für alle Kommunen und Sozialgerichte begehrten schlüssigen Konzepte liefert. In Anbetracht der Einsparmöglichkeiten oder damit verbundenen soziologischen Umschichtungen scheinen sich die für jede Kommune im fünfstelligen Bereich liegenden Kosten durchaus zu amortisieren. Leider scheinen sich die Raumplaner nicht darüber im Klaren zu sein, dass diese kaum mit der Menschenwürde in Einklang zu bringende Ausgrenzungspolitik eine andere Republik hervorbringen wird. In die "auserwählten Quartiere" werden die Erwerbstätigen nur noch morgens anreisen und nach Feierabend in ihre "Sammelquartiere" zurückkehren. In London gibt es bereits elektronische Zugangsberechtigungen für ganze Stadtteile; in den Vereinigten Staaten von Amerika oder anderen Schwellenländern gehören «gated communities» zum Alltag. Vielleicht auch bald ein Modell für Deutschland.

DIE ENERGIEEINSPARUNGSFALLE

Nach Ansicht des Bundessozialgerichtes müssen die anerkannten Kosten der Unterkunft als angemessen gelten, bzw. ein schlüssiges Konzept erfahren. Wie sich nun die geltende Energieeinsparungsverordnung EnEV 2012 bemessungsstechnisch genauso angemessen oder in einem schlüssigen Konzept wiederfinden soll, wird den Richtern zusätzliche Rätsel aufgeben. So werden in Zukunft sanierte und dennoch mittelmäßig ausgestattete Wohnungen allein über ihren Effizienzwert einen höheren Quadratmeterpreis einfordern. Das tatsächliche Einsparungspotential hingegen lässt sich jedoch erst nach Vorlage der Nebenkostenabrechnung ermitteln. Welche konkrete Effizienzklasse ist eigentlich für einen KdU-Empfänger vorgesehen? Oder müssen Bedürftige in Zukunft wieder in alte und feuchte Wohnungen ziehen, ein Altbau mit alten Heizkörpern, der eine geringen Kaltmiete und erst später hohe Verbrauchskosten aufweist. In diesem Falle könnte man natürlich dem Mieter auferlegen, seine Verbrauchskosten selbst "angemessen" zu reduzieren, in dem er beispielsweise kalt duscht und die Heizkörper in der Wohnung schlichtweg ausgeschaltet lässt. Der Prognos-Studie 2010 «Impulse für den Wohnungsbau» ist zu entnehmen, dass die Einführung energieeinsparender Zusatzmaßnahmen über die EnEV 2009 hinaus die Preisschere zwischen Neubau und Bestand auch weiterhin vergrößern wird. Somit dürfte die teilweise von den Jobcentern gern verwendete Argumentationsstrecke, man wolle die Bedürftigen dazu bewegen, einen Umzug in eine energieeffizientere Wohnung (am Rande der Stadt) vorzunehmen, ganz sicher nicht zu geringeren Kosten führen.

WELCHE FUNKTIONEN ERFÜLLEN DIE JOBCENTER?

Mit den neuen Anforderungen an das sogenannte "KdU-Management" ensteht ein kommunales Verwaltungshandeln, das sich gemäß den Vorstellung der vor Kündigungen abgeschotteten Beamten des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) zu einer integrierten Managementaufgabe zwischen Sozial-, Wohnungs- und Stadtentwicklungspolitik ausgestalten soll. Somit würden die Jobcenter zu ausführenden Organen der aktiven Raumplanung. Hinsichtlich dieser aktiven Eingriffsmöglichkeiten sollten sich die zuständigen Landesrechnungshöfe einmal fragen, ob es zu den zentralen Aufgaben der Jobcenter gehört, nun verstärkt Darlehensgeber für Zwangsumzüge zu sein, von denen keiner weiß, wann sie sich denn je amortisieren werden.

Hier wäre es sicher spannend herauszufinden, wieviele Haushaltsmittel denn die jeweiligen Jobcenter oder die Agenturen für Arbeit, die sich aus den Leistungen ihrer Versicherten speisen, für derartige Aktionen eingestellt haben. Hinsichtlich der geringen monatlichen Tilgungsrate, die sich aus dem Grundsicherungssatz ergibt, müsste es sich um gewaltige Summen mit sehr langen Laufzeiten handeln. Sind Jobcenter in Zeiten der "Schwarzen Null" nun so etwas wie verlängerte Arme der Banken und nehmen am Finanzmarkt teil?

