Von der Politik in die Wirtschaft

Karenzzeiten. Wer einen einträglichen Job in der Wirtschaft will, muss an den Schalthebeln der Politik gesessen haben. Fast schon ein Karrieretipp für Universitätsabsolventen.

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Ob nun der maschinenlesbare Personalausweis unter Otto Schilly, der Exkurs von Roland Koch in die Bauwirtschaft oder Roland Pofalla als zukünftige „Lokomotive“ der Deutschen Bahn AG, stets wurde der Weg schon während ihrer Amtsperiode geebnet. Jeder fertig ausgearbeitete Gesetzesentwurf, den der Mandatsträger empfangen und zur Beschlussfassung in den Bundestag eingebracht hat, dürfte als Fleißpünktchen in der Bewerberakte aufgeführt sein. Fast käme man auf den Gedanken, der Amtseid wird nicht mehr auf das deutsche Volk, sondern zum Wohle der globalen Wirtschaft abgeleistet . Auch bei den gegenwärtigen TTIP-Verhandlungen wird schon jetzt der eine oder andere Akteur auf seine große Stunde lauern. Kein Wunder also, dass die schon seit länger brodelnde Gesetzesvorlage der Regierungsparteien und der Opposition über eine gesetzlich geregelte Auszeit für ehemalige Regierungsmitglieder lieblos hin und hergeschoben wird. Denn wer kann schon garantieren, dass der heutige Reservespieler auf der Oppositionsbank nicht schon am morgigen Tag ungeahnt an die Schalthebel der Macht gerät. Auch innerhalb der SPD dürfte sich vielleicht der eine oder andere noch an die Abgeordnete erinnern, der zum Schluss nichts mehr anderes übrig blieb, als einen bescheidenen inhabergeführten Reinigungsbetrieb zu gründen.

IN DER WIRTSCHAFT GIBT ES EIN WETTBEWERBSVERBOT

Sollte die eben erwähnte Genossin nun einen Arbeitsvertrag mit einem hochkarätigen Vertriebsspezialisten ihrer selbst erfundenen Reinigungsmittel schließen, könnte dieser in seinem Arbeitsvertrag durchaus eine zweijährige Sperrzeit wiederfinden. Unabhängig von Abfindungen, individuellen Entscheidungen vor dem Bundesarbeitsgericht, sind diese Konkurrenzschutzklauseln durchaus eine gängige Praxis. Nur für die Politik scheint das hier so gar keine Anwendung finden zu wollen, obwohl der Auftraggeber der Wähler und der Steuerzahler ist.

WER IST DER SOUVERÄN?

Es ist schon ein Armutszeugnis unserer Demokratie, dass Politiker über ihre Einkommen und möglichen Karenzzeiten nach Gutsherrenart selbst entscheiden. Doch der Wähler scheint nach wie vor folgsam zu sein. Er stellt auch nicht das derzeitig existierende Feudalsystem in Frage.Viele verfügen bereits über Dauermandate. So gibt es auch keine Grenzen, Macht und Einkommen beliebig zu steigern. Das Wort vom Volksvertreter existiert nach Erhalt des Mandats praktisch nicht mehr.

WER REFORMIERT DIE POLITIK?

Deutschland benötigt Reformen. Fakt ist, dass in der zur Zeit gültigen repräsentativen Demokratie Abgeordnete von den Bürgern gewählt werden, um Deutschland zu managen. Der Bürger hat sie aber nicht gewählt, um zusätzliche Parteiämter zu übernehmen, Fraktionsvorsitzender, Bundestagspräsident zu sein oder für irgendwelche Wirtschaftsunternehmen tätig zu werden. Daher ist eine strikte Trennung von Amt und Mandat unerlässlich. Dasselbe gilt für Regierungsämter. Wer als Mandatsträger eine Kontrollfunktion innehat, kann nicht gleichzeitig zur Führungsriege gehören. Dies wäre so, als würden in einer Aktiengesellschaft die Vorstandsvorsitzenden gleichzeitig im Aufsichtsrat sitzen. Daher sollten sich die Bürgerinnen und Bürger Gedanken machen, ob nicht möglicherweise nachfolgende Veränderungen ein anderes Politikerbewusstsein schaffen könnten:

  • Mandatsträger, die andere und weitere Jobs in der Politik oder Wirtschaft übernehmen wollen, verlieren in diesem Moment den Status eines Abgeordneten. Der nächste auf dem Listenplatz rückt nach.

  • Abgeordnete dürfen kein Gewerbe und keinen Beruf, kein anderes Amt oder Nebentätigkeiten, ob entgeltlich oder unentgeltlich, ausüben, der Leitung oder dem Aufsichtsrat eines Unternehmens angehören oder die Schirmherrschaft von Organisationen übernehmen.

  • Legt der Abgeordnete sein Mandat nieder oder verliert dies aus anderen Gründen, unterliegt die Aufnahme einer anderen Tätigkeit einer Karenzzeit von 36 Monaten.

  • Bundeskanzler, Bundesminister und alle, die für die Bundesregierung tätig sind, dürfen keinen Beruf und kein Gewerbe, kein anderes Amt oder Nebentätigkeiten, ob entgeltlich oder unentgeltlich ausüben, der Leitung oder dem Aufsichtsrat eines Unternehmens angehören oder die Schirmherrschaft von Organisationen übernehmen. Sie sind kein Mitglied des Bundestages. Funktionen in supranationalen Organisationen sind für Regierungsmitglieder nicht zulässig.

  • Wechselt ein Abgeordneter oder Regierungsmitglied in eine wirtschaftlich ausgerichtete, supranationale Organisation oder sonstige Funktion erlischt die bisherige Funktion unwiderruflich.

  • Scheidet der Bundeskanzler oder ein Bundesminister aus dem Amt, unterliegt die Aufnahme einer anderen Tätigkeit einer Karenzzeit von 60 Monaten.

  • Scheiden der Bundestagspräsident oder die Angehörigen des Präsidiums aus dem Amt, unterliegt die Aufnahme einer anderen Tätigkeit einer Karenzzeit von 48 Monaten.

Politik muss wieder als ein «Projekt zur Umgestaltung der Gesellschaft» verstanden werden. Es ist nicht die Aufgabe einiger weniger, sondern die Aufgabe aller. Wer noch immer die politische Auseinandersetzung scheut, der sollte sich an die Texte Jacques Rancières (Aux bords du politique) mit nachfolgenden Inhalten erinnern: «Richtig verstandene Politik zielt nicht auf Ordnung oder Konsens, sondern ist stets Ausdruck eines Dissens. Demokratie ist das, was die Gemeinschaftsidee verwischt. Sie ist ihr undenkbares Gegenstück.»

Daran sollten wir alle arbeiten.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

initiative146

Die Initiative 146 wirbt für eine Verfassung in Deutschland und hat dazu bereits einen ausformulierten Verfassungsvorschlag ins Netz gestellt.

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