Wem gehören die Straßen?

Artikel 90 GG. Demnach ist der Bund Eigentümer aller Verkehrsnetze. Mit der geplanten Infrastrukturabgabe beginnt jedoch der erste Schritt in die Privatisierung unserer Straßen.

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Die systemischen Taschenspielertricks des Alexander Dobrindt!

Derzeit bringen die Bürgerinnen und Bürger jährlich gut 47 Milliarden Euro auf, um die Verkehrsinfrastruktur über das Steueraufkommen aufrecht zu erhalten. Nun sollte man meinen, dass dies ausreichend sei, alle anfallenden Kosten bequem abdecken zu können. Ist es aber nicht, weil der Staat davon nur 5 Milliarden Euro für den Straßenverkehr verwendet. Die restlichen 42 Milliarden Euro verteilen sich innerhalb des großen Steuertopfes und werden letztenendes zweckentfremdet.

Mit dem vom Verkehrsministerium erarbeiteten Gesetzesentwurf werden mit der zukünftigen Infrastrukturabgabe nun Gesamteinnahmen von 3,7 Milliarden Euro in Aussicht gestellt. Dabei sollen rund 3 Milliarden Euro aus den in Deutschland und ca. 700 Millionen Euro aus den nicht in Deutschland zugelassenen Fahrzeugen generiert werden. Dem gegenüber stehen sogenannte Systemkosten in Höhe von gut 195 Millionen Euro/Jahr, zu denen auch die laufenden Betriebs- und Personalkosten zählen. Die verbleibenden Einnahmen aus der Infrastrukturabgabe sollen nun zweckgebunden in die Verkehrsinfrastruktur des Bundes fließen. Rechnerisch dürfte diese verdeckte Steuererhöhung jedoch kaum dazu beitragen, um im großen Stil die Sanierungsmaßnahmen durchführen zu können, die sich die Bürger wünschen. Somit könnte man durchaus hinter dieser zunächst harmlos erscheinenden Intention einen ganz anderen Hintergrund vermuten.

Was bedeutet die «Maut» im eigentlichen Sinne?

Maut ist ein aus dem Gotischen mōta und Althochdeutschen mūta abgeleiteter Begriff für Zoll im Sinne eines Wegzolls. Dokumente aus dem 11. Jahrhundert deuten darauf hin, dass Wegzölle in Europa verbreitet waren. Mit der Zahlung dieser Abgabe sollten die Nutzer, also die Reisenden, ihren Teil zur Erschließung der Wege beitragen. Wer über keine finanziellen Mittel verfügte, musste stattdessen mit seiner Arbeitskraft „zahlen“. Nur der Industrialisierung dürfte es zu verdanken sein, dass diese „Zahlungsweise“ nicht mehr direkt auf die Bürgerinnen und Bürger übertragen werden kann. Denn was ist Bürgerarbeit oder ehrenamtliches Engagement anderes, als die Übernahme von Leistungen, aus denen sich der Staat aus wirtschaftlichen Gründen bereits verabschiedet hat.

Grundsätzlich dürfte Konsens darüber bestehen, dass die Infrastruktur eines Landes auch ein Gesellschaftsbild wiedergibt. Wer in den klassischen Schwellenländern „unterwegs“ ist, wird schnell feststellen, dass es einige wenige unendlich Reiche gibt, die keine Steuern bezahlen und unendlich viele Arme, die ohnehin nur auf Feldwegen ihre Armenquartiere erreichen. Diese Entwicklungen scheinen sich nun auch in den europäischen Ländern zu verfestigen. Aufgrund der horrenden Mieten in den Städten, die vielfach nicht mehr über ein normales Arbeitseinkommen abgedeckt werden können, ist es nur noch eine Frage der Zeit, wann sich ein erneuter Abwanderungstrend aus den Städten, zurück in die ländlichen Gemeinden, vollzieht. Mit den sinkenden Arbeitseinkommen werden Pendler auch in Zukunft die älteren Autos mit den höheren Schadstoffklassen fahren, die nach den Plänen Dobrindts mittels der geplanten Infrastrukturabgabe zusätzlich belastet werden sollen.

Wie «privat» darf es denn sein?

Dass es sich bei der geplanten Infrastrukturabgabe nicht um eine Abgabe zum Wohle der Bürgerinnen und Bürger handelt, versteht sich von selbst. Auch die Verkehrswege werden nun „für den Markt fit gemacht.“ Nicht nur Wasser oder Strom werden privatisiert. Auch unsere Straßen. Dabei könnte man die „öffentlich-privaten Partnerschaften“, kurz ÖPP, auch als Einstiegsmodell betrachten, um im Laufe der Jahrzehnte die staatlichen Hoheitsrechte gänzlich abzugeben und die Verkehrswege in private Hände zu legen. Daher verwundert es auch nicht, dass bereits schon jetzt Finanzinvestoren geworben werden, die ihr Geld in Straßen-verkehrsprojekte anlegen sollen. Wie anhand des Autobahnabschnittes der A7 zu ersehen ist, erhält ein Konsortium, bestehend aus Hochtief, DIF-Infra und einem regionalen Mittelständler, für die kommenden 30 Jahre nicht nur die Verantwortung für diese Strecke, sondern auch gleich die entsprechenden Finanzmittel vom Staat in Form von Zuschüssen und monatlichen Entgelten mitgeliefert. Mit anderen Worten, der Steuerzahler wird mit dieser Infrastrukturabgabe keine hoheitlichen Aufgaben mehr unterstützen, sondern privatwirtschaftliche Unternehmen und ihre zukünftigen Börsengänge.

