Politisch westwärts, wirtschaftlich runter

Ukraine Die wirtschaftlichen Folgen der raschen Westanbindung Kiews sind für das Schicksal der Ukraine viel entscheidender als der reine politische Wille

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Als Viktor Janukowitsch im vergangenen November das Abkommen mit der EU nach jahrelangen Verhandlungen überraschend auf Eis legte, fand sein wirtschaftspolitisches Taktieren zwischen Ost und West ein jähes Ende. Seine Entscheidung auf die wirtschaftliche Unterstützung Moskaus zu setzen, führte zu einem Proteststurm vieler Ukrainer. Mit der Absetzung Janukowitschs im letzten Monat hatte man das große gemeinsame Ziel der Majdan-Bewegung erreicht. Die zukünftige politische Ausrichtung der Ukraine schien dagegen zuerst unklar. Zu vage waren die Forderungen der unterschiedlichen Protest-Strömungen. Wenige Wochen nach der Amtseinführung der Übergangsregierung scheinen sich die pro-europäischen Kräfte aus einer Ablehnung Russlands heraus etabliert zu haben. Diese Botschaft wird auch durch die frühzeitige Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens unterstrichen. Die stärkere Orientierung gen Westen wird kurz- und mittelfristig allerdings Opfer fordern, auf die die ukrainische Bevölkerung in keiner Weise vorbereitet wird.

Wirtschaftlich steckt die Ukraine weiterhin im post-sowjetischen Tiefschlaf. Wie viele andere Staaten Mittel- und Osteuropas, musste auch die Ukraine nach dem Zerfall der Sowjetunion eine wirtschaftliche Schocktherapie durchmachen. Anders als ihre westlichen Nachbarn, Polen und die Slowakei, die sich von Beginn an klar dem Westen zuwandten, blieben der Ukraine nur die engen Wirtschaftsbeziehungen zu Russland. Das gilt bis heute. Russland ist nach wie vor der größte Absatzmarkt für die Ukraine. Diese Abhängigkeit könnte Moskau ausnutzen, um der ukrainischen Wirtschaft einen empfindlichen Schaden zuzufügen und die pro-europäische Stimmung im Land zu dämpfen.

Es ist nicht unwahrscheinlich, dass Russland auf die ukrainische Anbindung an die EU mit Handelseinschränkungen reagiert. Folglich würde ein wichtiger Markt für die Ukraine wegbrechen oder könnte nur unter erheblichem Kostenaufwand weiterbedient werden. Zudem werden viele Produkte keinen Abnehmer in der EU finden. Insbesondere ukrainische Industrieprodukte wie Maschinen und Fahrzeuge, die bisher den größten Anteil bei den Exporten nach Russland ausmachen, sind auf dem europäischen Markt schlichtweg nicht konkurrenzfähig.

Neben Landwirtschaftsprodukten würden weiterhin vor allem Metalle und Mineralstoffe in die EU exportiert. Güter, die mit Blick auf die niedrigen Stahlpreise auf dem Weltmarkt bereits heute relativ wenig Rendite bringen. Gerade der Osten des Landes wird von dieser Preisentwicklung hart getroffen. Dabei sind die östlichen Regionen die exportstärksten der Ukraine. Rund ein Drittel der Exporte sind auf Stahlprodukte zurückzuführen. Allein der Bezirk Donezk ist für 20 Prozent der ukrainischen Gesamtausfuhren verantwortlich. (Quelle: Ukrainisches Handelsministerium)

Dementsprechend sinken auch die Erlöse aus den Exporten. Dies erhöht das Risiko, dass die ohnehin schon schwache ukrainische Währung Hryvnia, die seit Anfang des Jahres rund 32 Prozent an Wert zum Dollar einbüßte, weiter abwertet. Von einem Abwertungsszenario ist nicht nur die einfache Bevölkerung durch steigende Kosten für Importartikel des täglichen Bedarfs betroffen, auch der Anteil an in ausländischen Währungen denominierten Krediten wird schwerer zu bedienen sein. Fremdwährungskredite machen schließlich mehr als ein Drittel des ukrainischen Gesamtkredits aus. Dies hätte dramatische Folgen für die Privatwirtschaft, zumal knapp die Hälfte dieser Kredite wiederum auf Unternehmen entfallen.

Neben mangelnden Absatzmöglichkeiten würde die ukrainische Wirtschaft somit auch bei der Refinanzierung in Schwierigkeiten geraten. Während andere Zentralbanken in solchen Fällen regelmäßig intervenieren, indem sie Devisen in den Markt pumpen und dadurch den Wechselkurs stabil halten, sind der ukrainischen Nationalbank die Hände gebunden. Ihre Währungsreserven sind bereits jetzt so gut wie aufgezehrt und haben mit einer Deckung von nicht einmal 2 Monaten an regulären Importzahlungen (15,5 Mrd. USD) einem kritischen Wert erreicht. (Quelle: EBRD Regional Prospect Januar 2014)
Unterm Strich wird die Ukraine insgesamt an Produktivität verlieren. Firmen müssen wegen den Absatz- oder Finanzierungsschwierigkeiten schließen und Personal abbauen. Die Arbeitslosigkeit steigt und die ohnehin schon sozialen Härten in der Ukraine werden beschleunigt. Dies könnte durch die Schaffung neuer Arbeitsplätze aus europäischen Investitionen kompensiert werden. Angesichts der hohen politischen Unsicherheit muss jedoch ernsthaft bezweifelt werden, dass europäische Unternehmen ihre Produktionsstätten bereits in der nächsten Zeit in die Ukraine verlagern werden.

Durch das Assoziierungsabkommen wird die Ukraine vorerst noch fragiler dastehen als bisher. Eine Annäherung an die EU kommt damit einer zweiten Schocktherapie gleich. Daran wird auch die eilig entsandte IWF-Mission wenig ändern können, selbst wenn kurzfristig ein Programm des IWFs Druck von den Reserven, der Währung und der Staatsliquidität nehmen könnte.

Ob die neue Regierung unter diesen wirtschaftlichen Vorzeichen eine hinreichende Akzeptanz bei der Bevölkerung erreichen wird, bleibt fraglich. Das politische Wunschdenken vieler Ukrainer wird schnell der harten ökonomischen Realität weichen müssen.

der Text erschien im Original gerade unter dem Titel: "Politisch nach Westen, wirtschaftlich nach unten" auf dem Blog Vagabondonomics http://wp.me/p4gsuQ-n

Die Autoren Fabian Heppe und Hendrik Leue betreiben den Blog Vagabondonomics http://vagabondonomics.wordpress.com/
Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

linker Investor

Gobalisierungskritik & Investment, Ökologie und wirtschaftlicher Fortschritt, soziales Miteinander und Gewinnstreben. Die großen Gegensätze...

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