SAGE MIR WO DU WOHNST UND ICH SAGE DIR, WER DU BIST

Jeder weiß es und wer es bisher nicht wusste, weiß es jetzt. In Deutschland kennt ein privates Unternehmen der Banken (die Schufa) wichtige Informationen von Kreditnehmern und Käufern. Sie kennt neben vielen anderen Daten die Anschrift der meisten Deutschen. Die Anschrift ist ein Teil eines Algorythmus und entscheidet darüber, ob der betreffende Kunde für einen Handyvertrag entsprechend kreditwürdig ist oder nicht. Die meisten Firmen werten heute die Adressen aus. Liegen diese in einem Gebiet, das überwiegend von einkommensschwachen Bevölkerungsschichten geprägt ist, verbindet man damit stets Armut und soziale Spannungen. So gehen beispielsweise potentielle Arbeitgeber automatisch davon aus, dass der Bewerber über eine eingeschränkte Sozialisierungsfähigkeit verfügt oder verfügen könnte. Damit könnte der Arbeitssuchende trotz guter Qualifikation bereits beim Pre-Check durchfallen. Auf alle Fälle dürften diese Bewertungskriterien aber dafür ausreichen, um Löhne am untersten Level anzusiedeln. So erweist sich der «KdU-Vollzug» auch für die nachkommenden Generationen als neues Kastensystem.

WIE MACHEN ES ANDERE EUROPÄISCHE STAATEN?

Es geht auch anders. Das "Wiener Modell" in Österreich beweist, dass sich Wohnungsmieten im sogenannten Gemeindebau zwischen 3 und 10 Euro pro Quadratmeter bewegen können, während die marktüblichen Mieten ein vielfaches betragen. Möglich wird das durch Genossenschaftsmodelle und der städtischen Beteiligung. Gut 600 Millionen Euro lässt sich das die Stadt Wien kosten. Derartige Summen werden in Deutschland nicht einmal bundesweit zur Verfügung gestellt. Dafür sind die österreichischen Wohnungen in einem tadellosen Zustand. Heruntergekommene Quartiere gibt es dort nicht. Da diese Wohnform gut zwei Drittel des gesamten Wohnraums abdeckt, existiert eine gewünschte soziale Mischung. Gut situierte wohnen zusammen mit weniger gut situierten. Eine soziale Clusterbildung findet nicht statt; die klassische Bonitätsbewertung der SCHUFA würde hier schlichtweg nicht stattfinden, da sie nicht benötigt wird.

DAS BEDINGUNGSLOSE GRUNDEINKOMMEN ALS REGULATOR DES WOHNUNGSMARKTES

Wohnen muss ein Grundrecht und gleichzeitig Bestandteil der persönlichen Entfaltung sein. Viele junge Familien würden gern in ihrem bestehenden Wohnumfeld bleiben oder sogar bewusst in ländliche Strukturen ziehen. Nach der Wertevorstellung der Sozialpolitiker und der Bundesagentur für Arbeit drängt man Menschen jedoch lieber in die Städte, in denen sie zu prekären Bedingungen wohnen und arbeiten, als dass man ihnen alternative Wohnformen ermöglicht. Auch hier könnten neue Einkommensformen nicht nur die Niederlassungsfreiheit fördern, sondern aufgegebene Höfe oder Läden in bereits verlassenen Landstrichen erneut zum Leben erwecken. Gerade in den neuen Bundesländern stehen die Kommunen vor erheblichen Problemen, weil ganze Infrastrukturen für nur noch wenige Bewohner aufrecht erhalten werden müssen. Über diese Selbstregulierung des Wohnungsmarktes würden auch die völlig aus den Fugen geratenen Immobilienpreise in den Ballungszentren wieder zu einem vernünftigen Niveau zurückfinden. Die soziale Entzerrung wäre auf einen Schlag machbar. Um zu diesen Erkenntnissen zu gelangen, bedarf es keines KdU-Monitorings, sondern schlichtweg die Abschaffung der Agenda 2010.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

initiative146

Die Initiative 146 wirbt für eine Verfassung in Deutschland und hat dazu bereits einen ausformulierten Verfassungsvorschlag ins Netz gestellt.

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