Wenn die oben erwähnten 42 Milliarden Euro sich im allgemeinen Steuerhaushalt verlieren und der Staat seine hoheitlichen Aufgaben zunehmend privatisieren möchte, dann ist das System an sich zu überdenken. Denn nach rein betriebswirtschaftlichen Regularien müsste in der Tat jeder Steuereuro einer exakten Mittelverwendung zugeordnet werden. Nun wird sich alsbald der «marktkonforme Steuerbürger» die berechtigte Frage stellen, warum er denn über seine Steuermittel monatliche Entgelte an ein Konsortium leisten soll, die eine Autobahn instandhalten, die er möglicherweise gar nicht nutzt. Insbesondere dann, wenn er sich gar kein Auto leisten kann oder will. Vergleichbar wäre dies mit der schwäbischen Hausfrau, die in einen Supermarkt geht und für einen Käse bezahlen soll, den sie gar nicht gekauft hat oder gar kaufen möchte.

Dieses «Modell der Privatisierung» können wir beliebig fortführen und gnadenlos auf alle Gebiete der bisherigen hoheitlichen Aufgaben ausdehnen. Wir könnten die Polizei zugunsten einer privaten Sicherheitsvorsorge abschaffen, die staatliche mit einer privatwirtschaftlichen Bildungseinrichtung substituieren und die rein privatisierte Armenfürsorge einführen, die den Sozialstaat gänzlich entlasten könnte.

Die Bilanz des Staates wäre so ausgeglichen, wie nie zuvor. Jetzt stellt sich eine letzte Frage: Warum finanzieren wir überhaupt noch Finanzbehörden, Verwaltungen, Parlamente, Politiker, rundum einen Staat, der dabei ist sich selbst abzuschaffen?

Und «Google» ist immer dabei!

Mit dem Weg in die Privatisierung der Verkehrsnetze haben die Konzerne nun auch die Hoheit über die Beschaffenheit der Verkehrsnetze gewonnen. Wie diese aussehen sollen, steht im Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD: «Unser Ziel ist eine nachhaltige Mobilitätskultur und eine nutzerfreundliche Vernetzung der verschiedenen Verkehrsmittel. Dazu fördern wir verkehrsträgerübergreifende Datenplattformen auf Open-Data-Basis, die über Mobilitätsangebote, Staus, Verspätungen und Fahrplandaten informieren. Mit der Vernetzung von Verkehrsinformationen und Ticketsystemen können den Menschen innovative digitale Mobilitätsdienste zur Verfügung gestellt werden.»

Wer die Politikersprache übersetzen kann, könnte darüber ins Grübeln kommen, wer nun der Nutzer sein soll, für den es sich nutzerfreundlich gestalten soll. Die Bürgerinnen und Bürger stehen dabei bestimmt nicht im Vordergrund. Sie sind arglos genug, um sich mit ihren digitalen Sklavenhaltern sogar freiwillig zu verketten. So gesehen liegt es schon jetzt auf der Hand, dass in Zukunft jeder PKW über das digitale Mautsystem auf den Straßen erfasst werden wird.

Wie dem IT-Gipfel in Hamburg zu entnehmen war, spricht man dort auch längst von einer «intelligenten Verkehrsraumbewirtschaftung.» Datenschützer stehen bereits Kopf und sehen hier einen weiteren Schritt in permanente Bewegungsbilder, die in die Totalüberwachung führen.

Für diese Totalüberwachung wird dann aber nicht mehr der Staat als Ansprechpartner gelten. Denn die «digitalisierte Verkehrsraumbewirtschaftung» wird zunehmend nicht mehr vom Staat, sondern, dank ÖPP und TTIP, von internationalen Wirtschaftskonzernen vorgenommen. Somit wird Google uns auf allen zukünftigen Fahrten stets und gern begleiten und die soeben festgestellte Ordnungswidrigkeit nebst Persönlichkeitsanalyse des betreffenden Fahrers, höchst benutzerfreundlich und direkt, nach Flensburg übermitteln.

Wirtschaft handelt stets effizienzorientiert. Nach betriebswirtschaftlichen Regularien werden aber nur Infrastrukturen aufrecht erhalten, die sich rechnen. Wie in vielen ländlichen Gebieten sich bereits der öffentliche Personen- und Nahverkehr weitestgehend zurückgezogen hat, so werden auch die zukünftigen nicht rentablen Straßen zu löcherigen Feldwegen verkommen.

Vielleicht wird es in Zukunft nicht mehr drei, sondern 6-spurige Autobahnen geben, die je nach bezahlter Geschwindigkeit, unterschiedlich genutzt werden können. Google ist bereits auf der Suche nach geeigneten Teststrecken für seine selbstfahrenden und vernetzten Smart Cars.

Wer den Kapitalismus kennt, weiß auch, dass der Verdrängungswettbewerb das Marktgeschehen beeinflusst. Man könnte es auch als Darwinismus bezeichnen. Übrig bleiben nur noch die Größten und Stärksten. Sie bestimmen dann über das Leben der anderen. Wer die von den Konzernen selbst geschaffenen Bonitätskriterien nicht liefern kann, wird schon bei der Anmietung eines «Statt-Autos» kläglich scheitern. Diese Segregationsprozesse werden sich in der «schönen neuen Datenwelt der privatisierten Verkehrsbewirtschaftung» noch vervollkommnen. So werden sich ganze Bevölkerungsschichten trotz materiellen Überflusses und neuen Technologien im Mittelalter wiederfinden. Denn wer kein Geld hat, wird die Infrastruktur schlichtweg nicht mehr nutzen können. Mit oder ohne Infrastrukturabgabe.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

initiative146

Die Initiative 146 wirbt für eine Verfassung in Deutschland und hat dazu bereits einen ausformulierten Verfassungsvorschlag ins Netz gestellt.

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