Überwachung als neue DDR-Light-Kultur?

Vorratsdatenspeicherung. Bürger unter Generalverdacht; jeder könnte ein Terrorist oder Staatsfeind sein. Darf sich so ein Rechtsstaat aufführen? Oder ist es der Weg in die DDR-Light-Kultur?

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Auch in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik war die politisch motivierte Überwachung das staatlichen Herrschaftsinstrument um das zu Volk terrorisieren. Nun haben wir die Vorratsdatenspeicherung. Es dürfte etliche Stasi-Mitarbeiter gegeben haben, die sich in der vergangenen Woche voller Ehrfurcht vor dem Deutschen Reichstag verneigt und ihr Glas gehoben haben. Nie mehr in dunklen Kammern sitzen oder Mikrofone herumschleppen. Wie wenig überzeugt muss diese Regierung von sich selbst und ihrem Handeln sein, wenn sie glaubt, dass nur ein lautloser und hochgezüchteter Überwachungsmechanismus sie vor einer erneuten Revolution, wie 1989 bewahren kann.

Somit stellt sich die Frage, was unterscheidet unsere heutige Gesetzgebung noch von dem damaligen Überwachungsstaat der DDR? Wenn die DDR ein Unrechtsstaat war, sind wir es mit diesen Gesetzen nicht auch schon längst geworden? Ist Überwachung nicht sogar eine Art staatlicher Terrorismus gegen das Volk? Welche Legitimation besitzen noch Politiker, die ihre Bürgerinnen und Bürger vollständig überwachen und unter Generalverdacht stellen?

DAS BRIEF-, POST-, UND FERNMELDEGEHEIMNIS WURDE BEREITS 1968 ERSTMALIG EINGESCHRÄNKT

Nach nicht einmal zwanzig Jahren Urfassung (GG 1949) haben die Hardliner der 68iger bereits den Artikel 10 wieder so gut wie abgeschafft. Unter dem Deckmäntelchen der «freiheitlich demokratischen Grundordnung» (oder den Bestand eines Landes oder des Bundes sichern zu können), wurde es bereits am 28. Juni 1968 wieder möglich, Bürgerinnen und Bürger ohne ihr Wissen abzuhören und zu überwachen. Mit dem Gesetz der Vorratsdatenspeicherung, das zur Aufklärung von Terrorismus und anderen schweren Verbrechen vorgeschoben wird, hat der Überwachungsstaat nun eine weitere Zündstufe erreicht.

IST DEMOKRATIE MESSBAR?

Das Strafgesetzbuch der DDR sollte dem Schutz der Freiheit dienen. Und so brachte die Deutsche Demokratische Republik am 12. Januar 1968 ein Strafgesetzbuch (StGB) auf den Weg, das demokratische Grundrechte enthielt. Um aber ,,Verbrechen gegen die Souveränität der Deutschen Demokratischen Republik, den Frieden, die Menschlichkeit und die Menschenrechte“zu unterbinden, hielt man es damals für legitim, eine Gedankenpolizei zu errichten, potentielle Staatsfeinde nach Bautzen abzutransportieren und eine Gesellschaft systemisch zu zersetzen. Nicht nur der Dokumentarfilm Citizenfour von Laura Poitras, in dem bereits ein ehemaliger Stasi-Häftling vor einer Wiederholung der Geschichte warnt, sollte uns aufrütteln. Auch ein Besuch im Stasi-Museum Berlin (U-Bahn Magdalenenstraße) zeigt bereits nach wenigen Minuten ganz offensichtlich, wie sich Vergangenheit und Gegenwart schon wieder angeglichen haben. Die friedliche Revolution von 1989 hat den Unrechtsstaat der DDR beendet. Was sind aber sichere Indikatoren, um zu erkennen, dass die Demokratie aufgehört hat zu existieren? Wann ist Widerstand nicht nur legitim, sondern Staatsraison?

HOFFNUNGSTRÄGER BUNDESVERFASSUNGSGERICHT?

Wie wir wissen, wurden die Grundrechte immer weiter eingeschränkt. Jetzt stellt sich die Frage, ob diese Aushöhlungen der informationellen Selbstbestimmung das Fundament für weitere Entscheidungsfindungen bilden oder ob das Bundesverfassungsgericht eine hiervon losgelöste Position einnimmt. Ansonsten wäre dies der endgültige Abgesang des Grundgesetzes und wir könnten uns überlegen, ob diese im Artikel 20 Absatz 4 aufgeführte Ordnung überhaupt noch als schützenswert gelten kann.

Vielleicht ist es auch der Zeitpunkt, an eine neue Verfassung zu denken, die die ursprünglichen Grundrechte erneut zum Leben erweckt und in vielen Bereichen sogar erweitert. Die nachfolgenden Vorschläge, die sich an der digitalen Realität orientieren, könnten dabei helfen:

Recht auf geheime Kommunikation

(1) Das Briefgeheimnis sowie das Post- und Fernmeldegeheimnis sind unverletzlich. Dieses Grundrecht gilt gleichermaßen für die elektronische Übermittlung über das Internet oder andere digitaler Medien gleich welcher Art sowie deren Nachfolger.

(2) Jedwede staatliche Informationssammlung über deutsche Staatsbürger, die über die unbedingt notwendige Speicherung und Verarbeitung von Daten zur Aufrechterhaltung der staatlichen Verwaltung hinausgeht, ist verfassungswidrig. Eine Weitergabe an Dritte (insbesondere andere Staaten, staatliche Institutionen, multinationale Einrichtungen oder Wirtschaftsunternehmen) ist unzulässig.

Recht auf digitales Nichtvorhandensein

Jeder hat das Recht, dass sämtliche Daten über ihn, sein Eigentum, Besitz, Äußerungen aller Art oder Verhalten, ebenso wie Hinweise und Verweise auf diese, nicht digital aufgenommen, weitergeleitet, verwendet oder anderweitig durch Dritte genutzt werden. Er hat das unmittelbare Recht auf vollständige physische Löschung sämtlicher Daten und Datenträger.

Freiheit im privaten, unternehmerischen und öffentlichen Raum

(1) Jedwede offene, verdeckte oder geheime Überwachung, gleich in welcher Art oder durch welches Medium, ob durch Personen oder Institutionen im Privatbereich, im Unternehmensbereich oder im öffentlichen Raum, ist unzulässig.

Mit den Protesten gegen TTIP haben die Bürgerinnen und Bürger schon einmal Flagge gezeigt. Die Vorratsdatenspeicherung sollte es wert sein, erneut auf die Straße zu gehen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

initiative146

Die Initiative 146 wirbt für eine Verfassung in Deutschland und hat dazu bereits einen ausformulierten Verfassungsvorschlag ins Netz gestellt.

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